| Disziplin-Check 2020

HAMMERWURF FRAUEN | Samantha Borutta auf den Spuren von Betty Heidler

Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: der Hammerwurf der Frauen.
Nicolas Walter

Fazit des Bundestrainers

Helge Zöllkau, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt  – als Bundestrainer und als Heimtrainer?

Helge Zöllkau:

Nachdem die Trainingsstätten geschlossen wurden, die Olympischen Spiele und schließlich auch weitere Wettkämpfe abgesagt wurden, stand vor allem die Frage im Mittelpunkt, wie wir mit der Situation umgehen und die Athleten und Athletinnen es schaffen, sich trotz der schwierigen Situation weiterhin zu motivieren. Viele Abläufe mussten neu strukturiert und geordnet werden. Beispielsweise haben einige Athleten ihre Garage umfunktioniert und in einen Kraftraum verwandelt. Auch mussten sich alle Athleten daran gewöhnen, für einen längeren Zeitraum ohne Trainingspartner auszukommen.

Als überragend habe ich die Motivation empfunden, mit der viele Athleten nach einer kurzen Phase der „Desorientierung“ wieder in den Trainingsbetrieb eingestiegen sind. Trotz der unklaren Lage, ob Wettkämpfe überhaupt stattfinden werden, haben sie die Zeit genutzt, um sich vorzubereiten.

Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Hammerwerferinnen?

Helge Zöllkau:

Die größte Herausforderung war vor allem die Organisation des Trainingsbetriebs – sowohl für die Athletinnen und Athleten, die zuhause trainiert haben und Hilfe benötigten, als auch später vor Ort an den Trainingsstätten. Vor diesem Hintergrund ging es dann darum, dass wir bei der DM in Braunschweig gute Leistungen erzielen wollten, die deutlich machen, dass wir im Hammerwurf wieder auf einem aufsteigenden Ast sind. Insgesamt haben wir die Situation in diesem Jahr gut gemeistert, sodass mein Dank allen Trainerinnen und Trainern sowie Athletinnen und Athleten gilt. Die Zusammenarbeit mit den Kompetenzteam-Mitgliedern, den Trainingswissenschaftlern vom Institut für Angewandte Trainingswissenschaft Leipzig (S. Werrstein), dem Olympia-Stützpunkt Frankfurt (Regine Isele) und dem medizinischen Team war auch in diesem Jahr hervorragend.

Welche Athletinnen haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?

Helge Zöllkau:

Allen voran hat Samantha Borutta eine starke Entwicklung in diesem Jahr gezeigt. In der europäischen Bestenliste steht sie derzeit auf Rang 22 mit 69,00 Metern. Gleichzeitig belegte sie mit einer sehr guten Leistung Platz zwei bei der DM. Als Deutsche Meisterin konnte Caro Paesler ihre Bestleistung bei den Deutschen Meisterschaften auf 70,99 Meter steigern und steht damit auf Rang 11 der europäischen Bestenliste. Nach drei verletzungsreichen Jahren war das ein echter Lichtblick und lässt auf mehr im nächsten Jahr hoffen. Charlene Woitha und Susen Küster haben sich nach der coronabedingten Absage vieler Wettkämpfe dazu entschlossen, grundlegend neu aufzubauen, um sich langfristig auf die Wettkämpfe im nächsten Jahr vorzubereiten. Beide sind derzeit auf einem guten Weg.

Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?

Helge Zöllkau:

Unser Konzept sieht so aus, dass wir einen Wechsel zwischen Trainingslagern in Kienbaum und Leistungsdiagnostik-Tagen am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig anstreben. Wir müssen dabei immer die vorherrschende Corona-Situation mit in Betracht ziehen, schließlich geht es vor allem auch darum, dass die Athletinnen gesund bleiben.

Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Hammerwerferinnen?

Helge Zöllkau:

Wir wollen mit mindestens zwei Starterinnen in Tokio dabei sein. Stärkste Kandidatinnen sind Charlene Woitha, Carolin Paesler, Samantha Borutta und Susen Küster. Und dann geht es darum, mit Bestleistung durch die Qualifikation bis ins Finale zu gelangen. Doch der Weg dorthin ist steinig, daher muss eine Platzierung unter den ersten 32 in der Weltrangliste das vorrangige Ziel sein.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?

Helge Zöllkau:

Ich hoffe, es kommen alle Athletinnen und Athleten verletzungsfrei durch die Vorbereitungsphase. Unsere Nachwuchsathleten sind auf einem guten Weg, bei den internationalen Höhepunkten ihre Leistung erfolgreich abzurufen und den Hammerwurf wieder in ein besseres Licht zu rücken. Das ist den Nachwuchstrainern und ihren Athleten in den vergangenen Jahren auch immer wieder gut gelungen. Ansonsten würde ich mich über eine deutsche Teilnehmerin im Hammerwurf-Finale bei der U23-DM in Bergen freuen. Samantha Borutta rechne ich hier gute Chancen zu.
 

