Zehn Athletinnen und Athleten, die noch nie einen Titel bei Deutschen Hallenmeisterschaften gewonnen haben, standen Ende Februar in Dortmund ganz oben auf dem nationalen Podium. Einige von ihnen sind schon länger Teil der DLV-Spitze, die meisten dagegen neue Gesichter. Wir stellen sie vor. Heute: Mittelstrecklerin und Hindernisläuferin Jolanda Kallabis (FT 1844 Freiburg).
Jolanda Kallabis
FT 1844 Freiburg
Bestleistungen:
800 Meter: 2:04,65 min (2022); 2:03,71 min (Halle; 2023)
1.500 Meter: 4:14,08 min (2022)
400 Meter Hürden: 59,71 sec (2022)
2.000 Meter Hindernis: 6:07,72 min (2022; U18-Weltbestleistung)
Erfolge:
U18-Europameisterin 2022 (2.000 Meter Hindernis)
Deutsche Hallenmeisterin 2023 (800 Meter)
Als U18-Europameisterin und nach ihrer U18-Weltbestleistung über 2.000 Meter Hindernis hatten wir Jolanda Kallabis gerade als Jugendleichtathletin des Jahres 2022 geehrt und vorgestellt, da unterstrich schon ihr nächster außergewöhnlicher Erfolg ihr Talent und ihren ungebremsten Ehrgeiz. Am Tag nach ihrem 18. Geburtstag stürmte die Schülerin bei der Hallen-DM in Dortmund über 800 Meter zu ihrem ersten deutschen Meistertitel in der Frauenklasse.
Auch das soll nur eine Zwischenstation gewesen sein. Gemeinsam mit ihrer Mutter und Trainerin Nina Rosenplänter möchte die angehende Abiturientin ihre Leistungsfähigkeit bis hin zur Weltklasse aufbauen. „Seitdem ich angefangen habe, will ich Profisportlerin werden.“ Dabei soll aber nichts überstürzt werden: Im Sommer ist ein Start über 800 oder 1.500 Meter bei der U20-EM in Jerusalem (Israel; 7. bis 10. August) als nächste Station geplant. Im Hinterkopf sind auch schon im nächsten Jahr die Olympischen Spiele in Paris (Frankreich).
Spitze von Langhürden über Mittelstrecke bis zu Hindernissen
Leichtathletik gehörte für die Nachwuchsathletin von Anfang an zum Leben dazu. Kein Wunder, mit Hindernis-Europarekordler Damian Kallabis als Vater und der Sportwissenschaftlerin und früheren Mittelstrecklerin Nina Rosenplänter als Mutter. Tochter Jolanda entschied sich aber eigenständig dafür, es auch mit dieser Sportart zu probieren. „Ich habe auch mal Ballett gemacht und mehrere Jahre Karate“, erinnert sie sich. „Letzten Endes wollte ich aber lieber raus auf den Sportplatz, statt in einer Halle zu trainieren.“
Die damalige Grundschülerin nahm beim LV Donaueschingen, Stammverein der LG Baar, das Nachwuchstraining bei Carol Reichel auf. Alle Disziplinen wurden trainiert, über 800 Meter war aber schon damals ein besonderes läuferisches Talent erkennbar. Als 13-Jährige legte sie die 800 Meter in 2:17,64 Minuten zurück. Zu diesem Zeitpunkt lag ihr Lebensmittelpunkt in Spanien. „Ich habe zwei Jahre in Malaga gelebt und dann sind wir an den Bodensee gezogen“, erzählt Jolanda Kallabis, die in den Jahren 2019 und 2020 für die TG Stockach startete. Sie trainierte dort noch in einer Mehrkampfgruppe, was schon Erfolg brachte.
Gleich ihre erste Chance auf einen nationalen Titel nutzte die damals 14-Jährige mit dem Sieg bei den deutschen Schülermeisterschaften in Lage im Blockmehrkampf Lauf der Altersklasse W14 (2.685 Punkte). Deutlich die meisten Punkte brachten die 2.000 Meter in 6,39,81 Minuten. Ein Jahr später führte sie 2020 gleich in vier Disziplinen die DLV-Bestenliste der Altersklasse W15 an (800 Meter: 2:08,92 min; 2.000 Meter: 6:14,71 min; 300 Meter Hürden: 44,68 sec; 1.500 Meter Hindernis: 4:48,08 min). Deutsche Schülermeisterschaften wurden in dem Jahr wegen der Corona-Pandemie nicht ausgetragen.
