Siebenkampf-Olympiasiegerin Nafissatou Thiam hat am ersten Finaltag der Hallen-Europameisterschaften in Istanbul für das Highlight gesorgt: Die Belgierin knackte den elf Jahre alten Fünfkampf-Weltrekord. Mit vier Medaillen hat auch das deutsche Team einen starken Start erwischt.
Elf Jahre ist es her, dass in der Ataköy Athletics Arena von Istanbul (Türkei) ein Kapitel Mehrkampf-Geschichte geschrieben wurde: Bei den Hallen-Weltmeisterschaften verbesserte die Ukrainerin Nataliya Dobrynska den Fünfkampf-Weltrekord auf 5.013 Punkte. Elf Jahre später schrieben bei der Hallen-EM zwei Weltklasse-Mehrkämpferinnen dieses Kapitel ebendort fort. In den Hauptrollen am Freitag: Olympiasiegerin Nafissatou Thiam (Belgien) und Vize-Europameisterin Adrianna Sulek aus Polen. Dieser Clash Royale fand seinen Höhepunkt um 21:05 Uhr Ortszeit im 800-Meter-Rennen.
Und etwas mehr als zwei Minuten später stand fest: Nicht nur "Nafi" Thiam hatte bei ihrem ohnehin schon historischen dritten Titel bei Hallen-Europameisterschaften den Weltrekord gebrochen. Auch Adrianna Sulek hatte einen Punkt mehr erzielt als Dobrynska elf Jahre zuvor. Die neue Bestmarke steht nun bei 5.055 Punkten. Vor allem Sulek hatte auf den finalen 800 Metern alles gegeben und ihre Bestzeit auf 2:07,17 Minuten, im Übrigen exakt eine Hundertstel flotter als ihr Freiluft-Hausrekord, verbessert. Doch auch Thiam, die ihre Stärken eher in anderen Disziplinen hat, lief in 2:13,60 Minuten schneller als je zuvor unter dem Hallendach.
Dass die beiden Top-Favoritinnen in absoluter Weltklasse-Form angereist waren, hatte sich bereits am Vormittag angedeutet. In 8,21 (Sulek) und 8,23 Sekunden (Thiam) starteten beide mit persönlichen Bestleistungen über 60 Meter Hürden. Anschließend spielten sie im Hochsprung (Thiam: 1,92 m | Sulek: 1,89 m) ihre Stärke aus. Mit der Kugel brachte sich dann Thiam (15,54 m; PB) in Poleposition, doch auch Sulek wuchtete den Eisenball mit 13,89 Metern auf eine neue Bestmarke. Im Weitsprung hatte die Polin mit 6,62 Metern und drei Zentimetern Vorsprung vor Thiam die Nase vorn. Hallen-Weltmeisterin Noor Vidts (Belgien) war trotz des beachtlichen Ergebnisses von 4.823 Zählern nur Nebendarstellerin.
Hanna Klein überspurtet Konstanze Klosterhalfen
Spektalulär war jedoch auch das Highlight des Tages aus deutscher Sicht. Mit den schnellsten 3.000-Meter-Zeiten waren Konstanze Klosterhalfen (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Hanna Klein (LAV Stadtwerke Tübingen) nach Istanbul gereist. Und im Finale war es dann Hanna Klein, die sich in 8:35,87 Minuten den Traum vom ersten internationalen Gold erfüllte. Ihre bärenstarke Bestzeit, die sie Anfang Februar in Frankreich aufgestellt hatte, konnte sie nochmals unterbieten – das Sahnehäubchen auf einer erstklassigen Hallensaison.
Rang zwei sicherte sich Konstanze Klosterhalfen in 8:36,50 Minuten. Es war ihre dritte Silbermedaille bei Hallen-Europameisterschaften nach 2017 (1.500 m) und 2019 (3.000 m). Bronze ging wie bereits 2019 an die Britin Melissa Courtney-Bryant. In der Geschichte der Hallen-Europameisterschaften war es der erste Doppelsieg für eine Nation.
