Es war ein intensives Jahr für die Leichtathletik. Weltmeisterschaften in den USA. Europameisterschaften im eigenen Land. Und auch der Nachwuchs war international gefordert. Was bleibt in Erinnerung? Wir werfen einen Blick zurück auf dieses besondere Jahr 2022. Heute: der Zehnkampf.
Das ist 2022 passiert
Wer sich am 16. August 2022 im Münchner Olympiastadion aufhielt, wird diesen Tag ganz sicher nicht vergessen. Denn mit fünf DLV-Medaillen entpuppte sich der zweite EM-Tag als „Super Tuesday“ für die deutsche Mannschaft. Maßgeblichen Anteil daran hatten die Zehnkämpfer. Zwar weiß spätestens seit seinem WM-Triumph 2019 jeder Mehrkampf-Fan: Kein Allrounder weltweit ist in Summe der beiden letzten Disziplinen besser als Niklas Kaul (USC Mainz).
Doch dass der 24-Jährige im Speerwurf und auf den 1.500 Metern einen Rückstand von sage und schreibe 520 Punkten auf den führenden Schweizer Simon Ehammer aufholte und sich von Platz sieben nach dem Stabhochsprung noch zum EM-Titel katapultierte, war einmalig und riss das Heim-Publikum von seinen Sitzen. Schon nach 76,05 Metern mit dem Speer, Kauls bestem Wurf seit WM-Gold, erklang „Oh, wie ist das schön“ aus den Boxen. Und nach einer persönlichen Bestleistung über 1.500 Meter (4:10,04 min), die 8.545 Punkte und Gold bedeutete, war der Jubel grenzenlos.
Für den zweiten denkwürdigen Moment der EM sorgte im letzten Zehnkampf seiner Karriere Arthur Abele. Der Titelverteidiger wurde über 110 Meter Hürden nach einem vermeintlichen Fehlstart zunächst disqualifiziert. Dann hatte ein Protest des deutschen Teams Erfolg und der 36-Jährige durfte im Anschluss an den Diskuswurf über die Hürden sprinten. Die Aufmerksamkeit im Stadion gehörte bei tosendem Applaus dem Solo-Lauf des Ulmers. Wenige Stunden später wurde der „Stehaufmann“ der deutschen Leichtathletik von Zehnkampf-Familie und Zuschauern verabschiedet. Sein Ergebnis zum Abschluss (7.662 Pkt) war zweitrangig, ihm gebührte die Anerkennung für unzählige Comebacks.
Weitere deutsche Protagonisten in München: Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied), mit soliden 8.151 Punkten Achter, und der Ulmer Tim Nowak, der nach dem Hochsprung einen Kreislaufkollaps erlitt und den Zehnkampf nicht beenden konnte.
Aufhorchen ließ der 22-jährige Leo Neugebauer (LG Leinfelden-Echterdingen). Er erzielte Anfang Juni in Eugene (USA) 8.362 Punkte und wurde bei der WM an selber Stätte Zehnter (8.182 Pkt). Damit war er zweitbester Deutscher hinter dem sechstplatzierten Kaul (8.434 Pkt) und landete vor Kai Kazmirek (12.; 8.113 Pkt) und Tim Nowak, der trotz Salto nullo im Stabhochsprung den Wettkampf zu Ende brachte.
Viel Geduld beweisen musste Manuel Eitel (SSV Ulm 1846). Drei von Verletzungen geprägte Jahre nach seinem letzten abgeschlossenen Zehnkampf feierte er bei den Deutschen Mehrkampf-Meisterschaften in Bernhausen ein emotionales Comeback mit Bestleistung (8.189 Pkt). Drei Wochen später legte er in Talence (Frankreich) noch einmal vier Zähler drauf. Sein Ulmer Vereinskollege Mathias Brugger, einstiger WM- und EM-Teilnehmer, verabschiedete sich hingegen vom Zehnkampf.
Zwei weitere Goldmedaillen gingen auf das Konto der Nachwuchs-Athleten. Anfang Juli räumte in Jerusalem Amadeus Gräber (SV Leonardo-da-Vinci Nauen) U18-EM-Gold ab. Wie sein Vorbild Kaul in München vollbrachte er in Israel das Kunststück, nach der zehnten und letzten Disziplin zum ersten und einzigen Mal auf dem Goldrang zu liegen. Der zweite deutsche Starter Friedrich Schulze (TV Gelnhausen) überzeugte als Fünfter, beim European Youth Olympic Festival (EYOF) in Banská Bystrica (Slowakei) machte der Düsseldorfer Alvar Adler das deutsche Gold-Triple perfekt.
Dem Ulmer Roman Jocher, im vergangenen Jahr U20-EM-Teilnehmer, machten Verletzungen und eine Corona-Infektion einen Strich durch die Rechnung. Bei der U20-WM in Cali (Kolumbien) konnte er nicht an den Start gehen, stellte aber als Deutscher U20-Meister in Bernhausen sein Potenzial unter Beweis. Den Zehnkampf bestritten in Kolumbien Tyrel Prenz (SC Potsdam) und Samuel Werner (LG Nagoldtal), denen das Glück ebenfalls nicht hold war – beide mussten verletzt aufgeben.
