Es sind Meisterschaften auf Abstand – aber dennoch mit meisterschaftswürdigen Leistungen. Den ersten Tag der 120. Deutschen Meisterschaften im Eintracht-Stadion in Braunschweig, die angesichts der Corona-Pandemie unter strengen Hygienevorschriften stattfinden, krönte Deniz Almas mit seinen rasanten 10,09 Sekunden über die 100 Meter. Im Dreisprung räumte Max Heß seinen vierten Titel ab. Doch es gab auch zahlreiche Überraschungssieger an diesem Samstag in Braunschweig.
Es sind andere Meisterschaften, als die Leichtathleten sie sonst gewohnt sind. Meisterschaften mit Maske. Auf Abstand. Und ohne Zuschauer. Meisterschaften im Corona-Sommer. Aber dennoch eben Meisterschaften, bei denen die Athleten sich zu Höchstleistung pushten, denn im besten Fall glänzt der Lohn golden.
Der schnellste Wolf ist auch der schnellste Deutsche. Deniz Almas (VfL Wolfsburg) füllte im Ziel mit seinem Jubelschrei das gesamte Eintracht-Stadion. Berechtigt, schließlich hatte der 23-Jährige nur kurz zuvor mit 10,09 Sekunden den Titel über die 100 Meter geholt.
10,09 Sekunden – so schnell war seit Julian Reus' Rekordlauf 2014 kein Deutscher Meister mehr über diese Distanz. Dabei war es in Braunschweig auch eben jener Julian Reus (LAC Erfurt), der dem jungen Almaz vom ersten Meter an ordentlich Druck machte, kam der fünfmalige Freiluftsieger, der seine Karriere nach den Olympischen Spielen 2021 beenden will, doch mit Abstand am besten aus den Blöcken.
Die "jungen Wilden" machen viel Freude
Doch dann tobten die jungen Wilden in Person von Deniz Almas und dem Kölner Joshua Hartmann vorbei. Der 21-jährige Hartmann war in diesem Jahr bereits mit 10,14 Sekunden Bestzeit gelaufen und stellte dieses Vermögen auch im heißen Braunschweiger Stadion unter Beweis. In 10,23 Sekunden holte er sich, nach Platz fünf im Vorjahr, Silber vor Julian Reus, der aber in 10,26 Sekunden bewies, der er mit seinen 32 Jahren nach wie vor nicht unterschätzt werden sollte. Die 10,09 Sekunden sind die zweitschnellste Zeit in Europa in diesem Sommer – nur Almas selber war in diesem Jahr (10,08 sec) überhaupt schneller.
Packend bis zum letzten Meter – das war das Sprintfinale der Frauen. Lisa Marie Kwayie (Neuköllner SF) und Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar) waren sich die erwartet ebenbürtigen Kontrahentinnen – doch das bessere Finish hatte an diesem Tag Lisa Kwayie. Die Hallenmeisterin warf sich mit 11,30 Sekunden knapp vor der jahresschnellsten Deutschen Rebekka Haase (11,34 sec) ins Ziel. Noch enger war die Entscheidung um Bronze, wo die Tausendstel den Unterschied zwischen Lisa Nippgen (MTG Mannheim) und Leverkusens Jennifer Montag (beide 11,40 sec) machte. Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar) musste hingegen kurz vor dem Finale zurückziehen. Ihr Beuger macht Probleme.
Max Heß setzt Titelsammlung fort
Auch bei Temperaturen von deutlich über dreißig Grad war der Überflieger im Dreisprung standesgemäß Max Heß (LAC Erdgas Chemnitz). Der ehemalige Europameister, der in diesem Jahr sein Comeback nach langen Rückenproblemen gegeben hatte und im Vorfeld auch bereits die 17-Meter-Marke geknackt hatte, flog auf dem eigens für die Deutschen Meisterschaften installierten Sprungsteg auf 16,58 Meter.
