| Disziplin-Check 2020

LANGHÜRDEN MÄNNER | Constantin Preis setzt sich an der Spitze fest

Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: die Langhürden der Männer.
Alexandra Dersch

Fazit des Bundestrainers

Volker Beck, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt – als Bundestrainer und als Heimtrainer?

Volker Beck:

Die Saison 2020 war für die Athleten und ihre Trainer und Trainerinnen eine völlig neue, bisher unbekannte Situation und hat uns damit vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Individuelle Lebensplanungen und auch Ziele sind durch die Covid19-Pandemie massiv beeinflusst wurden. Trainingslager fanden nicht statt, an den verschiedenen Trainingsstätten fanden die Athleten regional völlig unterschiedliche Trainingssituationen vor. Auf die Absage der Olympischen Spiele und danach auch der Europameisterschaften konnten wir nicht vorbereitet sein.

Für mich persönlich war die Absage der EM in Paris der emotionale Tiefpunkt. Als Heimtrainer habe ich meiner Trainingsgruppe erst einmal eine Woche trainingsfrei verordnet, um die Situation verarbeiten zu können. Das zeitige Signal des Verbandes auf eine mögliche „Late Season“ hat der Saison eine neue Zielorientierung gegeben und war für alle von großer Bedeutung. Im Team haben wir versucht, uns über Videokonferenzen zu verständigen und prozesssteuernd Einfluss zu nehmen.

Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen 400-Meter-Hürdenläufer?

Volker Beck:

Die größte Herausforderung war es, die Motivation der Athleten aufrecht zu erhalten. Alle sind mit hohem Einsatz in die olympische Saison gestartet und mussten verarbeiten, dass ihre langgesteckten sportlichen Ziele und Visionen nicht zu verwirklichen sind. Es gab natürlich viele Fragen und nicht immer konnte man eine schlüssige Antwort geben. Wir haben im Trainerteam versucht, nach Lösungen zu suchen und die Saison inhaltlich neu aufzustellen. Nachdem das Training in Kienbaum wieder möglich war, haben wir eine Teamwoche organisiert, was sicher ein wichtiger motivierender Moment darstellte und für den weiteren Saisonverlauf wichtig war.

Welche Athleten haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?

Volker Beck:

Bei den Männern haben sich die etablierten Athleten auf dem Niveau des letzten Jahres bewegt. Constantin hat die Situation genutzt, um auf internationaler Bühne wichtige Erfahrungen zu sammeln. Dieser Gewinn an Wettkampfkompetenz wird ihm auf dem Weg nach Tokio zusätzliche Motivation und Sicherheit geben.

Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?

Volker Beck:

Die Kandidaten für Tokio werden durch erfahrene Trainer geführt und vorbereitet. Gleichwohl streben wir viele gemeinsame Maßnahmen an, um eine hohe Trainingsqualität zu sichern. Beginnen werden wir aktuell im November mit einer Teamwoche in Kienbaum. Wie alle anderen Disziplinbereiche haben wir pandemiebedingt unterschiedliche Vorbereitungsszenarien im Team entwickelt und vorbereitet, so dass wir flexibel reagieren können, um den Athleten die bestmöglichen Bedingungen für ihre Vorbereitung sicherstellen zu können.

Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Langhürdlern?

Volker Beck:

Bei den Männern sind wir mit vier jungen Kandidaten gut aufgestellt und es wird hoffentlich einen harten Fight um die drei möglichen Plätze geben. Die Zielstellungen sind hoch gesteckt und ein Finalplatz wird angestrebt.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?

Volker Beck:

Die größte Hoffnung ist, dass die Situation um Corona eine Durchführung einer „normalen Saison“ und die Olympischen Spiele zulässt. Sicher müssen wir aus den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate lernen, Corona zu lernen und zu leben.

Wenn die Hoffnungen sich verwirklichen, hoffe ich, dass wir als Team in Tokio mit hoher Präsenz und leistungsstarken Athleten zu einem erfolgreichen Abschneiden des DLV beitragen dürfen.
 

Unser "Ass des Jahres"

Constantin Preis (VfL Sindelfingen)

Deutscher Meister über 400 Meter Hürden im Freien
Siebtschnellster Europäer in diesem Jahr
Platz 13. in der Weltjahresbestenliste

Unser "Talent des Jahres"

Marcel Meyer (Hannover 96)

Deutscher U20-Meister über 400 Meter Hürden
Der Deutsche U20-Meister im Zehnkampf überraschte in Heilbronn bei der Jugend-DM, als er in seinem dritten Rennen über die 400 Meter Hürden überhaupt direkt den Titel abräumte.
 

Die deutschen Top Ten 2020

400 Meter Hürden

Zeit Name Jahrgang Verein
49,49 sec Constantin Preis 1998 VfL Sindelfingen
49,78 sec Emil Agyekum 1999 SCC Berlin
50,24 sec Joshua Abuaku 1996 LG Eintracht Frankfurt
51,66 sec Justus Ringel 1999 SC Potsdam
52,30 sec Michael Adolf 1996 TSV Gräfelfing
52,57 sec Marcel Meyer 2001 Hannover 96
52,61 sec Andreas Kölbl 1994 TSV Penzberg
52,66 sec Jonas Pannevis 1995 LG Kreis Verden
52,69 sec Patrick Elger 1996 LAC Erdgas Chemnitz
52,83 sec Tom Unverricht 2001 TuS Bothfeld

