Ein Tag großer Emotionen und knapper Entscheidungen für das Para Leichtathletik-Team in Tokio: Irmgard Bensusan sprintete zu Silber über 200 Meter und war doch nicht so ganz glücklich, Sebastian Dietz übermannten nach Kugelstoß-Bronze die Tränen ebenso wie Marie Brämer-Skowronek, die ihre Karriere beenden wird. Knappe Entscheidungen gab es bei Merle Menje und Janne Engeleiter.
Nach drei Mal Silber bei den Paralympics in Rio de Janeiro (Brasilien) hatte Irmgard Bensusan für Tokio mit der Goldmedaille geliebäugelt. Am Ende gewann sie in 26,58 Sekunden über ihre Paradedisziplin 200 Meter in der Klasse T64 erneut die Silbermedaille, 0,36 Sekunden hinter der Niederländerin Marlene van Gansewinkel. "Ich habe mein Bestes gegeben", sagte Bensusan, die auf Bahn sieben alle Konkurrentinnen im Rücken hatte: "Leider war eine besser an dem Tag. Ich kann stolz auf mich selbst sein. Silber ist trotzdem eine Medaille. Ich finde, ich habe Silber gewonnen."
Zum Feiern war ihr dennoch nicht zumute, die 30 Jahre alte Doppel-Weltmeisterin vom TSV Bayer 04 Leverkusen wollte nur mit ihrem Trainer Karl-Heinz Düe sprechen und blickte direkt auf die 100 Meter, die noch ausstehen: „Ich gehe jetzt ins Bett, schlafe mich aus, ruhe mich aus, und dann geht es am Donnerstag weiter.“
„Schwerste Medaille“ für Kugelstoßer Dietz
Ursprünglich andere Erwartungen hatte auch Sebastian Dietz an seinen Kugelstoß-Wettkampf in der Klasse F36. Nach Gold 2012 mit dem Diskus und 2016 mit der Kugel fehlten ihm zum erneuten Sieg fast zwei Meter, mit 14,81 Metern war er aber dennoch glücklich, eine Medaille gewonnen zu haben: „Ich bin erleichtert, aber auch glücklich. Das hier war sicherlich die schwerste Medaille, die ich mir erkämpft habe. Mental und körperlich war das der schwerste Weg, den ich gegangen bin. Vor acht Tagen im Trainingslager in Shimanbara wusste ich noch nicht, ob ich überhaupt starten kann“, sagte der 36-Jährige von der BSG Bad Oeynhausen mit Blick auf seine Oberschenkelverletzung, die ihn schon lange plagt.
Auch mentale Probleme hatten ihm nach dem vierten Platz bei der WM in Dubai 2019 zu schaffen gemacht. „Es waren die ersten Paralympics ohne meine Familie, das spürt man schon. Sie haben immer an mich geglaubt“, sagte Dietz, der sich dann trotz großer Emotionen und Tränen vor den TV-Kameras direkt wieder angriffslustig zeigte: „Ich hätte mehr drauf gehabt. Die 16 Meter, mit denen der Sieg weggegangen ist, sind keine Sphären, die ich mir nicht zutraue. Aber unter den Umständen ist es ein Gewinn und keine Niederlage.“
Vierte Plätze für Brämer-Skowronek und Menje
Einige Tränen flossen auch bei Marie Brämer-Skowronek: Die 30-Jährige vom SC Magdeburg hatte schon vor den Paralympics ihr Karriereende bekanntgegeben und erzielte in Tokio im Kugelstoßen der Klasse F34 mit Rang vier noch einmal eine starke Platzierung erzielt. „Mit der Platzierung kann ich sehr zufrieden sein, bei der Weite hätte ich mir mehr gewünscht“, sagte Brämer-Skowronek, die mit 7,73 Metern nur drei Zentimeter unter ihrer Bestweite blieb: „Aber man hat gesehen, dass außer der Chinesin alle ein bisschen Probleme hatten. Ich hätte gerne weiter gestoßen, aber ich kann trotzdem zufrieden sein."