„Ich bin heute schwer reingekommen“, bekannte der 24-Jährige. „Zum Schluss ging es besser“, sagte er und spekulierte, ob der letzte Versuch, der leicht übergetreten war, über 17 Meter weit war. So oder so: Es war der vierte deutsche Meistertitel für den 24-Jährigen. In seinem Schatten kratzte Felix Wenzel (SC Potsdam) mit Saisonbestleistung von 15,95 Metern an den 16 Metern.
Faustdicke Überraschung über die Hindernisse
Auch Christin Hussong lieferte eine starke Leistung ab. Die Europameisterin war zum Höhepunkt dieser so speziellen Saison voll da. 63,93 Meter – das ist nur knapp unter ihrer Saisonbestleistung von 64,10 Meter. Die 26-Jährige, die in diesem Jahr noch ungeschlagen ist, sicherte sich damit ihre fünfte Goldmedaille bei Deutschen Meisterschaften. „Wir haben in der Corona-Pause an Sachen gearbeitet, für die sonst keine Zeit ist. Vor dem Hintergrund geht die Weite in Ordnung“, sagte Christin Hussong selber. „Ich will in den nächsten Wettkämpfen noch Sicherheit in der Technik bekommen.“ WM-Starterin Annika Marie Fuchs (SC Potsdam) blieb wie im Vorjahr mit 57,97 Metern Silber.
Eine faustdicke Überraschung gab es über 3.000 Meter Hindernis der Frauen. Denn im Ziel war es Elena Burkhard (LG farbtex Nordschwarzwald), die sich in Jubelpose für ihren ersten Deutschen Meistertitel über diese Strecke warf. Gesa Krause (Silvesterlauf Trier), die zweimalige Europameisterin über diese Strecke, die sich so auf ihren DM-Start gefreut hatte, musste aufgrund von muskulären Problemen das Rennen frühzeitig beenden. „Ich bin auch nur ein Mensch“, sagte Gesa Krause später. „Es war nicht mein Tag und die Form, die ich von mir erwartet habe und die man von mir kennt.“
In 9:50,31 Minuten lief die 28-jährige Burkard bei diesem Hitzerennen Saisonbestleistung und liegt damit im europäischen Vergleich aktuell auf Platz zwei. „Der Titel ist für mich extrem wichtig“, sagte Elena Burkard, die im vergangenen Jahr mit vielen Verletzungssorgen zu kämpfen hatte. „Ich bin froh, wieder verletzungsfrei zu sein und dass wir überhaupt hier laufen durften.“ Silber geht an Lea Mayer (VfL Löningen), die in 9:58,87 Minuten noch unter der 10-Minuten-Marke blieb.
Pamela Dutkiewicz strauchelt
Auch über die Hürden der Frauen gab es eine Überraschung, denn Favoritin Pamela Dutkiewicz (TV Wattenscheid 01) ereilte bereits im Vorlauf Riesenpech. Die EM-Zweite, die bei ihrem Saisondebüt im zweiten Halbfinale souverän in Führung lag, trat in die drittletzte Hürde, kam ins Straucheln und konnte das Rennen nichts ins Ziel bringen. „Ich arbeite gerade an einer neuen Startposition“, erklärte sie die Hintergründe. „Das war heute die schlechtmöglichste Version davon. Ich habe noch versucht, es im Rennen zu retten, aber dann war es vorbei.“
Für Ricarda Lobe (MTG Mannheim) ging es dagegen so schnell wie in dieser Saison noch nie. In 13,24 Sekunden holte sich die EM-Sechste ihre verdiente erste Goldmedaille bei einer DM. Auf dem Silberrang steigerte sich Anne Weigold (LG Mittweida) mit 13,31 Sekunden zur Bestleistung vor der Paderbornerin Monika Zapalska (13,33 sec).