Statistik – Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau

Jahr < 49,35* Schnitt Top 3 Schnitt Top 5 Schnitt Top 10
2005 1 49,69 50,04 50,79
2006 50,31 50,56 51,11
2007 50,50 50,73 51,25
2008 51,07 51,17 51,43
2009 1 49,74 50,12 50,58
2010 49,92 50,10 50,85
2011 1 49,33 49,56 50,40
2012 1 49,37 49,51 50,14
2013 1 49,50 49,80 50,30
2014 2 49,25 49,67 50,26
2015 50,08 50,28 50,87
2016 50,10 50,34 50,97
2017 49,86 50,16 50,63
2018 1 50,20 50,44 50,93
2019 2 49,31 49,72 50,75
2020 49,84 50,69 51,68

Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich

Jahr Deutschland Europa Diff Welt Diff
2005 49,17 (C. Duma) 48,24 (Iakovakis/GRE) 0,93 47,24 (Clement/USA) 1,93
2006 49,69 (C. Duma) 47,82 (Iakovakis/GRE) 1,87 47,39 (Clement/USA) 2,30
2007 50,37 (T. Goller) 48,12 (Plawgo/POL) 2,25 47,61 (Clement/USA) 2,76
2008 50,81 (L. Hense) 48,52 (Plawgo/POL) 2,29 47,25 (Taylor/USA) 3,65
2009 49,20 (T. Goller) 48,27 (Greene/GBR) 0,93 47,91 (Clement/USA) 1,29
2010 49,85 (G. Fleischhauer) 47,88 (Greene/GBR) 1,97 47,32 (Jackson/USA) 2,53
2011 48,72 (G. Fleischhauer) 48,20 (Greene/GBR) 0,52 47,66 (van Zyl/RSA) 1,06
2012 49,21 (S. Schirrmeister 47,84 (Greene/GBR) 1,37 47,63 (Sanchez/DOM) 1,58
2013 49,15 (S. Schirrmeister) 48,05 (Bekric/SRB) 1,10 47,69 (Gordon/TRI) 1,46
2014 48,93 (F. Franz) 48,47 (Hussein/SUI) 0,46 48,03 (Culson/PUR) 0,90
2015 49,87 (J. Hanßen) 48,05 (Kudryavtsev/RUS) 1,82 47,79 (Bett/KEN) 2,08
2016 49,48 (T. Giehl) 47,92 (Copello/TUR) 1,56 47,73 (Clement/USA) 1,75
2017 49,40 (L. Campbell) 48,22 (Warholm/NOR) 1,18 47,80 (McMaster/IVB) 1,60
2018 49,14 (L. Campbell) 47,64 (Warholm/NOR) 1,50 46,98 (Samba/QAT) 2,16
2019 49,23 (C. Preis) 46,92 (Warholm/NOR) 2,31 46,92 (Warholm/NOR) 2,31
2020 49,49 (C. Preis) 46,87 (Warholm/NOR) 2,62 46,87 (Warholm/NOR) 2,62

Das fällt auf:

  • Constantin Preis, der Senkrechtstarter des Jahres 2019, knüpft auch im Corona-Sommer an die Leistungen des Vorjahres an. In Braunschweig verteidigt der Sindelfinger erfolgreich seinen deutschen Meistertitel und stellt sich auch der internationalen Konkurrenz in der Diamond League. Erfahrungen, die ihm im kommenden Jahr mit Hinblick auf die Olympischen Spiele nur helfen können.
  • Luke Campbell, der zweimalige Deutsche Meister, nahm sich in diesem Jahr eine Auszeit über seine Paradedisziplin und zeigte sich nur auf den Unterdistanzen. Über 100 Meter sprang gar eine neue Bestzeit heraus (11,18 sec).
  • Neben Preis und Campbell gehören auch Emil Agyekum und Joshua Abuaku zum Kreis derjenigen, die um die drei heißbegehrten Tickets für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr laufen können. Emil Agyekum lief mit 49,78 Sekunden ganz nah an seine persönliche Bestzeit und wurde dafür erstmals mit Silber bei den Deutschen Meisterschaften belohnt.
  • Dennoch: Die Coronapandemie mit dem damit einhergehenden reduzierten Wettkampfangebot über 400 Meter Hürden hatte auch Einfluss auf den deutschlandweiten Schnitt der besten 400-Meter-Resultate, der sich deutlich nach unten bewegt hat und ein ähnliches Leistungsniveau wie zuletzt 2008 spiegelt.
  • Die Überraschung dieses Sommers war ein Zehnkämpfer. Marcel Meyer, der 19-Jährige aus Hannover, sorgte bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften in Heilbronn für Aufsehen, als er in seinem dritten Rennen über die 400 Meter Hürden überhaupt direkt den Titel in der U20 abräumte. Es war die zweite Goldmedaille in diesem Jahr für Marcel Meyer, nachdem er bereits Gold im Zehnkampf der U20 gewonnen hatte.
  • Karsten Warholm schraubt das Niveau weltweit immer weiter hinauf. Der norwegische Überflieger ging in diesem Sommer bei den als Impossible Games ausgetragenen Bislett Games ohne Gegner über 300 Meter Hürden an den Start. In 33,78 Sekunden spulte er diese Strecke ab – und unterbot damit den bisherigen Europarekord von Chris Rawlinson (Großbritannien) um 0,7 Sekunden. In Stockholm (Schweden) verbesserte der Ausnahmeathlet beim Diamond League Meeting mit 46,87 Sekunden seinen eigenen Europarekord erneut – es war zudem die zweitschnellste je gelaufene Zeit über diese Strecke. Der Weltrekord – er wackelt gewaltig. 

leichtathletik.TV-Clips zu den Langhürden

 400 Meter Hürden  

Die Disziplin-Analysen im Überblick:

Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen

* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017

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