Eine zweite deutsche Silbermedaille steuerte Sara Gambetta (SV Halle) im Kugelstoßen bei. Nach einem für die Deutsche Hallenmeisterin nicht ganz zufriedenstellend verlaufenen Winter zeigte sie sich auf den Punkt fit und steigerte ihre Saisonbestleistung von 18,57 auf 18,83 Meter. Nur Hallen-Weltmeisterin Auriol Dongmo (Portugal) war mit 19,76 Metern und europäischer Jahresbestleistung eine Klasse für sich. Bronze holte die Schwedin Fanny Roos (18,42 m), vor zwei Jahren Silbermedaillengewinnerin. Die zweite deutsche Finalistin Julia Ritter vom TV Wattenscheid 01 wurde mit 17,89 Metern Achte.
Hop, Step, Bronze für Max Heß
Das Kugelstoßen war nicht der einzige Wettkampf, bei dem Deutschland und Portugal gemeinsam auf dem Podium vertreten waren. Im Dreisprung räumte Max Heß (LAC Erdgas Chemnitz) mit 16,57 Metern seine vierte Bronzemedaille bei Hallen-Europameisterschaften in Serie ab. Nur ein Zentimeter fehlte auf den Griechen Nikolaos Andrikopoulous. Der portugiesische Weltmeister und Olympiasieger Pedro Pichardo war mit 17,60 Metern allen Konkurrenten deutlich überlegen.
Teil eins seiner Double-Mission erfüllte Jakob Ingebrigtsen mit Bravour: Der Norweger setzte sich über 1.500 Meter in 3:33,95 Minuten gegen den Briten Neil Gourley (3:34,23 min) und den Franzosen Azeddine Habz (3:35,39 min) durch. Alle drei Medaillengewinner unterboten den bisherigen Meisterschaftsrekord des Ukrainers Ivan Heshko aus dem Jahr 2005 (3:36,70 min).
Die erste Goldmedaille der Hallen-Europameisterschaften hatte unterdessen ein Italiener eingesackt. Kugelstoßer Zane Weir überbot als erster Europäer in diesem Jahr die 22-Meter-Marke und schnappte sich mit 22,06 Metern Gold. Silber ging an den erfahrenen Tschechen Tomas Stanek (21,90 m) vor Roman Kokoshko (21,84 m) mit ukrainischem Landesrekord.
Sprintgold für die Schweiz
Den krönenden Abschluss des Wettkampftages bildete das 60-Meter-Finale mit der Schweizerin Mujinga Kambundji. Die Hallen-Weltmeisterin egalisierte den 37 Jahre alten Meisterschaftsrekord (7,00 sec) und sorgte dafür, dass der Titel nach dem Sieg ihrer Landsfrau Ajla del Ponte vor zwei Jahren in der Schweiz blieb. Silber holte die Hallen-Europameisterin von 2019 Ewa Swoboda (Polen; 7,09 sec) vor Daryll Neita (Großbritannien; 7,12 sec). Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen) sprintete in 7,24 Sekunden auf Platz sieben, die zweite Deutsche Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar) hatte das Finale um drei Hundertstel verfehlt.
In den Vorkämpfen freute sich aus deutscher Sicht vor allem Dreispringerin Kira Wittmann (LG Göttingen): Mit 13,96 Metern, dem zweitbesten Sprung ihrer Karriere und der fünftbesten Weite in der Qualifikation, zog sie bei ihrer Premiere im DLV-Trikot der Aktiven direkt ins Finale ein. Vize-Europameister Tobias Potye (LG Stadtwerke München) machte es im Hochsprung spannend, schaffte dann jedoch im dritten Versuch 2,19 Meter, was ihm den Finaleinzug bescherte. Vorzeitig die Segel streichen musste hingegen Teamkollege Jonas Wagner (Dresdner SC 1898). Auch Stabhochspringerin Anjuli Knäsche (LG Leinfelden-Echterdingen) und 400-Meter-Sprinter Marvin Schlegel (LAC Erdgas Chemnitz) ereilte bereits in der Qualifikation das Aus.