Mit einem Satz auf 6,91 Meter ist Mikaelle Assani (SCL Heel Baden-Baden) am Samstag in Weinheim nicht nur in die absolute Weltspitze gesprungen, sondern hat auch die Qualifikations-Norm für die WM und ihre eigenen Erwartungen an die Saison übertroffen. Warum die letzten drei Jahre dennoch kein leichter Weg für sie waren und woraus sie im Wettkampf ihre Stärke zieht, verrät die 20-Jährige im Interview.
Mikaelle Assani, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem herausragenden Wettkampf am Samstag: Gleich im ersten Versuch neue PB, WM-Norm und mit 6,91 Metern der magischen Sieben-Meter-Marke plötzlich ganz nahe. Was ging währenddessen und auch nach dem Sprung in Ihnen vor?
Mikaelle Assani:
Bevor ich gesprungen bin, meinte mein Coach noch, dass ich auf den Wind achten solle, damit der Sprung vom Wind her gültig ist. Denn in Weinheim war es sehr windig und es gab viel Rückenwind. Am Anlauf habe ich dann noch einige Sekunden gewartet. Als es dann ruhiger wurde, bin ich angelaufen – dabei habe ich mir keinerlei Sorgen gemacht und war komplett frei. Der Sprung hat sich super leicht angefühlt, aber ehrlich gesagt gar nicht so weit (lacht). Es war ein leichter, entspannter Sprung. Es hat sich aber nicht so angefühlt, als sei ich länger geflogen als sonst.
Deswegen waren Sie zunächst auch noch zurückhaltend, als Sie aus der Grube gekommen sind?
Mikaelle Assani:
Als ich aus der Grube raus bin, hatte ich gar nicht realisiert, wie weit ich gesprungen bin. Beim Blick in die Grube dachte ich: ‚War gar nicht so schlecht‘. Als dann ein paar Jungs von der Tribüne riefen: ‚Schau mal Mikaelle, der war fast an den sieben Metern dran‘, dachte ich: Es ist sicher nur der Winkel und sieht nur so aus, aber so weit war das gar nicht. Doch beim Blick auf die Anzeigetafel habe ich dann die Weite gesehen und bin komplett ausgerastet. Als dann auch noch der Wind gültig war, war es vorbei (lacht).
Da haben Sie Ihren Emotionen freien Lauf gelassen. Ganz anders sieht es vor einem Wettkampf aus. Sie wirken immer sehr in sich ruhend. Wie schaffen Sie es, auf der einen Seite so fokussiert zu sein und auf der anderen Seite emotional komplett aus sich herauszukommen?
Mikaelle Assani:
Was mir hilft, ist, dass ich entspannt bin. Weil ich weiß, dass ich viel trainiert habe und in der Vorbereitung sowie in der laufenden Wettkampfsaison das Beste gegeben habe. In dem Moment versuche ich einfach, an meine Fähigkeiten zu glauben und mir keine Gedanken zu machen. Sobald man den Sprung in die Grube gesetzt hat, kann man es eh nicht mehr ändern. Darum kann ich mich dann auch schnell von dieser ernsten Situation nach dem Sprung lösen, bin ich selbst und kann dann die ganzen Emotionen zeigen.
Als Deutsche Hochschulmeisterin sind Sie mit 6,61 Metern bereits sehr erfolgreich in die Saison gestartet und nur drei Zentimeter unter Ihrer PB aus dem Jahr 2021 geblieben. Nun sind die sieben Meter nicht mehr weit – haben Sie damit gerechnet, so früh schon so weit zu springen, hatte sich das angedeutet?
Mikaelle Assani:
Nein. Das hätte ich nicht gedacht, und ich war selbst super überrascht. Das Trainingslager in Belek [Türkei] lief sehr gut. Ich habe gemerkt, dass ich schnell bin und das, was der Coach als Verbesserung bei den Sprüngen sagt, gut umsetzen kann. Ich wusste, dass das Training konstant gut lief und ich im Vergleich zu den Jahren zuvor eine gute Vorbereitung hatte. Aber dass ich mit 6,61 Metern einsteige, hätte ich mir nicht erträumen können. 6,40 Meter wären ein guter Einstieg gewesen – 6,61 Meter hatten da schon alle meine Erwartungen übertroffen.
Nach dem Wettkampf am Samstag hatten Sie Ihre Fußprobleme angesprochen. Diese bremsten Sie bereits in den letzten Jahren immer mal wieder aus. Womit haben Sie aktuell zu kämpfen?
