| Interview der Woche

Dietmar Haaf zum Weitsprung-Gipfel 1991 in Tokio: „Der beste Wettkampf meiner Karriere“

Am 30. August vor 30 Jahren wurde in Tokio Sport-Geschichte geschrieben. In einem epischen Weitsprung-Duell mit Carl Lewis verbesserte Mike Powell bei der WM 1991 den heute immer noch gültigen Weltrekord auf 8,95 Meter. Hautnah dabei war Dietmar Haaf. Der Kornwestheimer schrammte als Vierter ganz knapp an den Medaillen vorbei. Im Interview spricht der heute 54-Jährige über den Weitsprung-Gipfel von Tokio, seine erfolgreiche Karriere und russischen Kaviar.
Martin Neumann

Dietmar Haaf, wann standen Sie zum letzten Mal an einer Weitsprung-Anlage?

Dietmar Haaf:

Als Zuschauer und Trainer vor etwa anderthalb Jahren.

Wen haben Sie trainiert?

Dietmar Haaf:

Ich bin in meiner Heimat in Leonberg-Eltingen im Verein aktiv. Dort habe ich eine Schüler- und Jugendgruppe trainiert, hauptsächlich Freizeitsportler. Aber es gab auch Sportler, die sich für Deutsche Jugend- und Juniorenmeisterschaften qualifiziert haben.

Vor 30 Jahren waren Sie beim größten Duell der Weitsprung-Geschichte hautnah dabei. Am 30. August 1991 bei der WM in Tokio steigerte Mike Powell den legendären Weltrekord von Bob Beamon um fünf Zentimeter auf immer noch gültige 8,95 Meter. Carl Lewis folgte mit windunterstützten 8,91 Metern. Sie wurden mit 8,22 Metern hinter Larry Myricks (alle USA; 8,42 m) WM-Vierter. Wie haben Sie diesen sporthistorischen Wettkampf erlebt?

Dietmar Haaf:

Das war der größte Wettkampf, den ich gemacht habe. Es war völlig faszinierend, weil das ganze Stadion nur zum Weitsprung geschaut hat. Die Japaner waren vollkommen Weitsprung-begeistert. Es hat an diesem Tag alles gepasst: Wetter, Wind, Zuschauer, Konkurrenz. Es hätte nicht besser sein können.

Konnten Sie die Weiten von Powell und Lewis eigentlich im Wettkampf direkt realisieren. Oder haben Sie sich mehr auf sich selbst konzentriert?

Dietmar Haaf:

Ich habe die Weiten schon realisiert. Es hat mit motiviert, selbst noch weiter zu springen. Schließlich wollte ich ja noch unbedingt Dritter werden. Aber Larry Myricks war mit 8,42 Metern natürlich auch sehr stark. Im fünften oder sechsten Versuch hatte ich einen Sprung dabei, der ähnlich weit gewesen wäre. Leider war der aber ungültig.

Wie bewerten Sie rückblickend Platz vier in Tokio: War es ein Erfolg für Sie im besten Wettkampf der Geschichte oder eben nur die „Holzmedaille“?

Dietmar Haaf:

Der vierte Platz war an diesem historischen Tag auf jeden Fall ein Erfolg. Obwohl ich Europameister und Hallen-Weltmeister geworden bin, war Tokio der beste Wettkampf meiner Karriere. Schließlich ist bei einer WM die Konkurrenz noch deutlich größer. Und 1991 waren einige der besten Weitspringer der Geschichte dabei. Für mich lief die ganze WM wie gewünscht. Schon die Quali. Ich brauchte nur einen Sprung, um ins Finale zu kommen. Das war 1990 in Split noch anders, als ich Europameister geworden bin. Da war die Quali eine echte Zitterpartie.

Viele Experten haben nach Tokio damit gerechnet, dass bald die Neun-Meter-Marke im Weitsprung fallen würde. Bis heute ist das nicht passiert. Was muss man als Weitspringer mitbringen, um noch dieses kleine Stück weiter als Powell, Beamon oder Lewis zu springen?

Dietmar Haaf:

Es ist komisch, dass gerade im Weitsprung so viele Jahre vergehen, bis ein Rekord gebrochen wird. Aber ich bin mir sicher, dass diese Marke irgendwann fallen wird. Die Voraussetzungen im Training und in der Wissenschaft verbessern sich einfach ständig. Wichtig wäre, dass mehrere Athleten auf diesem Top-Niveau springen. Denn in Tokio haben sich Powell und Lewis gegenseitig angestachelt. In solchen Situationen kann es diese außergewöhnlichen Leistungen geben. Für neun Meter braucht man ein stabiles Niveau von 8,60 bis 8,70 Metern, die man auch bei schlechteren Verhältnissen springt. Dann kann es diesen Ausrutscher geben.

