| Dreier-Interview

DLV-Talente im Olympia-Jahr: Von erfüllten und geplatzten Träumen

Zwei waren mittendrin bei den Olympischen Spielen in Rio, einer saß Zuhause vor dem Fernseher. Sprinterin Gina Lückenkemper (19 Jahre alt, LG Olympia Dortmund), Hindernisläuferin Maya Rehberg (22, SG TSV Kronshagen/Kieler TB) und Mittelstreckler Patrick Zwicker (22, LC Rehlingen) eint der Faktor ihrer Jugend, ihres großen Talents und der gemeinsame olympische Traum. Im Interview analysieren die Nachwuchs-Athleten ihre Rio-Saison, geben Einblick in ihren individuellen Umgang mit Freude und Enttäuschung und verraten, welche Ziele sie sich nun setzen.
Martin Neumann

Gina Lückenkemper, Maya Rehberg, Patrick Zwicker: Mit einem Satz: Wie haben Sie rückblickend die Olympischen Spiele in Rio erlebt?

Gina Lückenkemper:

Die Olympischen Spiele in Rio waren für mich schlicht weg der Wahnsinn.

Maya Rehberg:

Ich durfte in Rio den olympischen Traum leben, und habe bleibende Eindrücke verschiedenster Art gewonnen.

Patrick Zwicker:

Zwar aus der Ferne, doch dafür mit viel Interesse und Leidenschaft für meinen Sport.

Waren die Spiele denn so, wie Sie sich sie vorgestellt haben?

Maya Rehberg:

Die Olympischen Spiele sind der Traum jedes Sportlers, ich bin dankbar, dabei gewesen zu sein. Ich durfte olympische Momente erleben, welche definitiv in Erinnerung bleiben werden. Natürlich gab es auch weniger positive Eindrücke, das lässt sich in einem Land wie Brasilien nicht vermeiden.

Gina Lückenkemper:

Ich hatte mir zuvor nicht wirklich viel darunter vorgestellt, aber es war einfach überwältigend. Ein Erlebnis, das ich in meinem Leben definitiv nicht missen möchte.

Patrick Zwicker, Sie haben die Qualifikation wie die anderen deutschen 800 Meter-Spezialisten auch verpasst. Sind Sie für die Rennen trotzdem mitten in der Nacht aufgestanden?

Patrick Zwicker:

Ja, für das Finale habe ich mir den Wecker gestellt. Dieses eine ganz besondere Finale findet nur alle vier Jahre statt, das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Das Finale habe ich aber sehr nüchtern, mit wenigen Emotionen betrachtet. Schließlich ist es ja dann doch die Konkurrenz, die dort starten darf und nicht man selbst.

Wie haben Sie sich gefühlt, als klar war: Rio 2016 findet ohne mich statt?

Patrick Zwicker:

Ich war nicht sonderlich enttäuscht. Es war mehr die Akzeptanz darüber, dass es schlicht und ergreifend in diesem Jahr nicht genug war. Manchmal muss man die Ergebnisse einfach so hinnehmen, wie sie sind, ansonsten macht man sich kaputt. Aber klar, man stellt sich Fragen: Was habe ich falsch gemacht, was hätte ich besser machen müssen und kann ich es irgendwann vielleicht mal schaffen? Aber das Schöne am Sport ist: Geht eine Tür zu, öffnet sich sofort eine neue. Ich werde mein Sportlerleben nicht allein daran messen, ob ich einmal bei Olympia war oder nicht.

Maya Rehberg, mit Ihrem klaren Aus im 3.000-Meter-Hindernis-Vorlauf waren Sie nicht zufrieden. Was haben Sie aus dem Rennen gelernt?

Maya Rehberg:

Dabei sein ist schön, ein Wort mitreden zu können ist schöner. Auch mit einer Top-Leistung hätte ich es nicht ins Finale geschafft. Mein Ziel war die Teilnahme bei den Olympischen Spielen, das habe ich erreicht. Nächstes Mal setze ich mir ein höheres Ziel!

Gina Lückenkemper, bei Ihnen dürfte die Gefühlslage etwas anders aussehen. Mit Platz vier in der Staffel hat nicht viel zur Medaille gefehlt.

Gina Lückenkemper:

Der vierte Platz ist für uns ein Riesen-Erfolg gewesen. Klar wäre es der totale Wahnsinn gewesen, von den ersten Olympischen Spielen mit einer Medaille zurückzufahren. Aber mit einer so jungen Staffel so weit zu kommen, ist echt irre und wir sind alle super zufrieden, stolz und glücklich über das, was wir erreicht haben.

Nach Olympia ist vor Olympia: Welche Rolle spielen jetzt schon die nächsten Olympischen Spiele in Tokio? 2020 werden Sie zwischen 23 und 26 Jahren alt sein.

Gina Lückenkemper:

Über Tokio denke ich momentan noch gar nicht nach.

Maya Rehberg:

Klar muss man sich überlegen, wohin die Reise mal gehen kann. Aber Priorität haben für mich jetzt erstmal klar die Europameisterschaften 2018 in Berlin.

Patrick Zwicker:

Klar ist Tokio ein Ziel, aber die große Rolle spielt es noch nicht. Ich will schnell laufen und Spaß haben, wenn möglich jedes Jahr.

