| Geburtstag

Die Erste über 2,00 Meter: Rosemarie Ackermann feiert 70. Geburtstag

Rosemarie Ackermann schrieb am 26. August 1977 als erste Zwei-Meter-Hochspringerin Sport-Geschichte. Heute wird die Cottbuserin 70 Jahre alt. Wir blicken zurück auf die Karriere einer Athletin, die in ihrer Sportart eine neue Ära begründete.
Martin Neumann

Als Rosemarie Ackermann am Abend des 26. August 1977 beim ISTAF Sport-Geschichte schreibt, sind Spurt-Qualitäten gefragt. Dutzende Fotografen umringen die grüne Schaumstoffmatte im Berliner Olympiastadion, als die Cottbuserin als erste Hochspringerin der Welt 2,00 Meter meistert. Nach dem Sprung schlägt die damals 25-Jährige für einige Sekunden die Hände vors Gesicht. Dann beginnt der Jubel-Sprint in die Stadionkurve – verfolgt von den Fotografen. Heute feiert die Cottbuserin, die vor 45 Jahren eine neue Hochsprung-Ära einläutete, ihren 70. Geburtstag.

„Ich habe schon beim Sprung gespürt, wie gut er ist“, erinnert sich Rosemarie Ackermann an ihren vierten Weltrekord innerhalb von drei Jahren. Sie steigerte dabei die Bestmarke von 1,94 Meter auf die historische Marke. Dabei waren die 2,00 Meter der letzte Weltrekord einer Straddle-Springerin. Danach trugen sich nur noch Vertreterinnen der damals noch jungen Flop-Technik in die Rekordlisten ein. Ein knappes Jahr später steigerte die Italienerin Sara Simeoni den Weltrekord auf 2,01 Meter. 1982 und 1983 verbesserte die Leverkusenerin Ulrike Meyfarth, 1972 in München erste „Flop-Olympiasiegerin“, die Marke auf 2,02 bzw. 2,03 Meter.

Für die neue Flop-Technik zu klein

Auch Rosemarie Ackermann testete die neue Technik. Mit beiden Beinen schaffte sie im Training jeweils 1,80 Meter. Höher wollte es aber nicht gehen. „Mit 1,73 Metern war ich für den Flop zu klein. Außerdem unterscheidet sich die Technik beim Absprung stark, das kann man nach so vielen Trainingsjahren nicht so einfach umstellen“, erklärt die Jubilarin. Sie blieb beim Straddle, auch Wälzer genannt. Der Erfolg gab ihr recht.

Dabei war der erste 2,00-Meter-Sprung beim ISTAF gar nicht geplant. „Ich wollte vor dem Weltcup in Düsseldorf noch einen Test-Wettkampf gegen gute Konkurrenz bestreiten“, blickt die Olympiasiegerin von 1976 zurück. So kam ihr die Einladung von ISTAF-Chef Rudi Thiel entgegen. Sie durfte als eine von wenigen DDR-Sportlerinnen im Olympiastadion starten.

Erster West-Berlin-Besuch mit historischem Sprung gekrönt

Am Morgen des Rekordtags ging’s für Rosemarie Ackermann ohne ihren langjährigen Trainer Erhard Miek vom Trainingszentrum in Kienbaum über Ost-Berlin in den Westen der heutigen Hauptstadt und weiter ins Olympiastadion. Es war ihr erster Besuch überhaupt in West-Berlin. „Rudi Thiel hat mir die Startnummer 20 gegeben und mich mit zwei roten Rosen begrüßt“, so Rosemarie Ackermann. Beides Zeichen für die möglichen 2,00 Meter und diesen besonderen Rekord.

Im Olympiastadion lief für sie dann alles perfekt. Von ihrer Einstiegshöhe von 1,75 Metern bis zu den magischen 2,00 Metern nahm Rosemarie Ackermann alle Höhen im ersten Versuch. Sieben Sprünge für die Ewigkeit. Zwischendurch stellte sie mit 1,97 Metern ihren eigenen Weltrekord ein. „Danach wollte ich unbedingt die 2,00 Meter probieren und nicht nur einen Zentimeter drauflegen. Denn das war die Höhe, die wir damals alle erreichen wollten“, so die Weltrekordlerin. Und gleich beim ersten Versuch flog Rosemarie Ackermann bäuchlings über die magische Marke.

1980 hängt sie die Spikes im olympischen Dorf an den Nagel

Den Sprung in eine neue Zeitrechnung hatte übrigens das angereiste DDR-Fernsehteam nicht im Bild festgehalten. Es sollte einen Beitrag über Edwin Moses drehen, den Olympiasieger und Weltrekordler über 400 Meter Hürden. Als Rosemarie Ackermann die 2,00 Meter überwand, hatte das TV-Team schon zusammengepackt. So musste die Aufzeichnung gegen „harte“ D-Mark bei den Fernsehanstalten der Bundesrepublik eingekauft werden.

