Mit zwei deutschen 4x100-Meter-Rekorden und dem Finaleinzug über 200 Meter bei der EM in München zählte Joshua Hartmann im Jahr 2022 zu den erfolgreichsten deutschen Sprintern. Im Interview mit seinem Verein, dem ASV Köln, bilanziert der Schützling von Jannik Engel die Saison und blickt voraus auf das Jahr 2023, in dem er über 200 Meter mindestens ins Halbfinale bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften im ungarischen Budapest sprinten will.
Joshua Hartmann, wie fällt Ihr Fazit der Saison 2022 aus?
Joshua Hartmann:
Auf den ersten Blick war es natürlich eine sehr gute Saison. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass neben den Höhepunkten wie dem fünften Platz im EM-Finale, den deutschen Rekorden mit der 4x100-Meter-Staffel und meinen neuen Bestleistungen über 100 Meter und 200 Meter auch Dinge passiert sind, die meinem Trainer und mir nicht gefallen …
… Sie meinen die Disqualifikation im 200-Meter-Finale bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin und den verpatzten Wechsel der deutschen 4x100-Meter-Staffel im EM-Finale von München, nachdem Sie zusammen mit Kevin Kranz, Owen Ansah und Lucas Ansah-Peprah im Vorlauf in 37,97 Sekunden deutschen Rekord gelaufen sind.
Joshua Hartmann:
Ja, genau. Dass mir in Berlin der Titel aberkannt wurde, weil ich im Finale in der Kurve auf die Bahnbegrenzung getreten bin, war schon sehr bitter. Genau wie der misslungene Wechsel bei der EM oder unser Ausscheiden mit der Staffel im Vorlauf bei den Weltmeisterschaften in Eugene.
Lernt man eigentlich als Sprinter für die Zukunft mehr aus den Dingen, die schiefgehen, als aus jenen, die gut laufen?
Joshua Hartmann:
Das würde ich so nicht sagen. Für die Zukunft bringen mir die Erfolge viel mehr. Die Misserfolge analysiert man zwar intensiv und versucht, aus ihnen zu lernen. In München beispielsweise haben ganz viele verschiedene Faktoren dazu geführt, dass ich beim Staffelwechsel zu spät losgelaufen bin, Kevin mit hohem Tempo auf mich aufgelaufen ist und wir den Wechsel nicht mehr hinbekommen haben. Aber nach der Fehleranalyse muss man so etwas schnell abhaken und wieder nach vorn schauen. Die guten Sachen dagegen bleiben viel länger im Gedächtnis und sorgen für neue Motivation.
Zumal Sie ja auch noch ein sehr junges Team sind …
Joshua Hartmann:
… ja, in München hat uns wahrscheinlich schon ein bisschen die Erfahrung gefehlt. Das zeigt die Tatsache, dass Kevin und ich mit unseren 24 und 23 Jahren die Erfahrensten im Team waren. Im Finale von München war sicher auch viel Nervosität im Spiel.
Nach dem deutschen Rekord im EM-Vorlauf zählten Sie zu den Kandidaten für Gold, Silber und Bronze …
Joshua Hartmann:
…und wenn dann 60.000 im Stadion den Namen deines Landes rufen, ist man natürlich nervös. Damit müssen wir in Zukunft besser umgehen.
Was war für Sie persönlich das größte Highlight Ihres Sportjahres?
Joshua Hartmann:
Auf jeden Fall das EM-Halbfinale über 200 Meter von München, in dem ich als erster Deutscher seit über 30 Jahren den Einzug in den EM-Endlauf klargemacht habe. Dieses Rennen war mein erster Einzelstart überhaupt für die deutsche Nationalmannschaft bei den Erwachsenen. Und dann regnete es so stark, dass der Start um eine halbe Stunde verschoben werden musste. Unter diesen Bedingungen so zu performen und persönliche Bestleistung zu laufen, war für mich etwas ganz Besonderes.
Welche Bedeutung haben für Sie die beiden deutschen Rekorde mit der Sprintstaffel? Immerhin haben Sie es zu Beginn der Saison als erstes deutsches Team geschafft, die 4x100 Meter in weniger als 38 Sekunden zu rennen?
Joshua Hartmann:
Eigentlich bin ich ein größerer Fan von Einzelrennen, weil man da sein Schicksal komplett in der eigenen Hand hat und Erfolge, aber auch Misserfolge, allein schultern muss. Aber mit den Jungs zusammen zu laufen, macht auch Bock. Zumal wir jungen Sprinter damit sofort gezeigt haben, dass wir da sind, nachdem einige ältere und erfolgreiche Sprinter ihre Karriere beendet haben. Ich denke auch, dass in den nächsten Jahren noch einige deutsche Rekorde im Sprint fallen werden. Denn so viele große Talente wie derzeit gab es noch nie im deutschen Sprint. 2022 sind sechs Deutsche die 100 Meter in weniger als 10,20 Sekunden gelaufen. Und zwei unter 10,10 Sekunden. So eine Situation ist neu in der deutschen Leichtathletik-Historie.
Wo geht für Sie persönlich die Sprintreise hin?
Joshua Hartmann:
Wenn ich mir vor Augen halte, dass ich in München bei nicht einfachen Bedingungen im bislang wichtigsten Rennen meiner Karriere mit 20,33 Sekunden Bestzeit gelaufen bin, glaube ich fest daran, dass ich mit weiteren Trainingsjahren bei Wärme und ein bisschen Rückenwind die 200 Meter unter 20 Sekunden laufen kann.
Der deutsche Rekord steht seit mittlerweile über 17 Jahren bei 20,20 und der über 100 Meter seit 2016 bei 10,01 Sekunden …
Joshua Hartmann:
Ich traue mir auch zu, irgendwann die 100 Meter unter zehn Sekunden zu laufen, wobei die 20-Sekunden-Grenze für mich schon eher in Reichweite ist. Mein Training läuft aktuell sehr gut, ich bin bei längeren Tempoläufen stark, ohne die Geschwindigkeit auf kurzen Strecken zu verlieren. Insbesondere bei den fliegenden Sprints, wie wir die Läufe nennen, bei denen die Zeit erst dann gemessen wird, wenn das Höchsttempo erreicht ist. Meine Programme sind darauf ausgerichtet, nächsten Sommer 200 Meter zu laufen. Bei den Weltmeisterschaften in Budapest will ich über diese Strecke mindestens das Halbfinale erreichen. Langfristig sind aber auch die 400 Meter eine Option.
Wie vereinbaren Sie Ihr BWL-Studium mit dem Hochleistungssport?
Joshua Hartmann:
Das geht gut, ich kann das Studium dank der Unterstützung der Uni Köln zeitlich so strecken, dass ich professionell trainieren kann. Im Winter studiere ich etwas mehr, weil die Hallensaison für mich nicht die größte Bedeutung hat. Im Sommer studiere ich kaum, da konzentriere ich mich voll auf die Wettkämpfe und das Training.
Wie planen Sie die Hallensaison 2023?
Joshua Hartmann:
Ich werde nur früh in der Saison ein paar hochkarätige Rennen über 60 Meter laufen. Damit arbeite ich auch daran, meine Höchstgeschwindigkeit so schnell wie möglich zu erreichen, was mir bislang noch nicht optimal gelingt. Die 200 Meter laufe ich in der Halle gar nicht, weil in den Steilkurven das Verletzungsrisiko erhöht ist. Im Februar beginnt auch schon wieder die Vorbereitung auf den Sommer.