Internationale Erfolge
Medaille | Finalplatzierung | |
---|---|---|
Hallen-WM | – | – |
WM | – | 6. Platz: Niklas Kaul, 10. Platz: Leo Neugebauer, 12. Platz: Kai Kazmirek |
EM | Gold: Niklas Kaul | 8. Platz: Kai Kazmirek |
U20-WM | – | – |
U18-EM | Gold: Amadeus Gräber | 5. Platz: Friedrich Schulze |
EYOF | Gold: Alvar Adler | – |
Unser "Ass des Jahres"
Niklas Kaul (USC Mainz)
Europameister
WM-Sechster
Zweiter der europäischen Jahresbestenliste
Achter der Weltjahresbestenliste
Unser "Talent des Jahres"
Amadeus Gräber (SV Leonardo-da-Vinci Nauen)
U18-Europameister
Europäischer und Weltjahresbester der U18
Dritter der ewigen Weltbestenliste der U18
Die deutschen Top Ten 2022
Punkte | Name | Jahrgang | Verein |
---|---|---|---|
8.545 | Niklas Kaul | 1998 | USC Mainz |
8.362 | Leo Neugebauer | 2000 | LG Leinfelden-Echterdingen |
8.272 | Kai Kazmirek | 1991 | LG Rhein-Wied |
8.193 | Manuel Eitel | 1997 | SSV Ulm 1846 |
8.160 | Tim Nowak | 1995 | SSV Ulm 1846 |
8.051 | Malik Diakité | 2000 | Hannover 96 |
8.022 | Maximilian Vollmer | 1998 | LG Region Karlsruhe |
7.940 | Nico Beckers | 1994 | LAV Bayer Uerdingen/Dormagen |
7.880 | Felix Wolter | 1997 | TSV Gräfelfing |
7.862 | Marcel Meyer | 2001 | Hannover 96 |
Statistik – Das sagen die Zahlen
Das deutsche Top-Niveau: Zehnkampf Männer
Jahr | Athleten > 8.100 Punkte * | Schnitt Top 3 | Schnitt Top 5 | Schnitt Top 10 |
---|---|---|---|---|
2005 | 1 | 8.075 | 7.946 | 7.740 |
2006 | 5 | 8.260 | 8.229 | 7.997 |
2007 | 4 | 8.298 | 8.246 | 7.975 |
2008 | 5 | 8.297 | 8.266 | 8.004 |
2009 | 3 | 8.418 | 8.250 | 8.032 |
2010 | 1 | 7.943 | 7.890 | 7.730 |
2011 | 3 | 8.269 | 8.172 | 8.016 |
2012 | 4 | 8.369 | 8.254 | 8.072 |
2013 | 9 | 8.557 | 8.486 | 8.327 |
2014 | 3 | 8.434 | 8.290 | 8.065 |
2015 | 3 | 8.480 | 8.299 | 8.038 |
2016 | 2 | 8.357 | 8.144 | 7.881 |
2017 | 4 | 8.482 | 8.335 | 8.110 |
2018 | 6 | 8.371 | 8.313 | 8.153 |
2019 | 5 | 8.448 | 8.321 | 8.076 |
2020 | 0 | 7.637 | 7.487 | 7.283 |
2021 | 3 | 8.193 | 8.125 | 7.999 |
2022 | 5 | 8.393 | 8.306 | 8.129 |
Entwicklung der internationalen Jahresbestleistungen
Jahr | Deutschland | Europa | Diff. | Welt | Diff. |
---|---|---|---|---|---|
2005 | 8.316 (A. Niklaus) | 8.534 (Sebrle/CZE) | 218 | 8.732 (Clay/USA) | 416 |
2006 | 8.310 (D. Leyckes) | 8.526 (Sebrle/CZE) | 216 | 8.677 (Clay/USA) | 367 |
2007 | 8.371 (A. Niklaus) | 8.697 (Sebrle/CZE) | 326 | 8.697 (Sebrle/CZE) | 326 |
2008 | 8.372 (A. Abele) | 8.585 (Krauchanka/BLR) | 213 | 8.832 (Clay/USA) | 460 |
2009 | 8.522 (M. Schrader) | 8.528 (Pogorelov/RUS) | 6 | 8.790 (Hardee/USA) | 268 |
2010 | 8.202 (P. Behrenbruch) | 8.453 (Barras/FRA) | 251 | 8.483 (Clay/USA) | 281 |
2011 | 8.288 (J.-F. Knobel) | 8.398 (Pahapill/EST) | 110 | 8.729 (Eaton/USA) | 441 |
2012 | 8.558 (P. Behrenbruch) | 8.558 (Behrenbruch) | 0 | 9.039 (Eaton/USA) | 481 |
2013 | 8.670 (M. Schrader) | 8.670 (Schrader) | 0 | 8.809 (Eaton/USA) | 139 |
2014 | 8.477(A. Abele) | 8.616 (Krauchanka/BLR) | 139 | 8.616 (Krauchanka/BLR) | 139 |
2015 | 8.561 (R. Freimuth) | 8.561 (Freimuth) | 0 | 9.045 (Eaton/USA) | 484 |
2016 | 8.605 (A. Abele) | 8.834 (Mayer/FRA) | 229 | 8.893 (Eaton/USA) | 288 |
2017 | 8.663 (R. Freimuth) | 8.768 (Mayer/FRA) | 105 | 8.768 (Mayer/FRA) | 105 |
