| DM 2022 Berlin

DM Tag 1: Gina Lückenkemper verzaubert mit 10,99 Sekunden

Gina Lückenkemper hat am Samstag, dem ersten Tag der Deutschen Meisterschaften in Berlin für das absolute Glanzlicht gesorgt. Die Berlinerin blieb im Finale über 100 Meter mit 10,99 Sekunden erstmals seit vier Jahren wieder unter der 11-Sekunden-Marke. In der Vormittagssession katapultierte sich Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre mit 5,90 Meter auf Platz drei in der aktuellen Weltbestenliste. Ihren vierten Titel im Diskuswurf gewann Kristin Pudenz mit der Weltklasse-Weite von 67,10 Metern.
Alexandra Dersch

DM 2022 Berlin

Druckvoll, selbstbewusst und sagenhaft schnell: Gina Lückenkemper (SCC Berlin) verzauberte im Finale über 100 Meter der Deutschen Meisterschaften die Leichtathletik-Fans mit einem Auftritt, der im kollektiven Gedächtnis bleiben wird und sie selber im Ziel zu Freudentränen rührte. Mit 10,99 Sekunden blieb die 25-Jährige zum vierten Mal in ihrer immer noch jungen Karriere unter elf Sekunden (zum Video), zuletzt war ihr diese außergewöhnliche Leistung im Jahr 2018 gelungen. „Ich liebe dieses Stadion und die Stimmung hier“, sagte die EM-Zweite des Jahres 2018 am Stadionmikrofon und rief: „Gina is back.“ Nur Kathrin Krabbe war bei ihrem Meisterschaftsrekord von 10,91 Sekunden im Jahr 1991 schneller als Gina Lückenkemper bei Deutschen Meisterschaften. Für Gina Lückenkemper war es der dritte DM-Titel unter freiem Himmel.

In Lückenkempers Sog blieb Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar) erneut unter der EM-Norm (11,24 sec) und stellte ihre Saisonbestleistung von 11,20 Sekunden ein. Bronze ging an die Paderbornerin Yasmin Kwadwo (11,44 sec). Titelverteidigerin Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen) musste kurzfristig krankheitsbedingt auf ihren Start verzichten.

Bei den Männern war der Hamburger und Jahresschnellste Owen Ansah in starken 10,09 Sekunden nicht zu schlagen (zum Video). Der Deutsche Hallenmeister über 200 Meter hatte auf den letzten Metern des 100-Meter-Finals den besten Schritt, blieb hochkonzentriert und wirbelte so das Feld von hinten auf. Julian Wagner (LC Top Team Thüringen) stellte in 10,12 Sekunden seine Saisonbestzeit ein – es war die erste DM-Medaille unter freiem Himmel für den 24-Jährigen. Bronze in diesem spannenden Finale ging an Owen Ansahs Trainingskollegen, den Deutschen Hallenmeister über 60 Meter Lucas Ansah-Peprah (Hamburger SV; 10,17 sec).

Kristin Pudenz in bestechender Form

Weiter und immer weiter fliegt der Diskus von Kristin Pudenz. Die Olympia-Zweite steigerte sich in einem hochklassigen Finale auf 67,10 Meter, schob sich damit auf Platz 16 der ewigen deutschen Bestenliste und bestätigte damit ihren derzeitigen Platz drei in der Welt (zum Video). Dabei ließ sich die Potsdamerin auch nicht von einer zwischenzeitlichen Unwetter-Unterbrechung irritieren, die an die Olympischen Spiele von Tokio erinnerte. Auch damals konnte die Top-Werferin mental mit dieser Zwangspause bekanntlich höchst professionell umgehen. „Meine Familie war hier und es war wirklich ein emotionaler Moment für mich“, sagte Kristin Pudenz, für die es der vierte DM-Titel in Serie war.

In Pudenz' Schatten lieferten sich die Hallenserin Shanice Craft und Julia Harting (SCC Berlin) ein Duell auf Welt-Niveau. Im vierten Versuch legte die EM-Zweite von 2016, Julia Harting, mit 64,34 Metern vor – eine Weite, die sie zu Jubelsprüngen animierte, warf sie damit doch erstmals über die WM-Norm und so weit wie seit 2016 und seit der Geburt ihrer Zwillinge nicht mehr. Doch Shanice Craft konterte und beförderte den Diskus auf starke 64,64 Meter. Diese Weite brachte ihr schlussendlich Silber ein und wird sie in den kommenden Wochen ruhiger schlafen lassen, denn Platz eins und zwei der DM werden vorrangig nominiert im Hinblick auf die WM in Eugene und auch die EM in München.