Spezialisierung Richtung Lauf bringt nächsten Leistungsschub
Nächste Schritte, um die sportlichen Ziele zu verfolgen, waren die Übernahme des Trainings durch Mutter Nina Rosenplänter, der Umzug nach Freiburg und der Schulwechsel auf die Staudinger Gesamtschule, eine Eliteschule des Sports und Partnerhochschule des Olympiastützpunkts Freiburg-Schwarzwald. Nicht mehr der Mehrkampf, sondern alles rund ums Laufen rückte in den Mittelpunkt des Trainings. Neuer Verein: die FT 1844 Freiburg.
Den Erfolgen in den beiden U16-Jahren fügte sie stetig weitere hinzu. Im Alter von 16 Jahren qualifizierte sich Jolanda Kallabis über 1.500 Meter für die U20-EM in Tallinn (Estland), wo es knapp nicht fürs Finale reichte. Bei der Jugend-DM in Rostock brachten 6:36,71 Minuten den Titel über 2.000 Meter Hindernis in der Altersklasse U18.
Das Jahr 2022 begann mit dem U20-Titel bei der Jugend-Hallen-DM in Sindelfingen über 800 Meter (2:06,61 min). „Zu diesem Zeitpunkt ist mir präsent geworden, dass es mit der Karriere richtig losgeht“, so das Nachwuchstalent. „Einmal eine Athletin mit Ausrüstervertrag zu werden, war schon vorher mein Ziel.“ Im Sommer stürmte die damals 17-Jährige zuerst bei der U18-EM in Jerusalem (Israel) an Europas Spitze über 2.000 Meter Hindernis (6:20,22 min) und zum Saisonabschluss in Trier sogar zur neuen U18-Weltbestleistung über diese Strecke (6:07,72 min).
Mentale Stärke als großes Plus in wichtigen Rennen
In solche Rennen geht Jolanda Kallabis mit großer Überzeugung von ihren Fähigkeiten an den Start. „Meine Mutter und ich wissen mittlerweile, wann ich in Form bin. Ich weiß, was ich trainiert und drauf habe. Das kann ich dann auch abrufen. Das ist eine glückliche Gabe“, beschreibt die 18-Jährige ihre mentale Stärke. „Außerdem lege ich mir für jedes wichtige Rennen einen Plan zurecht, für alle denkbaren taktischen Situationen. Ich gehe mit großem Vertrauen an die Startlinie.“
Das war auch bei der Hallen-DM Ende Februar in Dortmund im 800-Meter-Finale der Fall. In persönlicher Bestzeit von 2:03,71 Minuten zog die Freiburgerin in der Zielkurve an der WM- und EM-Halbfinalistin Majtie Kolberg (LG Kreis Ahrweiler; 2:04,39 min) vorbei und eroberte die nationale Spitzenposition in der Frauenklasse.
Dabei liefen in diesem Winter Schmerzen im Fuß mit. „Nach den Wintertrainingslagern hatte sich ein Sesambein im rechten Fuß entzündet. Ich konnte normal trainieren und laufen, aber teilweise mit Schmerzen“, so die Deutsche Hallenmeisterin, die deshalb auf einen Start bei der Jugend-Hallen-DM, die ebenfalls in Dortmund ausgetragen wurde, verzichtete.
Auskurieren, Abi und dann Profi-Sport
Um die Entzündung auszukurieren, wurde das Training in den Wochen nach der Hallensaison so gut wie komplett ins Wasser und aufs Fahrrad verlegt. Nichts Ungewöhnliches im Trainingskonzept. „Wir trainieren viel alternativ“, erzählt Jolanda Kallabis. „Ich bekomme auch keinen Trainingsplan von meiner Mutter. Sie hat einen Rahmen im Kopf, entscheidet aber kurzfristig, was wir genau im Training machen. Dabei werde ich einbezogen. Je nach Tagesform und Gefühl in den Beinen wird die Belastung ausgerichtet.“
Für die Vorbereitung auf die Freiluft-Saison bot auch sonniges Wetter auf Mallorca angenehme Rahmenbedingungen. Das Laufen wird immer weiter wieder mit ins Training aufgenommen, solange sich der Fuß nicht wieder meldet.