Unser "Ass des Jahres"

Samantha Borutta (TSG Mutterstadt)

Deutsche Vize-Meisterin 2020
20 Jahre alt

Unser "Talent des Jahres"

Aileen Kuhn (LAZ Ludwigsburg)

Deutsche U18-Meisterin 2020
Platz zwei in der deutschen U20-Bestenliste
 

Die deutschen Top Ten 2020

Weite Name Jahrgang Verein
70,99 Carolin Paesler 1990 TSV Bayer 04 Leverkusen
69,00 Samantha Borutta 2000 TSG Mutterstadt
62,99 Michelle Döpke 1997 TSV Bayer 04 Leverkusen
62,20 Sophie Gimmler 1996 LC Rehlingen
61,08 Cathinca van Amerom 1996 Hannover 96
60,85 Esther Imariagbee 2002 Berliner TSC
60,38 Maximiliane Langguth 1994 LAZ Rhede
59,65 Aileen Kuhn 2003 LAZ Ludwigsburg
59,13 Katharina Mähring 1995 TSG 1845 Heilbronn
58,00 Sina Mai Holthuijsen 1996 LAV Bayer Uerdingen/Dormagen

Statistik – Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau

Jahr > 71,00*
 
Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005 2 71,94 70,22 66,69
2006 2 72,86 70,47 66,29
2007 2 73,19 71,02 66,72
2008 1 70,62 68,26 65,30
2009 2 73,91 69,77 65,50
2010 2 72,52 68,49 64,12
2011 2 74,42 70,51 65,40
2012 2 73,10 69,33 64,90
2013 2 72,56 68,61 64,79
2014 2 74,46 71,14 66,42
2015 2 73,04 70,66 66,26
2016 2 72,84 70,70 66,66
2017 2 70,87 69,03 65,00
2018 1 68,92 67,56 64,45
2019 68,07 65,86 62,76
2020 67,66 65,25 62,43

Die Entwicklung der Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 72,74 (Keil) 77,06 (Lysenko/RUS) 4,32 77,06 (Lysenko/RUS) 4,32
2006 76,55 (Heidler) 77,80 (Lysenko/RUS) 1,25 77,80 (Lysenko/RUS) 1,25
2007 75,77 (Heidler) 77,30 (Lysenko/RUS) 1,53 77,30 (Lysenko/RUS) 1,53
2008 74,11 (Heidler) 77,32 (Miankova/BLR) 3,21 77,32 (Miankova/BLR) 3,21
2009 77,12 (Heidler) 77,96 (Wlodarczyk/POL) 0,84 77,96 (Wlodarczyk/POL) 0,84
2010 76,38 (Heidler) 78,30 (Wlodarczyk/POL) 1,92 78,30 (Wlodarczyk/POL) 1,92
2011 79,42 (Heidler) 79,42 (Heidler) 0,00 79,42 (Heidler) 0,00
2012 78,07 (Heidler) 78,69 (Miankova/BLR) 0,62 78,69 (Miankova/BLR) 0,62
2013 76,48 (Heidler) 78,80 (Lysenko/RUS) 2,32 78,80 (Lysenko/RUS) 2,32
2014 78,00 (Heidler) 79,58 (Wlodarczyk/POL) 1,58 79,58 (Wlodarczyk/POL) 1,58
2015 75,73 (Heidler) 81,08 (Wlodarczyk/POL) 5,35 81,08 (Wlodarczyk/POL) 5,35
2016 75,77 (Heidler) 82,98 (Wlodarczyk/POL) 7,21 82,98 (Wlodarczyk/POL) 7,21
2017 71,25 (Küster) 82,87 (Wlodarczyk/POL) 11,62 82,87 (Wlodarczyk/POL) 11,62
2018 71,50 (Klaas) 79,59 (Wlodarczyk/POL) 8,09 79,59 (Wlodarczyk/POL) 8,09
2019 68,79 (Woitha) 76,35 (Fiodorow/POL) 7,56 78,24 (Price/USA) 9,45
2020 70,99 (Paesler) 75,45 (Malyshik/BLR) 4,46 75,45 (Malyshik/BLR) 4,46

Das fällt auf:

  • Zum vierten Mal nacheinander steht zum Abschluss eines Jahres ein neuer Name an der Spitze der deutschen Bestenliste. Nach der langjährigen Dominanz von Betty Heidler ist das noch immer ungewohnt.
  • Nach drei verletzungsreichen Jahren konnte Carolin Paesler 2020 überzeugen. So wurde sie in Braunschweig Deutsche Meisterin und setzte sich mit neuer persönlicher Bestleistung von 70,99 Metern an die Spitze der deutschen Bestenliste.
  • Die großen Hoffnungen der Zukunft liegen in den Händen von Samantha Borutta. Mit erst 20 Jahren wurde sie in Braunschweig Deutsche Vizemeisterin. Ihre Leistung mit dem 4-Kilogramm-Hammer hat in Deutschland in diesem Alter bisher nur Betty Heidler übertroffen.
  • Aufgrund der geringen Wettkampf-Möglichkeiten im Corona-Jahr 2020 sind die Durchschnittswerte der Top Drei, Top Fünf  und Top Zehn so niedrig wie nie zuvor seit Einführung der Disziplin-Checks auf leichtathletik.de.
  • Erstmals seit 2013 steht mit Hanna Malyshik (Belarus) keine Polin an der Spitze der europäischen Bestenliste.

leichtathletik.TV-Clips:

Hammerwurf

Die Disziplin-Analysen im Überblick:

Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Weitsprung Frauen
Weitsprung Männer
Dreisprung Frauen
Dreisprung Männer
Kugelstoßen Frauen
Kugelstoßen Männer
Diskuswurf Frauen
Diskuswurf Männer

* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017

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