Vor drei Jahren galt Bianca Stichling als Aufsteigerin unter den deutschen Hochspringerinnen. Danach konnte die Leverkusenerin jedoch nicht mehr an ihre besten Ergebnisse anknüpfen. Bis Samstag. Denn in der Dortmunder Helmut-Körnig-Halle überquerte sie 1,90 Meter und krönte sich überraschend zur Deutschen Meisterin.
Schon bei der ersten Entscheidung, die am Samstag bei der Hallen-DM in Dortmund fiel, gab es eine faustdicke Überraschung. Nach der Absage der Jahresbesten Christina Honsel (TV Wattenscheid 01) waren im Hochsprung alle Augen auf die Olympia-Teilnehmerin und Deutsche Freiluft-Meisterin Imke Onnen (Cologne Athletics) gerichtet. Und die Favoritin enttäuschte nicht, meisterte alle Höhen bis 1,87 Meter im ersten Versuch. Fast schien es, als hätte sie damit den Titel schon sicher, denn die drei weiteren Athletinnen, die 1,84 Meter überquert hatten, scheiterten zweimal.
Doch dann gesellte sich im dritten Anlauf noch eine weitere Hochspringerin dazu. Bianca Stichling (TSV Bayer 04 Leverkusen), die schon in den ersten beiden Versuchen vielversprechende Sprünge gezeigt hatte, floppte über die Latte und bewies damit Nervenstärke, denn auch die 1,84 Meter hatte sie zuvor erst im dritten Versuch geschafft. Und anschließend drehte sie den Spieß um und flog auf Anhieb über 1,90 Meter. Zwar konnte Imke Onnen im dritten Versuch nachziehen, doch da keine der beiden mehr eine weitere Höhe überspringen konnte, stand wenig später fest: Bianca Stichling ist die neue Deutsche Hallenmeisterin im Hochsprung – zum zweiten Mal!
Nach drei Jahren zurück in Bestform
Fast auf den Tag genau drei Jahre ist es her, dass Bianca Stichling in Leipzig erstmals den deutschen Meistertitel eroberte. Am 27. Februar 2022 meisterte die Hochspringerin 1,86 Meter. Im Mai 2022 gelang ihr in Garbsen der erste Sprung über die 1,90-Meter-Marke, anschließend wurde die damals 22-Jährige auch im Freien Deutsche Meisterin. Der Grundstein für weitere Erfolge schien damit gelegt worden zu sein. Eigentlich.
Doch in den darauffolgenden zwei Jahren konnte sie die starke Entwicklung nicht fortsetzen. Weder im Jahr 2023 noch 2024 ging es für Bianca Stichling höher hinaus als 1,83 Meter. Und während Christina Honsel und Imke Onnen die Meistertitel und internationalen Startplätze unter sich ausmachten, kämpfte die Leverkusenerin um die Rückkehr zu alter Stärke. Welche Hindernisse sie seit ihrem Erfolgsjahr, in dem sie ihre sechs besten Ergebnisse verbuchte, überwinden musste, verriet sie nach ihrem Überraschungscoup.
Nach dem Tal kommt wieder ein Berg
"Ich hatte viele Verletzungsprobleme in den letzten Jahren", berichtete die 25-Jährige, "zum einen immer wieder Rückenprobleme und zwischendurch auch noch einen Mittelfußbruch." Die Wende kam nach den Deutschen Meisterschaften 2024 in Braunschweig, wo sie mit 1,78 Metern Fünfte wurde. "Da haben wir den Schlussstrich gezogen und ich habe mich ganz auf die Reha konzentriert und anschließend auf einen guten Aufbau für die neue Saison."
Zudem blieb nun mehr Zeit, an technischen Details zu feilen. Vor allem den Anlauf nahm die Hochspringerin mit Trainer Hans-Jörg Thomaskamp genauer unter die Lupe. "Wir haben Wert darauf gelegt, dass ich ein bisschen schneller werde und mehr Kurveninnenlage beibehalte." Aus der Verletzungszeit hat sie ihre Lehren gezogen. "Es ist wichtig, seinem Körper Zeit zu geben, wenn man merkt, dass er noch nicht bereit ist. Und anschließend in Ruhe eine gute Basis zu schaffen."
Den Glauben hat Bianca Stichling nie verloren. "Ich habe mir immer gesagt, das ist jetzt das Tal und danach geht es wieder aufwärts", blickte Bianca Stichling in Dortmund zurück. Dass sie trotz der vielen Probleme Wettkämpfe bestreiten konnte, gab Mut. "Ich habe gemerkt, dass trotz der vielen Probleme was drin ist. Die Wettkämpfe waren ja nicht immer schlecht, das hat mir gezeigt, wie viel ich kann, wenn ich hundertprozentig fit bin."
Im Sommer in neue Höhen schwingen
Und so kam auch der deutsche Meistertitel zwar unerwartet, war aber für Bianca Stichling selbst keine Sensation. "Für mich war Imke die Favoritin, ich wusste aber, dass sie schlagbar ist", betonte die Leverkusenerin. Ebenso wusste sie aber auch: In Dortmund muss es besser laufen als bei den bisherigen drei Wettkämpfen in der Saison. Immerhin hatte sie in Weinheim schon wieder 1,84 Meter überquert, ihre beste Höhe seit 2022. In Dortmund passten die Puzzleteile dann noch besser zusammen. "Ich habe zum ersten Mal das, was ich im Training neu gelernt habe, auch im Wettkampf umgesetzt."
Vor dem entscheidenden dritten Versuch über 1,87 Meter ging sie noch einmal in sich. "Ich bin noch mal den ganzen Anlauf durchgegangen und habe den letzten Sprung dann mit viel Zuversicht absolviert." Mit Zuversicht blickt sie nun auch dem Wettkampfsommer entgegen, auf den sie sich im März im Trainingslager in Südafrika vorbereiten wird. In der Freiluftsaison traut sich Bianca Stichling Höhen "Mitte 90" zu. Auch einen internationalen Start hat sie fest im Visier: Die Heim-Universiade in Bochum-Wattenscheid ist im Juli ihr großes Ziel.