Präsenter ist im Moment die Schule. Die schriftlichen Abiturprüfungen in Mathe, Französisch und Sport stehen unmittelbar bevor. „Ich habe versucht, jeden Tag etwas dafür zu tun. Es wird wohl kein 1,0er-Abi. Aber das hatte ich auch nicht angestrebt“, berichtet die Schülerin. Nach dem Schulabschluss will sie sich komplett auf den Sport konzentrieren. „Ich wüsste auch gar nicht, was ich beruflich machen möchte. Ich habe richtig Bock auf Profi-Sport. Sollte ich mich geistig unterfordert fühlen, kann ich mir noch überlegen, wie ich später damit umgehe.“
Auf der Mittelstrecke zur U20-EM, Olympia 2024 nicht ausgeschlossen
Wenn gesundheitlich alles glatt läuft, soll der Saisoneinstieg wieder beim Läufermeeting in Pliezhausen (14. Mai) erfolgen, wo in den vergangenen beiden Jahren jeweils die 1.000 Meter auf dem Programm standen. Höhepunkt des Sommers soll die U20-EM in Jerusalem werden. Die Normen über 800 Meter (2:07,80 min) und 1.500 Meter (4:24,00 min) hat Jolanda Kallabis schon mehrfach deutlich unterboten. Die Streckenauswahl wird letzten Endes auch von der internationalen Konkurrenz abhängig gemacht.
Nachdem sie in der U18 schon die Weltklasse erreicht und bei den Frauen ihren ersten nationalen Titel gefeiert hat, ist jetzt die europäische Spitze der U20 im Visier. So soll es Stück für Stück immer weiter nach oben gehen, ohne den Körper zu überfordern. Deshalb ist auch in diesem Jahr kein Start über 3.000 Meter Hindernis geplant. Diese werden international in der U20 statt der 2.000-Meter-Strecke gelaufen.
Auch im nächsten Jahr ist nach derzeitigem Stand keine Premiere auf dieser verlängerten Strecke vorgesehen. Allerdings schielt das Mutter-Tochter- beziehungsweise Trainerin-Athletin-Gespann für 2024 auf den ersten internationalen Start in der Frauenklasse, also die EM in Rom (Italien) und die Olympischen Spiele in Paris (Frankreich). Komplett ausschließen wollen sie vor diesem Hintergrund eine Rückkehr zu den Hindernissen nicht. Oberstes Ziel bleibt aber der langfristige Aufbau einer möglichst langen und international erfolgreichen Karriere.
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Jolanda hat sich in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt. Und das, obwohl sie schon ein hohes Niveau mitgebracht hat und der Trainingsumfang noch immer überschaubar ist. Im vergangenen Jahr war die Hindernis-Leistung herausragend, stark aber auch die Entwicklung über 800 und 1.500 Meter. Dort ist sie schon unter den Perspektiv-Kadernormen geblieben. Das gelingt nur selten Athletinnen und Athleten aus dem U18-Bereich.
Jolanda bringt beste körperliche und mentale Voraussetzungen mit. Sie ist ein absoluter Wettkampftyp. Das ist ihre große Stärke. Sie will sich mit anderen messen. Sie geht in jedes Rennen und will gewinnen. Das war auch bei der Hallen-DM der Fall. Andere Nachwuchsathleten wollen bei ihrem Debüt bei den Aktiven eher mitlaufen, etwas lernen oder Erfahrung sammeln. Jolanda hat gesagt: Ich will gewinnen. Das ist der Unterschied.
Ihre Mutter als Trainerin baut die Belastungsfähigkeit behutsam auf. Es ist noch Luft nach oben, den Umfang und Kilometerschnitt in den nächsten Jahren Stück für Stück weiter aufzubauen. In diesem Sommer will sich Jolanda auf die Mittelstrecke konzentrieren. Bei der U20-EM traue ich ihr zu, ganz vorne mitzulaufen. Zeiten sind dabei gar nicht so relevant. Wenn Jolanda gesund bleibt und den Trainingsumfang kontinuierlich steigert, bin ich mir sicher, dass sie bei Olympischen Spielen an den Start gehen wird. Möglich wäre das sogar schon im nächsten Jahr. Aber da will ich mich nicht aus dem Fenster lehnen. Es hängt auch von ihrer Trainingsplanung ab. 2028 traue ich Jolanda aber ohne Zweifel einen Olympia-Start zu.