2018 | 8.481 (A. Abele) | 9.126 (Mayer/FRA) | 645 | 9.126 (Mayer/FRA) | 645 |
2019 | 8.691 (N. Kaul) | 8.691 (Kaul) | 0 | 8.711 (Warner/CAN) | 20 |
2020 | 7.670 (J. Wolff) | 8.260 (Hubert/FRA) | 590 | 8.260 (Hubert/FRA) | 590 |
2021 | 8.263 (N. Kaul) | 8.726 (Mayer/FRA) | 463 | 9.018 (Warner/CAN) | 755 |
2022 | 8.545 (N. Kaul) | 8.816 (Mayer/FRA) | 271 | 8.867 (Scantling/USA) | 322 |
Das fällt auf:
- Nach zwei corona- und verletzungsbedingt schwächeren Jahren hat der deutsche Zehnkampf in Spitze und Breite wieder zu alter Stärke zurückgefunden. Mit sieben Athleten übertrafen drei mehr als im Vorjahr die 8.000-Punkte-Grenze.
- Der Top-Drei-Schnitt hat wieder den Wert der Jahre 2014 bis 2019 erreicht. Die fünf besten deutschen Zehnkämpfer kamen auf einen Durchschnittswert von mehr als 8.300 Punkten. Den Top Ten gelang gar das drittbeste Ergebnis seit Einführung unserer Disziplin-Checks.
- Die größte Steigerung legte Leo Neugebauer hin, der sich im Vergleich zum Vorjahr (7.793 Pkt) um mehr als 500 Punkte verbesserte. Bereits in der Hallensaison hatte er mit 6.148 Punkten im Siebenkampf, Rang sieben der ewigen deutschen Bestenliste sowie nationaler U23-Bestleistung, auf sich aufmerksam gemacht.
- Dank der WM- und EM-Titel von Niklas Kaul und Arthur Abele aus den Jahren 2019 und 2018 erhielt der Deutsche Leichtathletik-Verband bei beiden Saisonhöhepunkten jeweils vier Startplätze. Sowohl in Eugene als auch in München konnte das Kontingent ausgeschöpft werden.
- Mit Malik Diakité und Maximilian Vollmer sind zwei Allrounder neu im 8.000-Punkte-Klub.
- Den deutschen Mehrkämpfern gelang beim Thorpe Cup in Dallas (USA) ein historischer Doppel-Erfolg im Sieben- und Zehnkampf.
- Niklas Kaul holte seinen zweiten internationalen Titel bei den Aktiven. Mit ihm aufs EM-Treppchen in München stiegen der Schweizer Simon Ehammer, bester Weitspringer der Zehnkampf-Geschichte, und Janek Oiglane, der die starke Tradition estnischer Zehnkämpfer fortführte.
- Die europäische Jahresbestleistung erzielte bei seinem zweiten WM-Sieg Frankreichs Weltrekordler Kevin Mayer, der in Eugene vor dem Kanadier Pierce LePage und Zach Ziemek aus den USA triumphierte. Olympiasieger Damian Warner (Kanada) brachte verletzt den Zehnkampf nicht zu Ende.
- Der Weltjahresbeste Garrett Scantling ist seit Juni wegen Verstößen gegen die Anti-Doping-Bestimmungen bezüglich Aufenthaltsort und Manipulation für drei Jahre gesperrt.
- Mit 7.824 Zählern bei der Mehrkampf-DM in Halle/Saale schob sich U18-Europameister Amadeus Gräber auf Rang drei der ewigen Weltbestenliste seiner Altersklasse, in der seit 2015 internationale Titel im Zehnkampf vergeben werden.
leichtathletik.TV-Clips:
Die Disziplin-Analysen im Überblick:
Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Gehen Frauen
Gehen Männer
Hochsprung Frauen
Hochsprung Männer
Stabhochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Weitsprung Frauen
Weitsprung Männer
Dreisprung Frauen
Dreisprung Männer
Kugelstoßen Frauen
Kugelstoßen Männer
Diskuswurf Frauen
Diskuswurf Männer
Hammerwurf Frauen
Hammerwurf Männer
Speerwurf Frauen
Speerwurf Männer
Siebenkampf
* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017