Bereits zum dritten Mal erhält Wolfgang Ritte (M65; LAV Bayer Uerdingen/Dormagen) die Auszeichnung zum "Senioren-Leichtathleten des Jahres" in Deutschland. Nach 2007 und 2014 ist der Stabhochsprung-Weltrekordler seiner Klasse auch für seine Erfolge in 2018 zum Sieger gewählt worden. Im Interview berichtet der dreifache Málaga-Weltmeister von seinem Vorbild Sergey Bubka und seiner großen Passion für den Sport.
Gratulation und Glückwunsch! Die Internet-User von leichtathletik.de haben Sie zum „Senioren-Leichtathleten des Jahres“ 2018 gewählt. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Wolfgang Ritte:
Schon die Nominierung war ein Erfolg. Der Preis ehrt mich sehr und ich freue mich riesig. Ich bedanke mich bei allen, die sich an der Wahl beteiligt und natürlich ganz besonders bei denen, die mich gewählt haben.
Nach 2007 und 2014 erhalten Sie damit bereits zum dritten Mal diesen Titel!
Wolfgang Ritte:
Das ist etwas ganz Besonderes für mich. 2007 entschieden noch die damaligen Leser der Senioren-Leichtathletik-Fachschrift, 2014 war es die Überzeugung eines 30-köpfigen Expertengremiums und nun ist es also das Ergebnis einer Online-Befragung.
Die Krönung waren letztes Jahr Ihre beiden Altersklassen-Weltrekorde im Stabhochsprung. Im Freien überquerten Sie 4,05 Meter, unterm Hallendach 3,96 Meter...
Wolfgang Ritte:
Als erster Mensch in der M65 die Vier-Meter-Marke zu überspringen – das war tatsächlich die sportliche Herausforderung und mein Ziel in 2018. Bereits seit Anfang 2017 habe ich das Training voll auf diesen Erfolg ausgerichtet. Eine Geduldsprobe. Immerhin habe ich 30 und mehr Wettkampf-Anläufe gebraucht. Aber dann, endlich, auf meiner Lieblingsanlage in Wipperfürth – dort kann man auf zwei Anlagen in beide Richtungen springen – hat alles gepasst. Dass ich dort aber auch noch die 4,05 Meter springe – damit hatte ich absolut nicht gerechnet.
Zu Meisterehren haben Sie es zuletzt nicht nur dreimal auf deutscher Ebene gebracht. Auch von den Weltmeisterschaften in Málaga haben Sie drei Titel mitgebracht, im Hürdensprint sowie im Weit- und Stabhochsprung. Haben Sie damit gerechnet?
Wolfgang Ritte:
Die drei WM-Titel sind die Folge meines intensiven Stabhochsprung-Trainings. Diese Disziplin ist eng mit anderen Sprungdisziplinen verbunden. Vier Wochen vor der WM habe ich mein Absprungtraining forciert, davon habe ich auch für den Weitsprung profitiert. In Málaga hatte ich im Weitsprung einen Podiumsplatz im Auge. Bei der WM dann tatsächlich 5,44 Meter zu springen, kam für mich überraschend. Es fehlten mir nur nur Zentimeter zum Weltrekord. Was die Hürden betrifft, habe ich auf den Einzug ins Finale gehofft. Mit meiner Zeit hätte ich durchaus Zweiter, Dritter oder Vierter werden können. Einer meiner stärksten Mitkonkurrenten aus den USA fand nicht zu seiner Tagesform – nach der sechsten Hürde kamen mir zum Ende des Rennens meine langen Beine zugute. Wirklich gerechnet mit Gold habe ich im Stabhochsprung. Dort ging die Rechnung auf und ich wurde mit großem Vorsprung Weltmeister.
Kann man Leistungen wie die des vergangenen Jahres überhaupt planen?
Wolfgang Ritte:
Im Seniorenbereich kannst du nicht in allen Altersklassen Jahr für Jahr in vollem Umfang trainieren. Wenn aber ein Wechsel in die nächste Altersklasse ansteht, versuche ich das Training zu steigern. Seine Leistung bringt man am besten gleich im Jahr eins der neuen Altersklasse.
Bereits im Alter von fünf Jahren haben Sie mit der Leichtathletik begonnen. Woher nehmen Sie auch jetzt noch die Energie? Sie haben eine ganz eigene, sagen wir mal, „Performance-Life-Balance“ gefunden, oder?
Wolfgang Ritte:
Das kann man wohl sagen. Ich muss dem lieben Gott oder der Natur einfach dankbar sein. Von größeren Verletzungen bin ich verschont geblieben. Ich hatte immer ein Umfeld, das man sich so nur wünschen kann. Heute reise ich mit den Senioren um die Welt, treffe Freunde von früher wieder und lerne immer wieder neue nette Leute kennen. Das macht mich süchtig. Und wenn ich im Alltag einmal gestresst sein sollte, brauche ich nur fünf Minuten auf dem Trainingsplatz zu sein – und ich bin wieder ein anderer und ausgeglichenerer Mensch.
Welche Rolle spielt der Verein?
