Yemisi Ogunleye sorgte am zurückliegenden Sonntag beim Pfingstsportfest in Rehlingen für eine große Überraschung: Erstmals überhaupt flog ihre Kugel über die 19-Meter-Marke – und das gleich drei Mal. Diese Weiten sind ein Vorstoß in völlig neue Dimensionen, womit das Kugelstoß-Talent auch die Norm für die Weltmeisterschaften in Budapest übertraf.
Überraschend Weltklasse: Yemisi Ogunleye (MTG Mannheim) konnte es selbst kaum glauben, drückte ihre Hände vor den Mund und blickte nach ihrem ersten Versuch in Rehlingen gar ungläubig mal nach links, mal nach rechts. Sie hatte soeben ihre 4-Kilo-Kugel auf 19,04 Meter gestoßen. Erstmals überhaupt knackte sie diese Marke. Dieser Weite setzte sie im weiteren Verlauf noch einige Zentimeter drauf – nämlich 19,08 und 19,31 Meter.
Sara Gambetta (SV Halle), Katharina Maisch (LV 90 Erzgebirge), Julia Ritter (TV Wattenscheid 01) – bisher schien es, als sei die WM-Qualifikation einem Kreis von drei Athletinnen vorbehalten. Jetzt erweiterte Yemisi Ogunleye diesen erlesenen Kreis. „Ich saß oft auf der Ersatzbank und habe für die anderen geklatscht. Ich bin einfach dankbar, dass sich das ändert und sich die harte Arbeit endlich auszahlt. Es war ein langer Weg, der nicht selbstverständlich war“, sagt die 24-Jährige über ihre bisherige Reise, die ihr momentan mit den Wettkämpfen extrem viel Spaß bereitet.
Selbstzweifel "weggestoßen"
„Es ist unglaublich. Ich hätte nicht gedacht, dass sich die harte Arbeit aus dem Winter schon jetzt so auszahlt und solche Ergebnisse dabei herauskommen. Aber diese drei Stöße über 19 Meter, die waren für mich so emotional. Ich hatte das Gefühl, ich habe nicht nur eine Weite gestoßen, sondern ich habe auf dem Feld all meine Selbstzweifel, Ängste und Sorgen, die einen als Leistungssportler auf diesem Weg begleiten, in diesen Stößen rausgelassen. Ich habe das alles auf dem Feld gelassen. Ich werde es nicht mehr aufheben, sondern nun mit viel Selbstvertrauen und Zuversicht in die nächsten Wettkämpfe gehen. Ebenso mit einer großen Dankbarkeit, diesen Sport überhaupt mit solch einem tollen Trainerteam ausüben zu dürfen“, zeigte sie sich nach dem Wettkampf sehr emotional und dankbar.
Als Zuschauerin verfolgte Saarlands Ministerpräsidentin und ehemalige Leichtathletin Anke Rehlinger (SPD) den Wettkampf und geriet anschließend im Interview beim Saarländischen Rundfunk (SR) ins Schwärmen: „Ein großartiger Wettkampf. Sie hat gleich mehrmals die WM-Norm übertroffen und einen richtig stabilen Wettkampf hingelegt. Ich glaube, da haben wir wieder ein ganz tolles deutsches Talent gesehen, das nicht nur in Rehlingen gewinnen kann, sondern vielleicht auch noch bei der einen oder anderen Meisterschaft. Auch international. Das würde den DLV ganz sicher freuen.“
Dass sie zu großen Weiten fähig ist, hat Yemisi Ogunleye unlängst in Darmstadt und Halle/Saale unter Beweise gestellt, als sie bereits zu Saisonbeginn ihre Bestmarke von 18,20 auf 18,53 Meter steigern konnte. Wenngleich sie bei den Halleschen Werfertagen die Kugel noch gar nicht richtig getroffen hatte. „Ich habe gar nicht erwartet, dass es über 18,50 Meter ging“, sagt sie nach ihrem zweiten Saisonauftritt. Insbesondere das Publikum sorgte für den nötigen Push. „Das Publikum ist so nah an einem dran. Jeder Athlet wird hier unterstützt und angeklatscht. Das macht Halle so speziell.“
Verletzungssorgen und Technik-Umstellung
Speziell ist auch ihr bisheriger Weg in die Weltklasse: Gepflastert von einigen Herausforderungen. Bereits in jungen Jahren musste sie zwei Rückschläge verkraften. „Ich hatte relativ früh zwei Knie-Operationen, die mich jeweils anderthalb Jahre aus dem Leistungssport genommen haben. Ich habe eher gedacht, dass mit dem Kugelstoßen wird vielleicht nichts mehr.“ Als sie nicht mehr an sich glaubte, taten es andere. Bauten sie auf. Auch wenn es keine einfache Zeit war. „Ich habe mich in dieser Zeit immer so gefühlt, als würde ich einer gewissen Leistung hinterherrennen oder ich habe den Anschluss an die anderen verloren, weil mir diese Jahre gefehlt haben.“
Vor drei Jahren fasste sie den nächsten richtungsweisenden Entschluss: der Umstieg vom Angleiten auf die Drehstoßtechnik. Dafür braucht es in den ersten Jahren ebenfalls reichlich Zeit und Geduld. „Da kann einer auf 14 Meter oder 10 Meter fliegen, da kann auch ein Ausrutscher auf 18 Meter dabei sein. Mir ist das bei der DM in Braunschweig (2021) passiert. Ich bin froh, dass ich jetzt ein gewisses Level erreicht habe, wo das Niveau einfach bleibt“, sagt die junge Mannheimerin.
