| Interview der Woche

Mateusz Przybylko & Tobias Potye: „Der deutsche Hochsprung ist wieder da!“

Für eines der Highlights bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin haben am Sonntag Mateusz Przybylko (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Tobias Potye (LG Stadtwerke München) gesorgt. Die beiden Hochspringer flogen über 2,30 Meter und erzielten damit nicht nur die beste Höhe bei einer DM seit 2018, sondern hakten auch die EM-Norm für München (15. bis 21. August) ab und katapultierten sich in Europas Spitze. Im Interview der Woche berichtet das Hochsprung-Duo vom DM-Wettkampf bei hochsommerlichen Temperaturen und blickt auf die Rückschläge zurück, die beide erlitten und nach denen sie sich nun stark zurückgemeldet haben.
Svenja Sapper

Mateusz Przybylko, Tobias Potye, herzlichen Glückwunsch zum geteilten deutschen Meistertitel! Man sagt, geteilte Freude sei doppelte Freude. Wie groß ist die Freude bei Ihnen heute?

Mateusz Przybylko:

Bei mir ist die Freude sehr groß! Bei Tobias auf jeden Fall auch, glaube ich – mit seiner PB!

Tobias Potye:

Ich habe gerade Gänsehaut… Ich würde ganz allgemein sagen, dass der deutsche Hochsprung wieder back ist! Da hinten steht auch noch einer, den darf man nicht vergessen [der Drittplatzierte Jonas Wagner vom Dresdner SC; Anm. d. Red.]. Es war nur eine Frage der Zeit, aber die Hochsprung-Männer sind jetzt richtig stark!

Sie haben nun beide die EM-Norm von 2,30 Metern erfüllt. Das ist eine Leistung, die außer Ihnen in diesem Jahr nur zwei europäische Hochspringer erbracht haben. Wie sehr motiviert das?

Mateusz Przybylko:

Ach, ich gucke mir gar nicht die anderen Leute an. Man muss immer den Fokus auf sich selber richten. Damals, bei meinem EM-Titel 2018, habe ich auch nicht auf die anderen geachtet, wer auch immer in der Bestenliste vor mir war. Man muss im Wettkampf das Beste rausholen, was man kann, und einfach Spaß haben. Wenn das klappt, dann kann man auch die Besten schlagen.

Wie hart war der Wettkampf – bei Hitze in der prallen Sonne? Der Hochsprung hat sich ja auch lange hingezogen …

Mateusz Przybylko:

Ich habe gedacht, ich kippe irgendwann um! Als wir beide über 2,30 Meter gesprungen sind, dachte ich: „Boah, ich kann nicht mehr!“ Zwischendurch war mir so schwindelig und ich habe nur noch verschwommen gesehen. Es war viel zu heiß. Und der Wettkampf hat sehr lange gedauert, das war ein bisschen blöd.

Tobias Potye:

Andererseits, wenn es so warm ist, ist das besser, als wenn ein kalter Wettkampf sich zieht.

Trotz der Hitze konnten Sie sich in einem spannenden Duell bis zur EM-Norm hochschaukeln. Tobias, Sie haben immer vorgelegt, und Mateusz, Sie mussten nachziehen …

Tobias Potye:

Ich habe im Vorfeld Hans-Jörg Thomaskamp, dem Bundestrainer, geschrieben: „Mir reicht’s! In Berlin knallt’s!“ Wir haben so viele Wettkämpfe verschenkt, wir hatten so oft schlechte Bedingungen im Vorfeld. Internationale Wettkämpfe, wo man sich nicht so hochschaukeln konnte. Ich bin sehr froh, dass uns das heute endlich mal gelungen ist!

Mateusz, Sie standen international bereits ganz oben, wurden 2018 hier in Berlin Europameister. Danach folgten herausfordernde Jahre. War es die Magie des Olympiastadions, die dafür gesorgt hat, dass der Knoten bei Ihnen wieder geplatzt ist?

Mateusz Przybylko:

Nicht unbedingt. Ich habe schon in den Wettkämpfen davor gemerkt, dass wieder was geht. Nur hat da der Anlauf noch nicht so funktioniert. Wir haben noch etwas Feinabstimmung gemacht, in der Woche vor den Deutschen habe ich mich mit meinem Coach zusammengesetzt und wir sind vom Achter wieder auf den Zehner gegangen, den langen Anlauf. Im Training haben wir dann schon gemerkt, dass ich damit auf jeden Fall 2,30 Meter oder höher springen kann. Klar, Berlin ist mein Wohnzimmer, ich fühle mich hier heimisch. Es macht mir Spaß, auch bei den Bedingungen. So ein Top-Wettkampf zwischen uns Beiden ist auch geil, und dann noch die Zuschauer, die anfeuern.