Mikaelle Assani:
Das Problem ist, dass ich genetisch gesehen einen Plattfuß habe. Generell Fußprobleme habe ich seit drei Jahren. Denn je weiter man springt, desto stärkere Kräfte wirken auf den Fuß, und das wirkt sich negativ auf die Statik und die Beinachse aus, da mein Fuß das noch nicht halten kann. In den drei Jahren jetzt hatte ich aber nicht immer das Gleiche, sondern unterschiedliche Probleme. Ich versuche jetzt, die Statik zu verbessern, die Muskeln zu stabilisieren, zu mobilisieren und mit Einlagen zu unterstützen. Wenn ich ungeschickt abspringe, tut das aber sehr weh und es entstehen blöde Reizungen im Fuß – wie aktuell bei einer Kapsel. Ziel ist daher: nur noch saubere Sprünge (lacht).
Nach dem Sieg in Darmstadt hatten Sie gesagt, dass es noch nicht technisch sauber war und Sie gespannt seien, wie weit es geht, wenn Sie sich einmal richtig treffen. Haben Sie sich in Weinheim perfekt getroffen?
Mikaelle Assani:
Es war schon besser als in Darmstadt. Aber ich habe die letzten Schritte trotzdem noch zu lang gezogen, daher war es nicht perfekt. Mein Trainer meinte auch, dass der Fußaufsatz bei dem 6,91er-Sprung immer noch relativ passiv war – das heißt, dass ich nicht aufs Brett zugearbeitet und meine Fußspitze nicht ausreichend angezogen habe. Technisch ist da also noch Luft nach oben.
Sie sind 20 Jahre jung, mit Ihren 6,91 Metern gehören Sie aber bereits zur Weltspitze. Wann haben Sie sich bewusst für den Weitsprung entschieden und was fasziniert Sie an dieser Disziplin?
Mikaelle Assani:
Wie nahezu jeder in der Leichtathletik habe ich zunächst mehrkampftechnisch gearbeitet. Seit Ende 2018 lag mein Fokus dann auf dem Weitsprung – einhergehend mit dem Wechsel von meiner Jugendtrainerin zu meinem jetzigen Trainer Udo Metzler. Weitsprung ist einfach toll, weil man die Sprungfähigkeit mit der Geschwindigkeit kombinieren kann. Da ich nicht unbedingt langsam bin, kann ich hier beides machen: Sprinten und Springen. Hinzu kommt das Gefühl zu fliegen. Und es ist cool, dass man selbst direkten Einfluss auf die Weite hat, indem man die Technik ändert.
Mit Blick auf die letzten drei Jahre fällt auf, dass bei Ihnen einiges los war: Abitur 2020, Studium in den USA und weltbeste Weitspringerin sowie Dritte der U20-EM 2021, Abbruch des USA-Aufenthaltes und DM-Dritte sowie jüngste deutsche Teilnehmerin an der Heim-EM in München 2022. Wie haben Sie die drei Jahre für sich selbst erlebt, haben Sie all das, was passiert ist, schon verarbeiten können?
Mikaelle Assani:
Die letzten drei Jahre waren wirklich eine Achterbahnfahrt. Abitur in Coronazeiten, parallel dazu eine Verletzung am Fuß, und dann trotzdem meinen ersten deutschen Meistertitel gewonnen. Das macht es sehr emotional – trotz Rückschlägen, die ich mit dem Fuß immer wieder hatte, zwar nicht unbeschwert, aber dennoch weit springen zu können. Dieser Weg ist nicht einfach. Ich verarbeite das alles Schritt für Schritt, manchmal kommt aber alles aus der Vergangenheit und auch aus der Gegenwart jetzt mit einmal hoch und dann ist es ein pures Gefühlschaos in solchen Momenten.
Ihr Studium in den USA haben Sie frühzeitig abgebrochen. Vorab hatten Sie gesagt, dass Sie es lieber probieren wollen, als später zu bereuen, es nicht getan zu haben. Ist das grundsätzlich eine Herangehensweise von Ihnen, Dinge einfach zu probieren und möglicherweise auch zu scheitern?
Mikaelle Assani:
Nicht direkt. Ich sage immer, dass ich kalkulierte Risiken eingehe. Zwar gibt es immer eine Ungewissheit, aber ich habe immer auch einen Plan B und einen Back-Up-Plan. Grundsätzlich glaube ich, dass Bereuen für jeden Menschen das Schlimmste ist. Man will nichts in seinem Leben bereuen, weil es ein sehr unangenehmes Gefühl ist.