Für Rosemarie Ackermann hat der Weltrekord eine vergleichbare Bedeutung wie der Olympiasieg ein Jahr zuvor in Montreal (Kanada). Ihre Schuhe hing sie mit 28 Jahren sprichwörtlich an den Nagel: „Nach Platz vier bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau habe ich im olympischen Dorf einen Nagel in die Wand geschlagen, meine Hochsprung-Spikes drangehängt und bei der Abreise einfach hängen gelassen. Es war für mich schon lange klar, dass dies mein letzter Wettkampf sein würde“, so die Europameisterin von 1974. Wie sie rückblickend dem Sport-Informations-Dienst sagte, habe sie in ihrer langen Karriere „nie wissentlich gedopt“.

Bis heute Weltrekord nur um neun Zentimeter gesteigert

Fast 45 Jahre nach dem ersten Zwei-Meter-Sprung wurde der Weltrekord nur um ganze neun Zentimeter verbessert. Ein Indiz dafür, wie ausgereift die Technik – ob Straddle oder Flop – in den 1970- und 1980er-Jahren schon war. Und Rosemarie Ackermann nennt noch einen anderen Grund. „Als Hochspringerin muss man eine gewisse Körpergröße mitbringen. Heutzutage verteilen sich die Talente auf viel mehr Sportarten als früher, beispielsweise auf Ballsportarten, bei denen großgewachsenen Frauen gefragt sind.“

Für ihre historische Leistung wurde die Cottbuserin 1977 zur „Weltsportlerin des Jahres“ gewählt. Auf eine andere Auszeichnung musste sie hingegen 14 Jahre lang warten. Denn die vom Leichtathletik-Weltverband ausgestellte Rekord-Plakette ging beim DDR-Verband verloren. „Rudi Thiel hat nach der Wende ein Duplikat anfertigen lassen und mir dieses 1991 beim ISTAF überreicht. Dafür bin ich ihm sehr dankbar“, erzählt die Ausnahme-Hochspringerin.

Die Leichtathletik verfolgt Rosemarie Ackermann bis heute, aus der Öffentlichkeit hat sie sich mittlerweile aber fast vollständig zurückgezogen. Gefeiert werden soll im kleinen Kreis. In dem sie vielleicht auch folgende Erinnerung an einen Ausflug nach ihrem ISTAF-Weltrekord bei der Rückreise nach Kienbaum teilen wird: „Der Fahrer hat mich gefragt, ob ich wirklich zum ersten Mal in West-Berlin sei. Als ich das bejahte, hat er mit mir eine kleine Stadtrundfahrt gemacht. Schließlich sollte ich unbedingt einmal den Ku'damm bei Nacht sehen“, erinnert sich Rosemarie Ackermann an diesen ganz besonderen Tag. Für sie wie für die Sport-Geschichte.

Die Weltrekord-Entwicklung im Frauen-Hochsprung

1,92 Meter | Ilona Gusenbauer (AUT) | Wien, 04.09.1971
1,94 Meter | Yordanka Blagoeva (BUL) | Zagreb, 24.09.1972
1,95 Meter | Rosemarie Ackermann (Cottbus) | Rom, 08.09.1974
1,96 Meter | Rosemarie Ackermann (Cottbus) | Dresden, 08.05.1976
1,97 Meter | Rosemarie Ackermann (Cottbus) | Helsinki, 14.08.1977
2,00 Meter | Rosemarie Ackermann (Cottbus) | Berlin, 26.08.1977
2,01 Meter | Sara Simeoni (ITA) | Brescia, 04.08.1978
2,02 Meter | Ulrike Meyfarth (Leverkusen) | Athen, 08.09.1982
2,03 Meter | Ulrike Meyfarth (Leverkusen) | London, 21.08.1983
2,03 Meter | Tamara Bykova (UdSSR) | London, 21.08.1983
2,04 Meter | Tamara Bykova (UdSSR) | Pisa, 25.08.1983
2,05 Meter | Tamara Bykova (UdSSR) | Kiew, 22.06.1984
2,07 Meter | Lyudmila Andonova (BUL) | Berlin, 20.07.1984
2,07 Meter | Stefka Kostadinova (BUL) | Sofia, 25.05.1986
2,08 Meter | Stefka Kostadinova (BUL) | Sofia, 31.05.1986
2,09 Meter | Stefka Kostadinova (BUL) | Rom, 30.08.1987

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024