Wolfgang Ritte:
Das Vereinsumfeld ist ungemein wichtig. LAV Bayer Uerdingen/Dormagen verfügt über alle Möglichkeiten, überall steht das Feinste zur Verfügung. Wenn ich zum Beispiel auch an Sonn- und Feiertagen in der Halle oder im Kraftraum trainieren möchte, dann kann ich das ganz unabhängig. Das ist eine wichtige Basis für tolle Leistungen.
Wie wichtig ist die Familie?
Wolfgang Ritte:
Die Familie steht für mich an erster Stelle. Leichtathletik gehört zu unserem Leben, das gilt für meine Frau Ute, unsere Kinder, deren Partner und Freunde und inzwischen auch für unsere Enkel. Für uns ist es wichtig, Leichtathletik gemeinsam zu betreiben und uns gegenseitig zu unterstützen. So ist auch gewährleistet, dass zu keiner Zeit jemand allein auf sich gestellt ist, was besonders für die technisch komplizierte und nicht ganz risikolose Disziplin Stabhochsprung von großer Bedeutung ist. Wenn ich weiter das Glück habe, im Kreise meiner Familie älter zu werden, dann weiß ich auch als Älterer zu schätzen, dass ich die Jüngeren auf dem Sportplatz begleiten und betreuen darf.
Ohnehin ist der Name Ritte bis zu fünfmal in den Meldelisten von Meisterschaften nachzulesen. Ist es überhaupt vorstellbar, dass in näherer Zukunft eine Europa- oder Weltmeisterschaft einmal ohne die Rittes stattfindet?
Wolfgang Ritte:
Doch, das ist im Bereich des Möglichen (lacht). Fraglich sind die internationalen Großereignisse, die in Übersee stattfinden. 2020 steht da ja Toronto auf dem Plan. Angewiesen auf die eigenen Stäbe, haben wir da als Stabhochsprung-Family ein Problem, ein richtiges Transportproblem. Wir sind auf geeignete (am besten die eigenen) Stäbe angewiesen und kennen mehrere Stabhochspringer, deren Stäbe verspätet, kaputt, gar nicht oder am falschen Zielflughafen ankamen.
Und 2019?
Wolfgang Ritte:
Was unsere kurzfristigen Planungen angeht, so planen wir schon jetzt für die Sommerferien und mit den Europameisterschaften Anfang September in Venedig. Ich war früher sowohl Vereins- als auch Verbandstrainer und coachte dabei auch meine eigenen Kinder. Uns verbindet viel mit Italien und den zahlreichen Trainingslagern dort. Die ganze Familie freut sich schon auf Venedig.
Ende März findet im polnischen Torun die Hallen-WM statt. Wie schwierig wird es, die drei WM-Titel von Málaga zu wiederholen?
Wolfgang Ritte:
Tatsächlich habe ich für diese Disziplinen gemeldet. Leider musste ich mich bis vor wenigen Wochen mit einer Achillessehnenverletzung rumplagen, trotzdem möchte ich bei den Deutschen Senioren-Hallenmeisterschaften in Halle wie auch in Torun in diesen drei Disziplinen antreten. Möglich ist aber auch, dass ich mich auf den Stabhochsprung konzentriere. Die Gewinnchancen sind sehr hoch.
Wie lautet Ihr ganz persönliches Motto, Ihre Maxime?
Wolfgang Ritte:
Bezogen auf den Seniorensport erlebe ich, wie wichtig es ist, die richtige Balance zwischen Spannung und Entspannung zu finden. Wie in der Trainingslehre auch, musst du so lange regenerieren, bis du wieder in der Lage bist, das Training mit einer entsprechenden Performance abzuwickeln. Bei den Spitzensportlern liegen dazwischen auch mal nur sechs Stunden, bei uns Senioren kann es dagegen auch mal zwei bis drei Tage dauern. Vielleicht ist dieses Gefühl – der richtige Wechsel zwischen An- und Entspannung – der entscheidende Beitrag dafür, dass ich nie wirklich größere Verletzungen hatte.
Wer zählt zu Ihren Vorbildern?
Wolfgang Ritte:
Sergey Bubka mit seinen zahlreichen Weltrekorden gehört dazu. In den zurückliegenden 90er und in den 2000er-Jahren hat der Ukrainer den Stabhochsprung revolutioniert, vor allem turnerische und technische Aspekte eingebracht. Als ich jung war, war Hans Lagerquist mein Idol. Früher war ich als Jugendlicher auf Autogrammjagd und habe eines von ihm ergattern können. Heute kommt mein Idol von gestern bei Wettkämpfen auf mich zu und fragt, ob er meine Ablauf- und Zwischenmarken für mich checken dürfe. Inzwischen ist er einer meiner besten Freunde. Wenn wir uns wiedersehen, haben wir riesigen Spaß. Geschichten wie solche schreibt vor allem die Leichtathletik. Und soweit kommt es nur, weil man die Passion Leichtathletik teilt, ein Leben lang.
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Die Sieger der Wahl – Wolfgang Ritte und Eva Trost (W50; ASV Piding) – sollen im Rahmen der kommenden Senioren-Hallen-DM 2019 in Halle/Saale (1. bis 3. März) geehrt werden.