Matthias Bühler mit dem achten Streich
Nichts verlernt hat Matthias Bühler. Der Hürdensprinter vom TV Haslach, der seine Karriere zwischenzeitlich bereits als für beendet erklärt hatte, bewies im Finale über 110 Meter Hürden abermals, dass er das Meisterschaftsgen besitzt. In 13,62 Sekunden wehrte der 33-Jährige den Angriff des Wattenscheiders Erik Balnuweit (13,77 sec) ab und holte sich seinen insgesamt achten Deutschen Meistertitel.
Im Rennen der Rückkehrer war es Georg Fleischhauer (LG Eintracht Frankfurt), der sich Bronze ersprintete. Der Frankfurter, der seine größten Erfolge über 400 Meter Hürden gefeiert hatte und zuletzt im Bob unterwegs war, kehrt praktisch zurück zu seiner ersten Leichtathletik-Liebe, den 110 Meter Hürden, und holte sich hier in 13,86 Sekunden Bronze. Schneller war der 31-Jährige nie über diese Strecke.
Starkes Rennen von Mohamed Mohumed
21 Jahre jung und seit Samstagabend Deutscher Meister über 5.000 Meter: Mohamed Mohumed (LG Olympia Dortmund). Er zeigte im Braunschweiger Stadion, dass er es inzwischen gelernt hat, taktisch und klug zu laufen. Der Neunte der U23-EM des Vorjahres behielt in der Hitzeschlacht über 12 Runden den Überblick. Nach einem klassischen, da verhalten gelaufenen Meisterschaftsrennen, in dem sich vor allem der Hallenmeister Maximilian Thorwirth (SFD 75 Düsseldorf-Süd) und Aaron Bienenfeld (SCC Hanau-Rodenbach) um das Tempo verdient machten, setzte er knapp 300 Meter vor dem Ziel die entscheidende Attacke. Gold in 14:02,75 Minuten! Florian Orth (LG Telis Finanz Regensburg; 14:05,46 min), der abermals eine starke Leistung ablieferte, wurde auf den letzten Metern noch von Maximilian Thorwirth (14:05,64 min) abgefangen.
Ein Novum gab es beim Stabhochsprung der Frauen, denn mit Stefanie Dauber (SSV Ulm 1846) und Ria Möllers (TSV Bayer 04 Leverkusen) teilen sich erstmals zwei Athletinnen in dieser Disziplin die Goldmedaille. Beide leisteten sich exakt die gleiche Anzahl an Fehlversuchen, und das bei denselben Höhen. Während Titelverteidigerin Lisa Ryzih (ABC Ludwigshafen) nach 4,30 Metern mit der Bronzemedaille die Sachen wieder einpacken musste, lieferten sich die Ulmerin Stefanie Dauber und die 24-jährige Ria Möllers ein Duell um Gold. 4,40 Meter meisterten beide im zweiten Versuch – und teilten sich damit den Titel.
„Geteilte Freude ist doppelte Freude“, resümierte Stefanie Dauber, die genau wie Ria Möllers zum ersten Mal überhaupt in ihrer Karriere DM-Gold feiern konnte. Ria Möllers, die in Leverkusen bei Christine Adams und damit in einer Trainingsgruppe mit Bo Kanda Lita Baehre und Torben Blech trainiert, steigerte ihre Bestleistung um satte neun Zentimeter. „Dass es hier zum Titel reicht, hätte ich nie erwartet“, sagte die neue Deutsche Meisterin, die im vergangenen Sommer in Berlin noch auf Platz vier gelandet war.
Christina Honsel in Form
Dass Christina Honsel (TV Wattenscheid 01) gut drauf ist, das hatte die Wattenscheiderin bereits im Vorfeld angedeutet. Wie gut die 23-Jährige, die im vergangenen Sommer bei der U23-EM zu Silber gesprungen war, durch die ungewöhnliche Vorbereitungszeit gekommen ist, das bewies sie auch am Samstagnachmittag in Braunschweig. Bis 1,84 Meter nahm die WM-Teilnehmerin des Vorjahres jede Höhe im ersten Versuch, lediglich bei 1,87 Metern leistete sie sich einen kleinen Wackler. Ihr blitzsauberer, erster Sprung über 1,90 Meter – er brachte ihr ihren ersten deutschen Meistertitel bei den Aktiven und zeigte deutlich: Da steckt noch deutlich mehr in ihr. Wie viel mehr, das wird sie an anderer Stelle zeigen, denn 1,93 Meter, was Bestleistung bedeutet hätte, war an diesem Nachmittag noch einen Tick zu hoch.
