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Lea Meyer – Jedem Rückschlag folgt eine Wendung

Ein Jahr mit vielen Leichtathletik-Höhepunkten neigt sich seinem Ende entgegen. Auf nationaler Ebene waren die Deutschen Meisterschaften in Berlin das Highlight des Sommers, bei denen acht Athletinnen und Athleten erstmals in ihrer Karriere ganz oben standen. Wir stellen sie vor. Heute: Hindernisläuferin Lea Meyer (ASV Köln).
Jan-Henner Reitze

Lea Meyer
ASV Köln

Bestleistung:

3.000 Meter Hindernis: 9:15,35 sec (2022)

Erfolge:

Silber EM 2022
Fünfte U23-EM 2019
Sechste U23-EM 2017
Bronze Cross-EM U20 Mannschaft 2013
Deutsche Meisterin 2022

Die Geschichte ihres Jahres ist an Dramatik kaum zu überbieten: Es begann mit Trauer um ihren verstorbenen Trainer Henning von Papen. Dann purzelten in der Halle und zum Start der Freiluftsaison die Bestzeiten, in Berlin gewann Lea Meyer ihren ersten deutschen Meistertitel. Im WM-Vorlauf von Eugene (USA) folgte ein sportlicher Rückschlag: Spektakulärer Sturz in den Wassergraben, der auch groß durch die Medien ging, aber zum Glück keine Verletzung mit sich brachte.

Im Anschluss wurde die Vorbereitung auf die Heim-EM von einer Corona-Infektion gestört. In München gewann die Hindernis-Spezialistin dennoch überraschend und mit einer Steigerung um zehn Sekunden auf 9:15,35 Minuten die Silbermedaille. Beim Saisonabschluss in Brüssel (Belgien) dann wieder ein Sturz, diesmal auch mit Verletzungsfolgen: einem Bänderriss und einer Fraktur im Knöchelgelenk.

Über das emotionale Auf und Ab der vergangenen Monate spricht die 25-Jährige ausführlich in unserem DLV-Podcast #TrueAthletes – TrueTalk. Es steht aber auch sinnbildlich für den Verlauf ihrer gesamten bisherigen Karriere. Mehrfach stand die sportliche Zukunft in Frage, immer neue Wendungen führten aber doch zurück auf die Laufbahn.

Frühe Erfolge, erster Irrweg

Die ersten Erfahrungen mit der Leichtathletik verliefen noch wie bei vielen anderen Athletinnen und Athleten. In ihrer Heimat im niedersächsischen Löningen begann Lea Meyer im Grundschulalter mit der Kinderleichtathletik und probierte sich zuerst in allen Disziplinen. Es stellte sich aber schnell heraus, dass sie besonders Talent für das Laufen hat. Um einseitigen Belastungen entgegenzuwirken und weil ihr Schwimmen auch gefiel, startete die damalige Schülerin zum Ausgleich zwischendurch auch mal im Triathlon.

Unter der Anleitung ihres Jugendtrainers Armin Beyer beim VfL Löningen feierte das Talent frühe Erfolge. 2013 zählte sie noch zur Altersklasse W15, gewann aber schon gegen ältere Konkurrenz in der U18 in Mönchengladbach den deutschen Jugendmeistertitel über 1.500 Meter (4:30,57 min). „Damit kamen Gedanken an eine mögliche Karriere im Leistungssport auf und daran, einmal international für Deutschland zu starten.“

Dieser Wunsch erfüllte sich schon ein Jahr später mit der Teilnahme an der Cross-EM in Belgrad (Serbien), die auch gleich mit einer internationalen Medaille gekrönt wurde, Bronze mit der DLV-Mannschaft in der Altersklasse U20. Dazu kamen erste Starts über 1.500 Meter Hindernis, die in den Jahren 2013 und 2014 jeweils den DM-Titel der U18 in Rostock (4:46,13 min) und Wattenscheid (4:47,18 min) brachten.

Mit dem Gedanken, ihre leistungssportlichen Ambitionen dort besser verfolgen zu können, verließ die damals 17-Jährige ihr Elternhaus, um mit dem Beginn der Oberstufe ins Sportinternat in Hannover umzuziehen. Doch dies erwies sich als Fehlentscheidung. „Ich musste feststellen, dass dieses System nicht das richtige für mich war. Dazu kam erstmals für mich eine kleine Verletzung. Ich konnte und wollte nicht mehr laufen. Außerdem lief es auch in der Schule nicht“, erinnert sich Lea Meyer. „Nach dem Höhenflug vorher war das sehr hart.“ 2015 absolvierte sie gar keine Wettkämpfe und kehrte für ihr letztes Schuljahr wieder in ihre Heimat nach Löningen zurück.

Wiederaufbau in Löningen, folgt nächster Umweg über die USA    

Nicht nur die schulische Laufbahn, sondern auch die sportliche musste nach dem gescheiterten Hannover-Plan erst einmal wieder in geordnete Bahnen gebracht werden. „Ich musste mir erst einmal klar werden, ob ich überhaupt zurück möchte in den Leistungssport.“ Mit Armin Beyer stand ihr dabei wieder eine Vertrauensperson zur Seite und es ging wieder aufwärts, auch während die Athletin nach bestandenem Abitur ein soziales Jahr absolvierte.

