| Sport und Ausbildung in Einklang

Duale Karriere | Die Ausbildung bei der Bundespolizei als "Unikum" für Leistungssportler

Für viele Talente im Nachwuchsleistungssport stellt sich nach der Schullaufbahn die Frage, wie es künftig parallel zum Sport weitergehen soll. Ausbildung? Studium? Oder doch der direkte Berufseinstieg? Die Möglichkeiten sind heutzutage vielseitig. Umso wichtiger ist es dabei den Überblick zu bewahren. In unserer Reihe zur dualen Karriere stellen wir verschiedene Optionen für Leistungssportlerinnen und -sportler vor. Heute: Die Ausbildung bei der Bundespolizei.
Nicolas Walter

Eine klassische Ausbildung absolvieren und dennoch die volle Konzentration auf den Leistungssport richten. Vor der schweren Aufgabe dieses Zusammenspiels stehen viele Spitzensportlerinnen- und sportler. Eine der grundlegendsten Möglichkeiten, um diese Herausforderung erfolgreich zu bewältigen, ist das Ausbildungsmodell der Bundespolizei. Seit mehr als 20 Jahren kooperiert der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) mit der Behörde, zahlreiche Athletinnen und Athleten sind seitdem von der Zusammenarbeit überzeugt.

„Man hat die Möglichkeit, lückenlos ins Berufsleben einzusteigen und muss nicht darauf hoffen, dass man im Laufe der Sportkarriere ein Netzwerk aufgebaut hat, um irgendwo einen Fuß in die Tür zu bekommen“, erklärt Christoph Harting (SCC Berlin) die Vorteile. Der Olympiasieger im Diskuswurf ist seit 2011 Angehöriger der Bundespolizei und geht in seinem Beruf voll auf.

„Die Ausbildung bei der Polizei ist für uns Leistungssportler ein Unikum in Deutschland. Dafür bin ich absolut dankbar. Spätestens durch die Ausbildung habe ich festgestellt, dass dieses Berufsbild meinem Ideal zu hundert Prozent entspricht. Ich bin gerne Polizist“, so der 31-Jährige.

Kristin Gierisch: „Ich wollte seit Kindheitstagen Polizistin werden“

Auch die Vize-Europameisterin im Dreisprung Kristin Gierisch (TSV Bayer 04 Leverkusen) ist mit ganzer Leidenschaft Polizistin. „Ich wollte tatsächlich seit Kindheitstagen Polizistin werden. Und ich wollte einfach was Sicheres in der Hand haben und wusste, selbst wenn der Sport mal wegen einer Verletzung oder ähnlichem danebengehen sollte, habe ich immer etwas, das mich auffängt“, erzählt die 30-Jährige, die ihre Ausbildung bei der Bundespolizei im Jahr 2012 begann.

Die für Leistungssportler zugeschnittene Ausbildung zum Bundespolizisten im mittleren Polizeivollzugsdienst dauert rund vier Jahre und damit eineinhalb Jahre länger als die reguläre Ausbildung für Nicht-Sportler. Die Ausbildung ist gestreckt, um die erforderlichen Freistellungen für Training und Wettkampf zu ermöglichen. Die Ausbildungsinhalte bleiben dagegen identisch.

„Die Inhalte sind ohne Abstriche vergleichbar. Das zeigen auch die Ausbildungsabschlüsse und die Tatsache, dass wir an der bundeseinheitlichen Laufbahnprüfung mit unseren Athletinnen und Athleten teilnehmen, das ist eine Zentralklausur“, erklärt Jochen Maron, Leiter der Bundespolizeisportschule in Kienbaum.

Sportliche Leistung im Weltmaßstab als Kriterium

Auch beim Auswahlprozess müssen sich die leistungssportlichen Bewerber den gleichen Aufgaben stellen wie reguläre Bewerber. Jedoch bewerben sich die Athleten nicht direkt bei der Bundespolizei, sondern zunächst beim DLV. Dieser entscheidet auf Basis festgelegter Kriterien, welche Bewerber für die Spitzensportförderung bei der Bundespolizei in Frage kommen.

„Die Voraussetzung hierfür ist die sportliche Leistung im Weltmaßstab. Wir müssen entscheiden, wem wir diese Leistung in den kommenden Jahren zutrauen. Im vergangenen Jahr war das bei drei Athleten der Fall“, sagt Dietmar Chounard, Chef-Bundestrainer U20/U23 und beim DLV zuständig für duale Karrieren.

Der Verband schlägt der Bundespolizei schließlich die geeigneten Bewerber vor, die sich dem regulären polizeilichen Auswahlprozess stellen müssen. Neben einem Sporttest umfasst dieser unter anderem auch ein Diktat und ein Auswahlgespräch vor einer Prüfungskommission. „Mit dem Sporttest haben unsere Bewerberinnen und Bewerber in den wenigsten Fällen ein Problem“, sagt Jochen Maron und kann sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen.

Volle Tage in den Winter-Monaten

Die Ausbildung für Spitzensportler der Sommer-Sportarten findet in den Monaten September bis Dezember statt. In den Monaten dazwischen sind die Athleten für den Trainings- und Wettkampfbetrieb freigestellt. Gleichzeitig heißt das in den Winter-Monaten aber auch ein volles Pensum.