Trotz Ihres jungen Alters wirken Sie immer sehr souverän und haben Ihre Aufregung gut im Griff. Haben Sie bestimmte Rituale oder Strategien vor einem Wettkampf?
Mikaelle Assani:
Darüber habe ich so öffentlich noch nie gesprochen, aber ich bin sehr gläubig – also Christin. Und was ich oft mache, ist beten. Wenn ich morgens aufwache, und auch vor und während eines Wettkampfs. Das ist wohl das größte Ritual und hilft mir, mir selbst und dem, was ich mache, zu vertrauen. Ein weiteres Ritual ist, dass mir meine Mutter die Haare macht – sie ist Friseurin. Mir ist es sehr wichtig, gut auszusehen während eines Wettkampfes. Weil es mittlerweile auch mein Job ist und ich viel in der Öffentlichkeit stehe. Ich muss mich einfach wohl in meiner Haut fühlen, um mich auch so selbstbewusst zu geben (lacht).
Gutes Aussehen scheint nicht nur im Wettkampf eine Rolle zu spielen. Auf Ihrem Instagram-Profil sind auch einige Model-Fotos von Ihnen zu sehen. Ist das Modeln ein Hobby von Ihnen?
Mikaelle Assani:
Ja, ich habe schon mit 14 Jahren damit angefangen. Noch bevor die Leichtathletik so ein großer Teil in meinem Leben geworden ist. Jetzt ist das ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Aber es macht viel Spaß, auch weil es schön ist, sich mal von seiner femininen Seite zu zeigen und vor der Kamera zu stehen. Das ist ein guter Ausgleich zum Sport.
Ein weiterer Ausgleich für Sie ist die Natur. Warum ist Ihnen die Natur so ein Herzensthema für Sie?
Mikaelle Assani:
Die Natur liegt mit einfach am Herzen. Deswegen studiere ich auch Bio-Ingenieurwesen. Als junger Mensch denkt man viel an seine Zukunft. Die Natur gibt uns unheimlich viel und ich bin dankbar, dass ich in so einer reinen und grünen Gegend aufwachsen kann. Einfach rausgehen und die Sonne, die Bäume, einfach das Leben um mich herum wahrnehmen zu können.
Sie haben Ihr Studium eben selbst schon angesprochen. Wie bekommen Sie Vollzeitstudium und Leistungssport unter einen Hut?
Mikaelle Assani:
Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es einfach ist. Denn man sollte ein Studium grundsätzlich nicht unterschätzen. Mein Alltag beginnt morgens mit Uni, mittags ist dann Zeit für Essen oder sportliche Termine wie auch Interviews, danach wieder Vorlesung und dann abends noch Training. Mit ist es aber wichtig, neben dem Sport einen Plan B zu haben und das Studium ernst zu nehmen. In meinem jungen Alter jetzt käme es für mich nicht in Frage, einzig auf den Sport zu setzen. Ich bin eine Person, die viel Action in ihrem Leben braucht.
Langweilig wird es definitiv auch diese Saison nicht für Sie. Wie sieht Ihr weiterer Fahrplan für den Sommer aus?
Mikaelle Assani:
Grundsätzlich sind die internationalen Meisterschaften die Höhepunkte. Mit 6,91 Metern ist zum Beispiel eine Goldmedaille bei der U23-EM nicht unwahrscheinlich. Mit der WM-Norm hatte ich nicht gerechnet und habe das auch noch nicht mit meinem Trainer besprochen. Ein paar Meetings haben wir jetzt schon gesetzt – am Mittwoch etwa springe ich in Paris, dann kommen auch noch die Deutschen Meisterschaften in Kassel. Danach müssen wir sehen, ob es zur Universade geht oder ich für die WM nominiert werde. Dafür muss ich unter den besten Drei bei der DM sein. Mit der Norm und der Weite habe ich aber schon mal eine stabile Basis geschaffen für den Rest der Saison.
Denken Sie auch schon darüber hinaus? Sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris ein realistisches Ziel für Sie?
Mikaelle Assani:
Jetzt sind sie ein realistisches Ziel, auf jeden Fall. Für jeden Athleten ist Olympia der eine Wettkampf, den man erleben will. Hinzu kommt, dass Paris meine absolute Lieblingsstadt ist – ich war sicher schon zehn Mal dort. Deswegen würde es mir noch mehr am Herzen liegen, wenn ich es dahin schaffe.
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