Was haben Sie aus den vergangenen Jahren gelernt?

Mateusz Przybylko:

Ich habe mich mehr mit der Physis auseinandergesetzt, mit meinem Körper. Ich höre jetzt mehr auf mich und meine Füße und lasse die Wehwehchen, die ich immer mal wieder habe, checken, bevor ich zu einem Wettkampf fahre, damit ich mich nicht komplett zersäge. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste, ich bin jetzt ein alter Hase hier im Hochsprung.

Tobias Potye:

Jetzt komm schon, rede dir das nicht ein!

Mateusz Przybylko:

Nein, stimmt schon, ich bin ein alter Hase. Aber ich fühle mich fit, ich bin top drauf und ich achte auf meinen Körper.

Tobias Potye, Sie haben lange auf Ihr großes Ziel hingearbeitet, die 2,30 Meter zu überspringen. Wie groß ist die Erleichterung, dass die „magische Marke“ heute gefallen ist?

Tobias Potye:

Ich bin voll happy, dass das heute geklappt hat. Es war ein langer Prozess. Das klingt jetzt blöd, aber es hat gedauert, bis ich mir das erst mal vorstellen konnte. Weil sich das in meinem Kopf irgendwie so eingeschlichen hatte, dass das eine krasse Höhe ist und man plötzlich so viel trainieren und umstellen muss. Es hat gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich das eigentlich schon draufhabe und gar nicht noch mehr können oder trainieren muss. Und wenn man mal ehrlich ist, hat mein Körper, speziell mein Knie, mir das auch zwei, drei Jahre lang verwehrt, richtig hoch zu springen.

Sie haben Ihre Knieprobleme eben angesprochen. Wie haben Sie diese Beschwerden wieder in den Griff bekommen?

Tobias Potye:

Sagen wir mal so: Ich habe schon viele Therapieansätze hinter mir. Ich bin richtig froh, dass ich durch die Unterstützung des DLV ein Rehaprogramm gemeinsam mit dem Partner Red Bull betreiben konnte seit Anfang des Jahres. Seither mache ich wieder große Fortschritte. Das gibt mir Rückenwind und neues Vertrauen. Ich habe auch mit einem US-Trainer gearbeitet, der darauf spezialisiert ist. Das war der erste Ansatz. Ich bin immer noch in Kontakt mit all diesen Leuten, aber am Ende kann ich Ihnen nicht sagen, wie genau man diese Probleme löst. Das ist auch Kopfsache.

Apropos Kopfsache: Sie haben sich in der Vergangenheit auch Unterstützung durch Balian Buschbaum [Ex-Stabhochspringer, Buchautor und Unternehmens-Coach] geholt. Wie konnte er Ihnen weiterhelfen?

Tobias Potye:

Er hat mir sehr gut geholfen, meine Gedanken zu sortieren. Das mit dem Glauben, dass ich das draufhabe, war auch ein Prozess. Er hat mich begleitet und mich zu der Überzeugung geführt, dass ich mir das zutraue.

Welche Rolle spielen für Sie Ihre jeweiligen Trainer?

Tobias Potye:

Eine ganz große. Das gute Zureden der Trainer und das Glauben, Festhalten an uns ist schon eine Sache, die einem am Ende Vertrauen gibt. Manchmal glaubt mein Trainer Sebastian Kneifel sogar mehr an mich als ich selbst.

Mateusz Przybylko:

Hans-Jörg Thomaskamp und ich arbeiten schon seit zwölf Jahren zusammen. Ich vertraue sehr auf ihn und seine Kompetenz. Wir werden bis zum Ende zusammenarbeiten, bis ich aufhöre. Er ist wie mein zweiter Papa geworden. Er kennt mich, er weiß, worauf wir achten müssen. Ich vertraue ihm so sehr!

Als Erstplatzierte mit EM-Norm können Sie jetzt beide für die Titelkämpfe in München planen. Insbesondere für Sie, Tobias, als Münchner spielen diese Heim-Europameisterschaften sicher eine besonders große Rolle …

Tobias Potye:

Die EM ist mir persönlich natürlich sehr wichtig. Ich habe ein sehr gutes Gefühl. Ich wollte mit einer 2,30 dorthin reisen und ich denke, das ist jetzt geritzt. Wir freuen uns beide riesig auf die Titelkämpfe.

Mateusz Przybylko:

Ich denke von Wettkampf zu Wettkampf. Bei der EM hoffe ich, wenn das Publikum uns pusht, kann es auch sein, dass wir beide explodieren und um den Titel kämpfen. Man weiß ja nie, was passiert. Das ist Leistungssport.

Im Video: Mateusz Przybylko und Tobias Potye im Duo über 2,30 Meter

DM 2022 Berlin

 

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