Speziell Carl Lewis war schon Anfang der 1990er-Jahre eine Leichtathletik-Ikone. Haben Sie zu ihm aufgeschaut oder war es ein Konkurrent wie jeder andere?

Dietmar Haaf:

Er war aus sportlicher Sicht ein Ansporn für mich. Zumal er der einzige Springer war, den ich nie schlagen konnte. Anders als Mike Powell und Larry Myricks. Einmal war es ganz knapp. Da lag ich beim Hallenmeeting in Stuttgart bis zum letzten Versuch vor Carl Lewis. Doch dann ist er leider im letzten Durchgang doch noch weiter gesprungen. Man muss aber klar sagen: Er war ein ganz anderer Athlet, mit anderen Voraussetzungen. Beispielsweise verfügte er über eine überragende Schnelligkeit.

Carl Lewis ist auch knapp 15 Zentimeter größer als Sie. Sie waren mit 1,73 Metern Größe ein eher kleiner Weitspringer. War das ein Nachteil gegenüber der Konkurrenz?

Dietmar Haaf:

Es war schon ein Nachteil, der hat mich aber nicht beeinflusst. So haben größere Weitspringer längere Hebel und Beine, was bei der Landung ein Vorteil ist. Auch können sie den Körperschwerpunkt weiter absenken. Ich als kleinerer Springer konnte dafür die Bewegungen im Absprung schneller durchführen. Das war mein Pluspunkt.

Sie haben 1996 Ihre Karriere beendet, waren u.a. 1990 Europameister und 1991 Hallen-Weltmeister. An welche Wettkämpfe und persönliche Begegnungen denken Sie noch heute gern zurück?

Dietmar Haaf:

Neben der WM in Tokio natürlich an die Hallen-WM in Sevilla und die EM in Split mit meinen beiden Titeln. Aber auch an Meetings außerhalb großer Stadien. So war das Weitsprungmeeting in Bad Cannstatt immer etwas Besonderes, weil die Zuschauer eben nur für den Weitsprung da waren. Ich denke auch immer gern an meine ersten internationalen Wettkämpfe im Juniorenbereich zurück, als man Sportler aus aller Welt kennenlernen durfte und mit ihnen ins Gespräch kam. Ich weiß noch, wie ich mit dem russischen Weit- und Dreispringer Leonid Voloshin meine Trainingskleidung gegen russischen Kaviar getauscht habe.

Haben Sie Mike Powell oder Carl Lewis nach dem Ende Ihrer Karriere mal wieder getroffen?

Dietmar Haaf:

Ich habe vor ein paar Jahren Mike Powell bei einem Schautraining in Pliezhausen getroffen. Das war eine schöne Begegnung, bei der wir uns natürlich über Geschichten „von damals“ ausgetauscht haben.

Verfolgen Sie die Leichtathletik denn noch heute intensiv?

Dietmar Haaf:

Nicht sehr intensiv, eher nebenbei.

Aber Malaika Mihambos Gold-Wettkampf bei den Olympischen Spielen in Tokio haben Sie sich als ehemaliger Weltklasse-Weitspringer doch nicht entgehen lassen?

Dietmar Haaf:

Den habe ich tatsächlich live gesehen, weil ich an dem Tag zufällig sehr früh aufgewacht bin (lacht). Das war ein richtig toller und spannender Wettkampf. Ich konnte gut nachvollziehen, wie groß bei ihr die Anspannung vor dem letzten Sprung war.

Sie leben in Leonberg bei Stuttgart. Was machen Sie beruflich und in Ihrer Freizeit?

Dietmar Haaf:

Ich arbeite bei Mercedes-Benz in der Entwicklung für Fahrerassistenzsysteme. Dort leite ich ein Team, das für den Aufbau von Erprobungsfahrzeugen zuständig ist. Meine drei Kinder sind schon erwachsen und leben nicht mehr zu Hause. Deshalb habe ich wieder Zeit für Unternehmungen mit meiner Lebensgefährtin, beispielsweise Radtouren.

Auf welche neuen Systeme dürfen sich denn Autofahrer in den kommenden Jahren freuen?

Dietmar Haaf:

In der S-Klasse kommt demnächst ein System auf den Markt, bei dem das Auto die Fahraufgabe komplett übernimmt. Man kann sich dann entspannt zurücklehnen oder seine Lieblingsserie schauen.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024