Die Erzieherin feierte 2012 bei den Paralympics in London (Großbritannien) mit Silber im Speerwurf ihren größten Erfolg, 2018 bei der Heim-EM in Berlin wurde sie ebenfalls Zweite und Bronze durfte sie bei der EM 2012 und der WM 2013 mit dem Speer sowie bei der diesjährigen EM entgegennehmen. „Ich nehme sehr viel mit, ich habe mit Speerwurf und Kugelstoßen viele Disziplinen gemacht - aber ich freue mich jetzt darauf, was danach kommt.“
Rennrollstuhlfahrerin Merle Menje belegte nach Rang sechs über 5.000 und Rang vier über 800 Meter erneut Platz vier in der Klasse T54: Über 1.500 Meter lag sie wieder eingangs der letzten Kurve auf Medaillenkurs, war dann kurzzeitig Fünfte und kämpfte sich noch auf Rang vier – in 3:28,64 Minuten nur vier Zehntel hinter Bronze. "In erster Linie überwiegt die Freude, aber es ist natürlich schon ein bisschen schade, weil man auf der letzten Runde gesehen hat, was drin gewesen wäre", sagte Menje, die auf dem Flug nach Tokio ihren 17. Geburtstag gefeiert hatte und für den Stadt-Turnverein Singen startet. Generell sei es "ein Wahnsinnsgefühl", mit der Weltspitze mithalten und von ihnr lernen zu können – über 400 Meter hat sie noch eine weitere Chance, ihr Talent zu zeigen.
Platz 5 für Willing, Platz 7 für Tietze, Platz 9 für Engeleiter
Martina Willing holte Platz fünf mit 19,78 Metern im Speerwurf der Klasse F56. „Es war ungefähr das zu erwarten. Platz vier wäre mir lieber, aber wir sind hier nicht bei ‚Wünsch dir was.‘ Ich hatte ein paar Probleme, aber ich hätte auch sonst nicht in den Kampf um die Medaillen eingreifen können. Ich habe gesagt, dass hier Gold mit Weltrekord weggeht und so war es. Das sind alles junge Leute und da ist das normal, dass die jetzt weiter werfen als ich“, sagte die 61-Jährige bei ihrer achten Teilnahme: „Es hat noch mal Spaß gemacht.“
Jubelsprünge gab es bei Maria Tietze – und das schon nach ihrem Vorlauf. In 27,77 Sekunden war Leverkusenerin Bestzeit über 200 Meter der Klasse T64 gesprintet und hatte sich als Dritte direkt fürs Finale qualifiziert. Dass sie dort noch mal laufen dürfe, sei die „Kirsche auf der Sahne“, sagte Tietze, die im Endlauf wieder gut unterwegs war, dann aber in der Kurve einen Schmerz im Beuger spürte und aus dem Rhythmus kam. Am Ende wurde sie starke Siebte in ihrem ersten Paralympics-Finale. „Finale war schon mega geil und jetzt kommen noch die 100 Meter, da wird noch mal Vollgas gegeben, das ist ja nur halb so lang. Ich bin super happy und habe erreicht, was ich mir vorgenommen habe.“
Die knappste Entscheidung musste Janne Engeleiter miterleben. Ihre Konkurrentinnen in der Klasse T13, die am Ende über die schnellste Zeit auf Platz sieben und acht ins Finale einzogen, waren nur eine Hundertstelsekunde schneller gelaufen als die 26-Jährige vom BPRSV Cottbus, die in persönlicher Bestzeit von 12,42 Sekunden ins Ziel gesprintet war. „Das ist bitter, ich habe ein Problem mit Hundertsteln“, sagte Engeleiter, die bei der Heim-EM 2018 Bronze um die gleiche Dauer verpasst hatte: „Vielleicht ist das einfach mein Ding. An sich bin ich aber happy mit dem Lauf. Ich war acht Wochen raus, ich war verletzt und ich hatte eine miserable Leistung in meinen Augen und keine Norm, bevor ich hierher gekommen bin. Jetzt bin ich die Norm gelaufen und ich stehe in der Welt ganz gut mit dabei. Ich kann mir nichts vorwerfen.“