Knoten platzt bei Bo Kanda Lita Baehre

Für Bo Kanda Lita Baehre wurde das Olympiastadion in Berlin am Samstagvormittag zu seiner persönlichen Bühne. Der Leverkusener, der auch als Jahresbester nach Berlin gereist war, fackelte im Stabhochsprung-Finale der Deutschen Meisterschaften ein technisches als auch mentales Meisterstück ab. Bis 5,80 Meter nahm der WM-Vierte alle Höhen im ersten Versuch – eine Leistung, die ihm an diesem Tag keiner nachmachen konnte. Als seine Konkurrenten nur noch zuschauten, sprang der 23-Jährige solo weiter, flog in seinem ersten Durchgang über starke 5,90 Meter (zum Video) und sah später auch bei 5,95 Meter vielversprechend aus.

Um zehn Zentimeter schraubte Bo Kanda Lita Baehre mit dieser Leistung seine zwei Jahre alte Bestleistung nach oben und schob sich auf Platz acht der ewigen deutschen Bestenliste. „Dieser Wettkampf gibt mir gut Selbstbewusstsein vor der WM. Es wartet noch ein vollgepackter Terminkalender auf mich in diesem Sommer, aber ich bin happy, dass ich international an den Start gehen kann und werde alles geben, um Deutschland gut zu repräsentieren“, sagte der nun viermalige Deutsche Freiluft-Meister.

Insgesamt war diese Disziplin auch in der Breite von hohem Niveau, denn gleich drei weitere Springer überwanden die 5,70 Meter. Oleg Zernikel (ASV Landau), der entthronte Titelverteidiger, sprang zu Silber vor dem Deutschen Hallenmeister von 2021 Torben Blech (TSV Bayer 04 Leverkusen). Hinter den bekannten Namen war es der Schweriner Gillian Ladwig, der sich um 18 Zentimeter auf eben diese 5,70 Meter steigern konnte.

Demonstration der Stärke von Mohamed Mohumed

Seinen zweiten Titel im Speerwurf gewann der Olympia-Vierte Julian Weber (USC Mainz), der sich mit 86,61 Metern deutlich gegen die Konkurrenz durchsetzte (zum Video). Silber holte Maurice Voigt (LG Ohra Energie; 77,35 m) vor dem Mannheimer 90-Meter-Werfer Andreas Hofmann (MTG Mannheim), der nach Problemen in der Vorbereitung auf 76,33 Meter kam.

Eine Demonstration der Stärke war der Auftritt von Mohamed Mohumed. Der Dortmunder, der in diesem Sommer über 5.000 Meter bereits in 13:03,18 Minuten und damit in der zweitschnellsten Zeit, die je ein deutscher Läufer erreichen konnte, gestoppt wurde, kontrollierte das Rennen über diese Strecke nach seinem Belieben und sparte in 13:43,16 Minuten und seinem dritten Titel in Serie trotz eines harten Finish‘ noch Kräfte für sein Projekt Doppel-Einsatz in Berlin (zum Video). Denn: Am Vormittag hatte der 23-Jährige sich bereits das Finalticket über 1.500 Meter für den zweiten Tag der DM gesichert. Mit Silber und großen Kampfgeist begeisterte der Frankfurter WM-Teilnehmer Sam Parsons in 13:43,48 Minuten vor Wattenscheids Langstrecken-Ass Nils Voigt, der in 13:44,13 Minuten Saisonbestzeit lief.

Neele Eckhardt-Noack zittert

Im Dreisprung boten sich Europas Jahresbeste Neele Eckhardt-Noack (LG Göttingen) und Deutschlands Rekordhalterin Kristin Gierisch (TSV Bayer 04 Leverkusen) ein packendes Duell um den Titel. Pünktlich zum ersten Saisonhöhepunkt des Jahres brachte Kristin Gierisch im vierten Durchgang ihre ganze Erfahrung an die Grube und mit einem tollen Sprung auf 14,00 Meter Titelverteidigerin und Favoritin Neele Eckhardt-Noack enorm in Bedrängnis.

