Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: das Diskuswerfen der Männer.
Fazit des Bundestrainers
Torsten Lönnfors, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt – als Bundestrainer und als Heimtrainer?
Torsten Lönnfors:
Ich denke, für jeden Trainer, egal in welcher Funktion, war das Corona-Jahr 2020 eine große Herausforderung. Nahezu alle Pläne wurden in dieser besonderen Situation über den Haufen geworfen. Es galt neue Ziele zu fixieren, damit sowohl Athleten als auch Trainer nicht in völliger Leere versinken. Da im Alltag einiger Athleten und Trainer nur geringe Beschränkungen herrschten, blieb die Motivation erhalten. Da sich aus der Neuplanung und den unterschiedlichen Bedingungen für die Athleten aber eben auch sehr unterschiedliche Umsetzungsansätze im Training ergaben, war das Jahr sehr anspruchsvoll.
Trotzdem konnte im eins zu eins mit dem Athleten, aber eben auch im Trainerteam mit vielen kreativen Ideen diese Zeit konstruktiv genutzt werden, um nicht nur durch die Zeit der Beschränkungen zu kommen, sondern auch einen positiven Zugewinn für die Arbeit in der Zukunft zu entwickeln. Daher habe ich persönlich 2020 sowohl als ein Jahr des Rückschritts als aber auch als ein Jahr des Aufbruchs erlebt.
Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Diskuswerfer?
Torsten Lönnfors:
Für die deutschen Diskuswerfer war wohl die größte Herausforderung, die eigenen Ziele und die Motivation, diese trotz der besonderen Umstände zu erarbeiten, zu erhalten. Jedes Trainingsjahr ist eben auch nur ein weiterer Abschnitt auf dem Weg zur Ausprägung der höchsten Leistungsfähigkeit. Für Athleten, die in 2020 etwas locker gelassen haben, könnte sich dies für ihre Entwicklung und Ziele in der Zukunft als Rückschritt erweisen, da sich der Abstand zur Weltspitze vergrößert hat. Dieses Denken bei der Herangehensweise der Athleten auch in schwierigen Zeiten wie Corona zu erhalten, war und ist die über allem stehende Aufgabe als Basis für langfristige Erfolge.
Für mich selbst war die größte Herausforderung zu versuchen, bei den Athleten Klarheit darüber zu schaffen und gemeinsam im Trainerteam konstruktive Strategien und Konzepte zur bestmöglichen Unterstützung der Athleten zu entwickeln.
Welche Athleten haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?
Torsten Lönnfors:
Am meisten haben mich die Entwicklungen von Korbinian Häßler und Henrik Janssen unter den schwierigen Bedingungen überzeugt. Diese Beiden haben unbeeindruckt der Situation ihr Training umgesetzt und sich mit neuen persönlichen Bestmarken in 2020 stark präsentiert. Auch andere haben weiter ihren Plan verfolgt, konnten aber die Leistungen der Vorjahre nicht übertreffen, allenfalls bestätigen.
Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?
Torsten Lönnfors:
Es gibt ein detailliertes Konzept als Jahresplanung, in dem Trainingslehrgänge und diagnostische Maßnahmen fixiert sind. Ein hohes Maß an Planungssicherheit ergibt sich hierbei aus der guten Situation im Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum für Deutschland in Kienbaum. Den Athleten kann so zu wichtigen Trainingszeiten ein sehr gutes Umfeld angeboten werden. Darüber hinaus bestehen natürlich Kontakte auf Trainerebene, um sich über die Fortschritte oder Problemfelder auszutauschen, und um Ansätze für die weitere Arbeit zu besprechen. Am Wichtigsten ist es aber, einen weitgehend störungsfreien Trainingsbetrieb sicherzustellen.
Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Diskuswerfern?
Torsten Lönnfors:
In der Hoffnung, dass sich auch die erfahreneren Athleten, die in 2020 kaum in Erscheinung getreten sind, wieder in alt bekannter Leistungsstärke präsentieren, erwarte ich, dass es einen Kampf zwischen mehr als drei Athleten um die Startplätze bei den Olympischen Spielen geben wird. Vor Ort wäre bei einem solchen Leistungsniveau dann das Ziel, unsere drei Starter im Finale zu sehen. Ob am Ende wieder eine Medaille für die deutschen Diskuswerfer möglich wird, wäre dann sicherlich auch stark von der Tagesform abhängig.
Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?
Torsten Lönnfors:
Ich denke, die Hoffnungen aller Leichtathleten und Freunde der Leichtathletik richten sich auf die wieder mögliche Austragung von Wettkämpfen mit stimmungsvoller Atmosphäre. Ich persönlich hoffe darüber hinaus auf eine gute Entwicklung der deutschen Diskuswerfer. Im besten Falle transportieren wir alle guten Erfahrungen aus 2020 in die Zukunft, um unseren attraktiven Sport weiter zu entwickeln.
Unser "Ass des Jahres"
Clemens Prüfer (SC Potsdam)
Deutscher Meister 2020
Unser "Talent des Jahres"
Matteo Maulana (LAC Erdgas Chemnitz)
Deutscher U20-Meister 2020
Deutscher U20-Meister Winterwurf 2020
Die deutschen Top Ten 2020*
Weiten | Name | Jahrgang | Verein |
---|---|---|---|
64,24 m | David Wrobel | 1991 | SC Magdeburg |
63,69 m | Clemens Prüfer | 1997 | SC Potsdam |
62,65 m | Henning Prüfer | 1996 | SC Potsdam |
61,68 m | Daniel Jasinski | 1989 | TV Wattenscheid 01 |
61,16 m | Henrik Janssen | 1998 | SC Magdeburg |
60,67 m | Christian Zimmermann | 1994 | Kirchheimer SC |
60,43 m | Torben Brandt | 1995 | SCC Berlin |
59,59 m | Korbinian Häßler | 2000 | LV 90 Erzgebirge |
53,91 m | Tim Ader | 1999 | SC Neubrandenburg |
53,76 m | Sebastian Dietl | 1991 | TV Wattenscheid 01 |
Statistik – Das sagen die Zahlen
Das deutsche Top-Niveau: Diskuswurf Männer
Jahr | > 65,00** | Schnitt Top 3 | Schnitt Top 5 | Schnitt Top 10 |
---|---|---|---|---|
2005 | 3 | 66,32 | 64,74 | 61,11 |
2006 | 3 | 66,71 | 64,38 | 60,51 |
2007 | 2 | 64,44 | 62,71 | 59,18 |
2008 | 1 | 65,46 | 63,56 | 60,53 |
2009 | 1 | 66,08 | 64,41 | 61,36 |
2010 | 2 | 66,66 | 64,65 | 61,12 |
2011 | 3 | 67,69 | 65,34 | 61,99 |
2012 | 3 | 68,42 | 66,17 | 62,67 |
2013 | 2 | 67,45 | 66,30 | 62,86 |
2014 | 3 | 67,01 | 65,87 | 63,00 |
2015 | 3 | 66,60 | 65,34 | 62,13 |
2016 | 5 | 68,00 | 67,59 | 64,55 |
2017 | 2 | 65,51 | 64,97 | 63,60 |
2018 | 5 | 67,05 | 66,45 | 63,49 |
2019 | 3 | 65,97 | 65,09 | 63,40 |
2020 | – | 63,52 | 62,68 | 60,18 |
Entwicklung der internationalen Jahresbestleistungen
Jahr | Deutschland | Europa | Diff. | Welt | Diff. |
---|---|---|---|---|---|
2005 | 66,56 (M. Möllenbeck) | 70,67 (Alekna/LIT) | 4,65 | 70,67 (Alekna/LIT) | 4,65 |
2006 | 69,38 (L. Riedel) | 73,38 (Kanter/EST) | 4,00 | 73,38 (Kanter/EST) | 4,00 |
2007 | 66,93 (R. Harting) | 72,02 (Kanter/EST) | 5,09 | 72,02 (Kanter/EST) | 5,09 |
2008 | 68,65 (R. Harting) | 71,88 (Kanter/EST) | 3,23 | 71,88 (Kanter/EST) | 3,23 |
2009 | 69,43 (R. Harting) | 71,64 (Kanter/EST) | 2,21 | 71,64 (Kanter/EST) | 2,21 |
2010 | 69,69 (R. Harting) | 71,45 (Kanter/EST) | 1,76 | 71,45 (Kanter/EST) | 1,76 |