„Die Ausbildungsinhalte gehen in der Regel von 7 Uhr bis 16:30 Uhr, danach beginnt für uns Sportler der zweite Berufsalltag. Während man an regulären Aus- und Fortbildungszentren Freizeit hätte, haben wir nochmal drei Stunden Training. Im Anschluss daran müssen wir dann noch theoretische Inhalte selbstständig nacharbeiten. Da kommen gut und gern 13 oder 14 Stunden pro Tag zusammen“, sagt Christoph Harting.

„Das war schon ein hohes Stresslevel“, sagt auch der Weltmeisterschafts-Achte im Diskuswurf Martin Wierig (SC Magdeburg) rückblickend, der seine Ausbildung bei der Bundespolizei 2006 begann. „Gleichzeitig war es aber auch eine coole Abwechslung vom sportlichen Alltag.“

Ab dem dritten Ausbildungsjahr beginnt die Praxis

Das sieht auch Kristin Gierisch so. „Immer wenn ich mich zu hundert Prozent nur auf den Sport konzentriert habe, ist das in die Hose gegangen. Deswegen war es für mich gut, dass man sich am Vormittag mit der Materie Bundespolizei beschäftigen konnte und am Nachmittag dann den Schalter umgelegt hat, um dann den vollen Fokus auf den Sport zu richten“, sagt sie.

Theoretische Inhalte stehen vor allem in den ersten beiden Jahren der Ausbildung im Vordergrund. Dabei lernen die Auszubildenden unter anderem, was ihre Befugnisse und Rechte im Einsatz sind oder was das Bundespolizeigesetz ist. In den vier Hauptfächern Einsatzrecht, Einsatzlehre, Kriminalistik sowie Staats- und Verfassungsrecht werden diese Inhalte schließlich vertieft. Im dritten Ausbildungsjahr dürfen die angehenden Bundespolizisten ihr erlerntes Wissen erstmals in der Praxis anwenden und werden über mehrere Wochen an einer Bundespolizeiinspektion oder einem Polizeirevier eingesetzt.

Autogramm-Anfrage im Polizei-Einsatz?

Dass ein Polizei-Einsatz als bekannter Leichtathlet zu manch schwieriger Situation führen kann, erläutert Christoph Harting: „Es gab eine grenzwertige Situation vor ein paar Jahren. Wir waren mitten im Einsatz, hatten gerade eine Person zu Boden gebracht, die sich uns Vollstreckungsbeamten widersetzt hatte. Als wir gerade mit der Fesselung beschäftigt waren, sprach mich eine ältere Person an: ´Herr Harting, können wir mal ein Foto machen?´"

Er habe ihm aufgrund der Lage sehr bestimmt eröffnet, dass er dieser Bitte offenkundig nicht nachkommen könne, da er sich in einer polizeilichen Maßnahme befinde. "In solch einer Situation ist man ausschließlich Polizeivollzugsbeamter. Es gibt Menschen, die haben Verständnis dafür und warten auf eine Situation, bis man ein Foto machen kann, aber es gibt auch Menschen, die reagieren mit Unverständnis. Das ist nicht immer ganz einfach.“

Nahtloser Übergang vom Leistungssport ins Berufsleben

Nach Abschluss der Ausbildung, die mit dem erfolgreichen Bestehen der Laufbahnprüfung endet, können sich die Athletinnen und Athleten voll und ganz auf ihre sportlichen Ziele fokussieren. Um die Ausbildungsinhalte nicht zu verlernen, muss jedes Jahr mindestens ein vierwöchiges Praktikum an einer Dienststelle im Regeldienst absolviert werden. „Man kann sich das Zeitfenster für das Praktikum selbst aussuchen, das ist optimal für die Planungen rund um den Sport“, sagt Martin Wierig. 

Nachdem sportlichen Karriereende können die Absolventen der bundespolizeilichen Ausbildung direkt ihren Dienst im Polizeivollzugsdienst antreten. Athleten wie Martin Wierig schätzen diese Möglichkeit. „Der nahtlose Übergang vom Leistungssport in einen gesicherten Beruf gibt einem während der Karriere als Sportler ein gutes Gefühl“, so der 33-Jährige. 

Harting und Gierisch als Vorbild: Aufstieg in den gehobenen Dienst möglich

Seit Kurzem bietet die berufliche Karriereleiter für Spitzensportler in der Bundespolizei eine weitere wichtige Stufe an. Acht Athleten verschiedener Sportarten wurden im Februar zu Polizeikommissaren ernannt und haben damit erfolgreich den Laufbahnwechsel vom mittleren in den gehobenen Polizeivollzugsdienst vollzogen. Unter ihnen: Christoph Harting und Kristin Gierisch.

Mit überdurchschnittlichen Ausbildungsleistungen hatten sich die Athleten für den verkürzten Praxisaufstieg, der sechs Monate dauerte, in den gehobenen Polizeivollzugsdienst qualifiziert. Dieser Lehrgang war der erste seiner Art und soll auch künftigen Auszubildenden zur Verfügung stehen. „Damit wollen wir unserem Ausbildungs-Modell eine noch stärkere Attraktivität für die Zukunft verleihen“, sagt Jochen Maron.

Duale Karriere | Sport und Ausbildung in Einklang
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