Als Zweite der Jugend-DM über 2.000 Meter Hindernis (6:50,32 min) meldete sie sich noch in der Altersklasse U20 zurück. Ein Jahr später und mit einer enormen Steigerung belegte die damals 19-Jährige mit ihrer ersten 3.000-Meter-Hindernis-Zeit unter zehn Minuten (9:58,16 min) den sechsten Platz bei der U23-EM in Bydgoszcz (Polen).

Obwohl nicht ganz davon überzeugt und ohne die Möglichkeit, dort ihr Wunschstudium Lehramt aufzunehmen, nahm die Niedersächsin im Herbst 2017 ein US-Stipendium an und ging an die Universität von San Francisco. „Das war letztlich ein ähnliches Abenteuer wie das Internat“, erzählt Lea Meyer. Die Rahmenbedingungen waren zwar professionell, die Betreuung dafür eher unpersönlich. „Ich war nicht offen und bereit dafür.“ So ging es nach weniger als einem Jahr und wieder mit Unsicherheiten zurück nach Deutschland, die Leistungsfähigkeit war nicht auf dem Niveau des Vorjahres. Auf der Habenseite blieben Erfahrungen und Bekanntschaften, unter anderem mit der späteren EM-Dritten von München Elizabeth Bird (Großbritannien).

Leistung kommt zurück, aber Spaß geht verloren

Der neue Plan war, in Hamburg ein Lehramtsstudium aufzunehmen und dort unter der Anleitung von Beate Conrad zu trainieren. Kurz nach dem Umzug dorthin wieder ein Wendung: Die Stelle ihrer neuen Trainerin wurde nicht verlängert, Beate Conrad ging zurück nach Berlin und ihr Neuzugang pendelte regelmäßig zum Training dorthin oder absolvierte ihre Einheiten allein.

Das folgende Jahr 2019 wurde dennoch in Bezug auf die rein sportlichen Daten wieder ein erfolgreiches. Neben dem deutschen U23-Titel in Wetzlar (10:00,17 min) steigerte die damals 21-Jährige ihre Bestzeit über 3.000 Meter Hindernis auf 9:54,84 Minuten und belegte bei ihrer zweiten U23-EM in Gävle (Schweden) Platz fünf (9:55,37 min). Doch die Gefühlswelt passte so gar nicht zu den eigentlich positiven Ergebnissen.

Lea Meyer fühlte sich ausgebrannt. Statt mit eigentlich gewohnter Freude zum Training zu gehen, waren die Einheiten zur Pflichtaufgabe geworden. Freude kam trotz der guten Leistungen keine auf. So konnte es nicht weitergehen, und innerlich verabschiedete sich die Studentin sogar schon vom Leistungssport. „Ich habe einen Break gebraucht.“

Bei Henning von Papen endlich wieder sportlich zu Hause

In Köln sollten die Prioritäten neu geordnet werden: Das Lehramtsstudium, das übrigens wegen der sich von Hamburg unterscheidenden Ausgestaltung wieder von vorn losging, sollte mehr in den Vordergrund rücken, der Sport eher zur Freizeitbeschäftigung werden in der Gruppe von Henning von Papen. Da war es für Lea Meyer sportlich auch nicht tragisch, dass die von vielen anderen Athletinnen und Athleten heiß ersehnte Saison 2020 kräftig von der Corona-Pandemie durcheinandergewirbelt wurde.

Die Hindernisläuferin fand in dieser Zeit nicht nur den Spaß am Training wieder, sondern in der Gruppe eine echte sportliche Heimat, insbesondere dank ihres neuen Trainers, der immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Gedanken neben dem Sport hatte, ihr zuhörte und sie nicht unter Druck setzte, Bestzeiten zu jagen. Denen kam die Athletin in der „Late Season“ des dann nicht olympischen Sommers wieder nah, unter anderem beim ISTAF (9:55,46 min). Und ganz ohne Zwang war die Rückkehr in den Leistungssport vollzogen. Dafür, wie gut sie in Köln angekommen war, steht auch der folgende Entschluss für den ersten Vereinswechsel überhaupt, vom langjährigen VfL Löningen zum ASV Köln.

Schon 2021 machte deutlich, welche Leistungen möglich werden, wenn sich die Hindernisläuferin wohlfühlt und kontinuierlich an ihren Fähigkeiten arbeitet. In der Hallensaison kratzte sie über 3.000 Meter an der Neun-Minuten-Grenze und nahm in Torun (Polen) erstmals an einer Hallen-EM teil. Der Sommer brachte eine Pulverisierung der Hindernis-Bestzeit bis auf 9:29,26 Minuten, die direkt zu den Olympischen Spielen nach Tokio (Japan) führte.