2011 | 68,99 (R. Harting) | 69,50 (Kovágó/HUN) | 0,51 | 69,50 (Kovágó/HUN) | 0,51 |
2012 | 70,66 (R. Harting) | 70,66 (R. Harting) | 0,00 | 70,66 (R. Harting) | 0,00 |
2013 | 69,91 (R. Harting) | 71,84 (Malachowski/POL) | 1,93 | 71,84 (Malachowski/POL) | 1,93 |
2014 | 68,47 (R. Harting) | 69,28 (Malachowski/POL) | 0,81 | 69,28 (Malachowski/POL) | 0,81 |
2015 | 67,93 (C. Harting) | 68,29 (Malachowski/POL) | 0,36 | 68,29 (Malachowski/POL) | 0,36 |
2016 | 68,37 (C. Harting) | 68,72 (Stahl/SWE) | 0,35 | 68,72 (Stahl/SWE) | 0,35 |
2017 | 66,30 (R. Harting) | 71,29 (Stahl/SWE) | 4,99 | 71,29 (Stahl/SWE) | 4,99 |
2018 | 67,59 (C. Harting) | 69,72 (Stahl/SWE) | 2,13 | 69,72 (Stahl/SWE) | 2,13 |
2019 | 66,04 (M. Wierig) | 71,86 (Stahl/SWE) | 5,82 | 71,86 (Stahl/SWE) | 5,82 |
2020 | 64,24 (D. Wrobel) | 71,37 (Stahl/SWE) | 7,13 | 71,37 (Stahl/SWE) | 7,13 |
Das fällt auf
- Mit Christoph Harting und Martin Wierig haben die beiden stärksten DLV-Athleten der beiden Vojahre in diesem Sommer keine Wettkämpfe absolviert. Mit ihren Weiten vom ISTAF Indoor (Harting: 61,28 m; Wierig: 62,07 m), die der Weltverband in seiner Jahresliste mit aufführt, hätten sie es locker in die Freiluft Top Ten des DLV geschafft. Das hätte auch die Delle im Top-Ten-Schnitt abgemildert.
- WM-Teilnehmer David Wrobel wollte die Chance nutzen und sich bei der DM in Braunschweig seinen ersen DM-Titel holen, wurde aber Opfer seiner Nerven.
- Clemens Prüfer belohnte sich für eine konstante Saison mit dem ersten DM-Titel.
- Steven Richter erzielte mit 65,95 Metern eine neue DLV-Bestleistung der Altersklasse U18 mit dem 1,5-Kilo-Gerät, insgesamt übertrafen gleich vier U18-Athleten die Marke von 63 Metern.
- Die 1,75-Kilo-Scheibe der U20 nahmen diese Athleten im Wettkampf noch nicht in die Hand oder blieben noch unter der 60-Meter-Marke, diese übertraf einzig der Deutsche U20-Meister Matteo Maulana.
- Weltweit nahm das Niveau trotz Corona zu: Gleich acht Athleten warfen weiter als 68 Meter, 2019 waren es nur drei.
- Der schwedische Weltmeister Daniel Stahl (71,37 m) und der neue Südamerika-Rekordler Mauricio Ortega aus Kolumbien (70,29 m) knackten sogar die 70 Meter.
leichtathletik.TV-Clips
Die Disziplin-Analysen im Überblick:
Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Weitsprung Frauen
Weitsprung Männer
Dreisprung Frauen
Dreisprung Männer
Kugelstoßen Frauen
Kugelstoßen Männer
Diskuswurf Frauen
* Die Hallen-Leistungen vom ISTAF Indoor, die teils deutlich über den Weiten der Top Ten lagen, wurden in dieser Freiluft-Auflistung nicht berücksichtigt.
** als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017