Alexandra „Ola“ Plaza (LT DSHS Köln), die ihre Karriere eigentlich schon beendet hatte, steigerte sich in diesen Wettkampf hinein und sprang mit 1,87 Metern so hoch wie seit sechs Jahren nicht mehr. Der Lohn für diesen Kampfgeist: Silber bei den Deutschen Meisterschaften. Das war der heute 25-Jährigen zuletzt 2014 gelungen.
Emotionale Dreisprung-Siegerin
Überschäumend vor Freude – das war die Überraschungssiegerin im Dreisprung. Maria Purtsa sprang mit 13,65 Metern zu Gold und ließ ihren Emotionen danach freien Lauf. „Es ist wirklich unglaublich“, sagte die 24-Jährige vom LAC Erdgas Chemnitz, die sich in Zeiten der geschlossenen Sportplätze aufgrund der Corona-Pandemie sieben Wochen lang auf einem Feldweg fit gehalten hatte. „Ich wusste aber, dass heute etwas geht und habe mir gesagt: ‚Vertrau auf dich‘.“ Ein Mantra, das voll aufging. Die Chemnitzerin, aus der Trainingsgruppe von Harry Marusch, wurde nach der kurzfristigen Absage der jahresbeste Deutschen, Neele Eckhardt (LG Göttingen), die sich beim Einspringen am Oberschenkel verletzt hatte, vor allem von der Düsseldorferin Jessie Maduka gefordert. Die 24-Jährige sprang mit 13,57 Metern so weit wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr.
Im letzten Jahr war er noch Fünfter bei der DM geworden. In diesem Jahr nimmt er die Goldmedaille mit nach Hause. Clemens Prüfer (SC Potsdam) heißt der neue Deutsche Meister. Der 22-Jährige war mit 62,97 Metern nicht zu schlagen und hielt damit auch den Olympia-Dritten Daniel Jasinksi (TV Wattenscheid 01) in Schach, der mit 61,68 Metern seinen ersten Start im Corona-Sommer absolvierte. David Wrobel, der als bester Deutscher zu den Titelkämpfen angereist war, kam indes nicht in seinen gewohnten Rhythmus. Mit drei ungültigen Versuchen verpasste der Magdeburger den Einzug ins Finale der besten Acht.
Tristan Schwandke mit 70-Meter-Konter
Die Hallenmeisterin im Kugelstoßen ist auch die Deutsche Freiluft-Meisterin. Alina Kenzel (VfL Waiblingen) war zum Saisonhöhepunkt topfit. Mit Saisonbestleistung von 17,96 Metern holte sich ihren erste Goldmedaille unter freiem Himmel und verwies die jahresbeste Deutsche Julia Ritter (TV Wattenscheid 01) mit 17,47 Metern auf Platz zwei.
Mit dem Hammer lieferten Titelverteidiger Tristan Schwandke (TV Hindelang) und der erst 18-jährige Merlin Hummel (UAC Kulmbach) sich ein spannendes Duell – bis zum allerletzten Durchgang. Der Herausforderer, der eigentlich noch mit dem Sechs-Kilo-Hammer der U20 wirft, bewies sein großes Talent auch in Braunschweig mit dem 7,26 Kilo schweren Männer-Hammer und übernahm im entscheidenden sechsten Versuch mit 69,53 Metern die Führung. Der Vorjahressieger, etwas gehandicapt durch eine Rückenverletzung, wackelte, doch er ließ sich nicht stürzen. 70,85 Meter in seinem letzten Wurf brachten Tristan Schwandke seine zweite Goldmedaille bei Deutschen Meisterschaften.