2022 voller Höhen und Tiefen

Im Verlauf ihrer sportlichen Laufbahn hat Lea Meyer also schon manches Tal durchschritten und mehrfach zurückgefunden. Erfahrungen, auf die sie im Jahr 2022 zurückgreifen konnte, das in rasender Geschwindigkeit eine weitere emotionale Achterbahnfahrt bereithielt. Was sich trotz aller Umstände wiederholt als Konstante herausstellte, war die körperliche Leistungsfähigkeit, die weder durch die Trauer um Henning von Papen noch den Sturz bei der WM oder die folgende Corona-Erkrankung gemindert wurde.

„Ich denke einfach, dass sich das Training der vergangenen Jahre auszahlt und gefestigt hat. Mein Körper hat gezeigt, dass er das System annimmt. Ich konnte auf höherem Niveau trainieren und fühle mich auch bei höheren Geschwindigkeiten wohl.“

So richtig Zeit, die Ereignisse der vergangenen Monate zu verarbeiten, ist noch nicht geblieben. Denn der Sturz beim Saisonabschluss hinterließ die nächste Herausforderung. Erst einmal war Geduld gefragt, die Verletzungen ausheilen zu lassen. Mittlerweile läuft das Training wieder langsam an.

Niveau bestätigen, Sicherheit in der Technik erhöhen

Da sie als Motivation fürs Training auch gern auf kurzfristigere Ziele hinarbeitet, hat sich Lea Meyer den 4. Februar 2023 „als Datum an die Wand gehängt“. Dann macht die World Indoor Tour des Weltverbandes World Athletics Station in Boston (USA). Im vergangenen Winter hatte die DLV-Athletin ihre 3.000-Meter-Bestzeit bei diesem Event auf 8:55,30 Minuten verbessert. „Dort möchte ich nächstes Jahr möglichst wieder fit am Start stehen. Das ist das nächste kleine Ziel.“

Mit ihrem Trainer Tobias Kofferschläger, der nach dem Tod von Henning von Papen die Betreuung übernommen hatte, möchte die EM-Zweite die kontinuierliche Aufbauarbeit der vergangenen Jahre fortsetzen und an noch als Schwachstellen empfundenen Faktoren feilen. „Ich kann in der Technik noch sicherer werden. Es ist eine andere Herausforderung, in Rennen mit vielen Athletinnen auf Weltklasse-Niveau über die Hindernisse zu gehen. Auch bei der Grundlagenausdauer ist noch was drin.“

Dass in der kommenden Saison mehr Augen auf sie gerichtet sein werden, ist der 25-Jährigen klar. In diesem Bewusstsein sieht sie aber auch schon die wichtigste Voraussetzung, damit zurechtzukommen. „Ich setze mich frühzeitig damit auseinander, damit ich nicht kurz vor dem ersten Wettkampf von meiner neuen Rolle überrascht werde. Und sie ist ja auch nicht als Belastung zu begreifen. Was ich schon geleistet habe, ist ja etwas sehr Schönes, das ich mir selbst erarbeitet habe. Ich möchte bei meiner Einstellung bleiben, jedes Rennen als Chance zu sehen und nicht als Drucksituation.“

Video-Interview (EM): Lea Meyer: "In 50 Jahren denke ich wahrscheinlich noch daran, was heute passiert ist"
Video-Interview (DM): Lea Meyer: "Ich wollte meinen Schritt laufen"
Video (#TrueAthletes Classics): Lea Meyer steigert Bestzeit auf Platz fünf um mehr als sieben Sekunden

Das sagt Bundestrainer Markus Kubillus:

Lea ist eine vollkonzentrierte, absolut professionelle Athletin mit großem Selbstbewusstsein und einer klaren Zielorientierung. Der Tod von Henning von Papen war ein tragischer Schicksalsschlag. Er war ein geschätzter Kollege, der Lea wieder toll aufgebaut hat.

Mit Tobias Kofferschläger hat Lea auch jetzt einen kompetenten Coach an ihrer Seite. Es ist bemerkenswert, wie gut die Trainingssteuerung und das gesamte Coaching in diesem Jahr funktioniert haben, aber auch welche mentale Stärke Lea bewiesen hat.

Nach dem Sturz in Eugene und einer Corona-Infektion hat sich Lea wieder bei einer internationalen Meisterschaft gestellt. In München stand sie topfit am Start, von Runde zu Runde sind Sicherheit und Selbstvertrauen gewachsen. Sie hat ihre Chance genutzt und ist mit Silber sowie einer sehr guten Zeit belohnt worden.

Bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin ist Lea leider konkurrenzlos gewesen, weil Gesa Felicitas Krause absagen musste. Das wäre ein interessantes Rennen geworden, für beide Athletinnen. Darauf können wir uns im nächsten Jahr hoffentlich freuen. Dazu könnten weitere Nachwuchsathletinnen den Anschluss an die nationale Spitze herstellen und der Disziplin insgesamt einen weiteren Schub geben.

Für Lea gilt es, nach dem Sturz und der Verletzung beim Saisonabschluss erst einmal wieder belastbar zu werden. Daran arbeitet sie akribisch. Verläuft dies nach Plan, können wir uns im nächsten Jahr wieder auf sehr gute Rennen von Lea freuen. Es wird darum gehen, das in München gezeigte Niveau zu stabilisieren und in verschiedenen Rennsituationen mit starken Konkurrentinnen abzurufen.

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