Diese hatte erst in der vergangenen Woche in Madrid (Spanien) ihre Bestleistung auf 14,48 Meter steigern können, in Berlin musste die Hallen-EM-Dritte aber bis zum sechsten und damit letzten Versuch auf ihren ersten 14-Meter-Sprung warten. 14,14 Meter – diese Leistung brachte Neele Eckhardt-Noack ihren dritten Deutschen Freiluft-Titel ein (zum Video). Die Deutsche Hallenmeisterin Jessie Maduka (TV Wattenscheid 01) holte im Olympiastadion Bronze mit 13,77 Metern. Sie hatte in der Vorbereitung mit Knieproblemen zu kämpfen und konnte nur eingeschränkt trainieren.

Im Dreisprung der Männer feierte der ehemalige Europameister Max Heß (LAC Erdgas Chemnitz) seinen sechsten deutschen Meistertitel im Freien. Mit 16,20 Metern war der 25-Jährige unantastbar für die nationale Konkurrenz (zum Video), haderte aber mit der Weite. „Über das Ranking sieht es gut aus mit der WM, aber wir müssen jetzt noch im Training arbeiten, dass es dort und auch bei der EM weiter geht.“

Überraschung über die Hürden

Marlene Meier heißt die Überraschungsmeisterin über 100 Meter Hürden der Frauen. Die 20-Jährige, die im Vorlauf schon mit 13,20 Sekunden ihr Können hatte aufblitzen lassen, lieferte im Finale ein Rennen wie aus einem Guss (zum Video). Mit 13,15 Sekunden holte die Nachwuchs-Athletin ihren ersten DM-Titel bei den Aktiven und rang im Ziel um Worte: „Das ist für mich alles völlig unerwartet, ich weiß noch gar nicht, was ich dazu sagen soll“, sagte die Leverkusenerin, die bei der Hallen-DM in diesem Frühjahr noch auf Platz vier gelaufen war. Hinter der neuen Deutschen Meisterin stellte die Wattenscheiderin Monika Zapalska mit 13,21 ihre persönliche Bestleistung ein.

Eine Gold-Premiere feierte auch Martin Vogel über 110 Meter Hürden. Der Leipziger, der im vergangenen Sommer Silber gewonnen hatte, setzte sich im Finale in Saisonbestzeit von 13,74 Sekunden vor Tim Eikermann (TSV Bayer 04 Leverkusen; 13,78 sec) und dem Sindelfinger Stefan Volzer (13,83 sec) durch (zum Video). Der Favorit und Deutsche Hallenmeister Gregor Traber (LAV Stadtwerke Tübingen) musste sich nach einem Fehlstart im Vorlauf von den Titelkämpfen verabschieden.

Erster Titel für Lea Meyer

Einsam ihre Runden zog Olympia-Teilnehmerin Lea Meyer (ASV Köln) über 3.000 Meter Hindernis. Mit 9:32,44 Minuten trat die 24-Jährige in die großen Fußspuren der zweifachen Europameisterin Gesa Krause (Silvesterlauf Trier), die erkältungsbedingt ihren Titel nicht verteidigen konnte.

Im Hochsprung holte sich Bianca Stichling (TSV Bayer 04 Leverkusen) nach ihrem Titel in der Halle nun auch unter freiem Himmel den Sieg. Die jahresbeste Deutsche meisterte alle Höhen bis 1,87 Meter im ersten Durchgang, erst 1,90 Meter waren zu hoch für die 22-Jährige. Silber teilten sich Lea Halmans (SV Go! Saar 05) und Marie-Laurence Jungfleisch (VfB Stuttgart; beide 1,84 m).

Samantha Borutta verteidigt ihren Titel

Projekt Titelverteidigung – dieser Plan ging auf für Hammerwerferin Samantha Borutta. Die Leverkusenerin, die kürzlich noch mit einer Erkältung zu kämpfen hatte, siegte deutlich mit 67,09 Metern (zum Video). Den Traum von der WM-Norm (72,50 m) konnte sie sich damit jedoch nicht erfüllen. „Ich hatte die Weite drauf, aber es sollte heute nicht sein. Die Enttäuschung ist groß, aber ich habe die Hoffnung, es noch über das Ranking zu schaffen“, sagte die Olympia-Teilnehmerin des vergangenen Jahres.

Im Vorlauf über 400 Meter überzeugte die Chemnitzerin Corinna Schwab, die im Alleingang mit 50,91 Sekunden eine neue persönliche Bestzeit aufstellte (wir berichteten). „Ich wollte unter 51 rennen und mich auch nicht von der Wartezeit stoppen lassen“, sagte die Titelverteidigerin über die Stadionrunde.

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