Patrick Zwicker, Ihre Bestzeit von 1:46,04 Minuten stammt aus dem Jahr 2013 und aus der U20-Klasse. Welche Gründe, glauben Sie, gibt es für die Leistungsstagnation?

Patrick Zwicker:

Diese Frage kann ich von allen am wenigsten leiden (lacht). Aber klar muss sie gestellt werden. Wenn ich die Gründe dafür wüsste, würde ich sie sofort beheben und konstant um 1:46,00 Minuten laufen. Doch Sport funktioniert so nicht, manchmal läuft alles wie am Schnürchen, manchmal geht alles den Bach hinunter. Ich war in der U20-Klasse sicherlich eine Ausnahme von wenigen. Ich war befreit, hatte das Talent und so etwas wie eine Verletzung kannte ich noch nicht. Danach fehlte mir die Kontinuität. Leider konnte ich keine Vorbereitung ohne Verletzung oder Krankheit überstehen. Von einer schweren Blutvergiftung 2014 über einen Außenband-Abriss 2015 bis hin zur Hepatitis in Kenia dieses Jahr habe ich viel durchgemacht. Das waren viele Hürden, damit musst du erstmal klarkommen. Dazu kommt, dass mein Kopf irgendwann nicht mehr mitgespielt hat. Dann holst du nicht mehr 100 Prozent aus dir heraus. Und das ist im Hochleistungssport zu wenig. Ich bin trotzdem der Meinung, dass die vergangenen Jahre nicht umsonst waren. Die Trainingszeit wird mir zugutekommen.

In Deutschland gibt es momentan viele talentierte 800-Meter-Läufer mit 1:46 und 1:47er-Zeiten. Was erwarten Sie von den kommenden Jahren auf dieser Strecke?

Patrick Zwicker:

Das stimmt, die Breite in der Spitze hat zugenommen. Wir werden uns weiter pushen, jeder Fehler wird bestraft. Jeder wird wissen, dass man auch schnell mal hinten ist, wenn man im Training nicht voll bei der Sache ist. Ich glaube, dass wir alle von der breiten Basis profitieren werden.

Gina Lückenkemper, Sie haben im Gegensatz zu Patrick Zwicker eine Traumsaison hingelegt. Haben Sie schon alles verarbeitet?

Gina Lückenkemper:

Ich bin noch dabei (lacht). Aber es tut auch echt gut, außerhalb der Saison etwas mit meiner Staffelkollegin Rebekka Haase zu machen, die genau wie ich einiges aus dieser Saison zu verarbeiten hat. Einfach gemeinsam ganz normale Dinge zu machen und gemeinsam über das Erlebte zu sprechen, hilft enorm. Wir wollen ja verstehen, was dieses Jahr eigentlich alles passiert ist.

Sie galten als schlechte Starterin und daher als 200-Meter-Spezialistin. Nun haben Sie sich über 100 Meter auf 11,04 Sekunden gesteigert. Sind Sie nun plötzlich 100-Meter-Spezialistin?

Gina Lückenkemper:

Die 200 Meter werden trotz allem meine Lieblingsstrecke bleiben. Ich bin mal gespannt, was in den nächsten Jahren über beide Strecken noch passieren wird.

Letzte Frage und damit noch einmal zurück nach Rio: In Deutschland wurde der Hand-in-Hand-Zieleinlauf der Hahner-Zwillinge beim Marathonlauf heftig diskutiert. Wie haben die beiden Läufer Patrick Zwicker und Maya Rehberg die Diskussion darüber empfunden. Und wie bewerten Sie diese?

Patrick Zwicker:

Die Diskussion an sich war Erstens zu lange und Zweitens irgendwann auch respektlos den Hahner-Zwillingen gegenüber. Ich kann den Unmut der breiten Masse allerdings verstehen, wenn zwei deutsche Repräsentantinnen Hand-in-Hand und lachend einer olympischen Marathonziellinie entgegenlaufen. Es war allerdings eine Momentaufnahme. Ich bin sicher, betrachtet man sich das Rennen und die Erschöpfung danach, würden viele differenzierter darüber denken. Sie haben es beide verdient, bei den Olympischen Spielen zu starten.

Maya Rehberg, Sie waren in Rio ganz dicht dran am Geschehen.

Maya Rehberg:

Ich war als eine der Wenigen an der Strecke und habe mich auch um die Getränke der beiden gekümmert. Ihr Ziel war der Olympia-Start, und zwar gemeinsam. Gerade bei Marathonläufern ist die Gefahr einer Verletzung aufgrund von Überlastung enorm. Das sieht man ja bei den deutschen Männern, da sind Arne Gabius und Hendrik Pfeiffer verletzt ausgefallen. An der Strecke konnte ich genau mitverfolgen, dass sie alles gegeben und gekämpft haben. Es ging einfach nicht mehr. Im Ziel haben sie den Moment der Freude einfach geteilt. Sie haben sich qualifiziert und gehören zu den schnellsten und beständigsten Läuferinnen Deutschlands. Ich hätte mir etwas mehr Rückhalt gewünscht. Seine Meinung nur Anhand des Zieleinlaufs zu fällen, finde ich nicht richtig.

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