Auf dem Niveau von Darmstadt und Halle/Saale wollte sie ihre Wettkampfreise eigentlich weiter fortsetzen. Das hatte sie zumindest nach ihrem Wettkampf in Halle/Saale angekündigt. „Mir ist wichtig, diese Weite zu stabilisieren und konstant über 18 Meter stoßen. Das wäre jetzt erstmals mein Ziel. Alles Weitere darf wie in Halle/Saale einfach zusammenkommen.“ Beim Pfingstsportfest schien nun alles aufzugehen und es folgte ein weiterer Leistungssprung mit Weiten über 19 Meter – und der Erfüllung der WM-Norm für Budapest (Ungarn; 19. bis 27. August). Das gelang ihr als erster deutscher Kugelstoßerin.
Trainerteam erweitert
Ihr Entschluss, nach der letzten Sommersaison erneut Veränderungen vorzunehmen, zahlen sich nun immer mehr aus. „Ich wusste, in mir stecken noch Kapazitäten. Daraufhin habe ich überlegt, woran kann ich noch arbeiten. Ich bin zu meiner Trainerin Iris Manke-Reimers gegangen, fragte sie, ob sie sich ein Trainergespann vorstellen könnte. Sie sagte: 'Ja, lass es uns versuchen',“ erzählt Yemisi Ogunleye. Sie hatte damals als größte Baustelle die Technik ausgemachte, da sie ja erst drei Jahre zuvor zum Drehstoß gekommen war.
„In den vergangen zwei Jahren hat man sich das so ein bisschen selbst beigebracht mit meiner Trainerin. Über den Winter habe ich mit Artur Hoppe, einst selbst Kugelstoßer und jetzt Trainer, zusammengearbeitet. Er hat sich meiner angenommen, und dafür bin ich immer mittwochs zum Techniktraining nach Stuttgart gekommen“, berichtet sie über den ersten Zuwachs im Trainerteam.
Zur Technik gehört wiederum auch Kraft- und Athletiktraining. Unterstützung in diesem Bereich erfährt sie von Mareike Rittweg, sie ist Athletiktrainerin in Heidelberg. „Ich habe jetzt so ein tolles Trainerteam mit Iris Manke-Reimers an der Spitze, die alles plant und organisiert. Ich bin froh, dass jetzt alles so zusammenpasst“, beschreibt Yemisi Ogunleye diesen wegweisenden Schritt, der schon im Winter erste kleine Früchte trug. Nun fügt sich jedes kleine Puzzleteil immer besser zu einem großen Ganzen zusammen.
Alles zu seiner Zeit
„Ich bin einfach unheimlich dankbar für die Menschen um mich herum, die in mir irgendwo das Talent gesehen haben, als ich es selbst nicht sehen konnte. Als ich selbst mein größter Kritiker war. Ich habe so eine tolle Trainerin, das Trainerteam um mich herum sowie Physiotherapeuten und Ärzte, die in mir da etwas gesehen haben und mich dementsprechend auch unterstützt haben. Dass es sich jetzt endlich nach solch einem langen Weg auszahlt, darüber bin ich super glücklich.“
Gerade die lange Verletzungsphase bewertet Yemisi Ogunleye im Rückblick als wertvolle Zeit. „Sie hat mir gezeigt, was wirklich wichtig ist im Leben. Nämlich mein Leben nicht von Leistungen im Sport oder von Medaillen abhängig zu machen, sondern zu wissen: Ich bin gut, so wie ich bin. Ich glaube an Gott und darf ihm auch vertrauen, dass alles zu seinem Zeitpunkt zusammenkommt.“ Nach dieser Maxime lebt Yemisi Ogunleye, die noch etwas gelernt hat: Jeden Moment bewusst zu genießen. So wie zuletzt in Rehlingen, als sie dort für eine große Überraschung sorgte.