Zwei Olympische Spiele, sieben Weltmeisterschaften und vier Europameisterschaften. Insgesamt vier internationale Medaillen konnte sie gewinnen, sechs deutsche Meistertitel heimste sie ein. Das ist die Bilanz von Nadine Müller, die am Sonntag beim ISTAF in Berlin den letzten Wettkampf ihrer Karriere bestritt. Wir haben mit der Diskuswerferin im Anschluss daran über ihre außergewöhnliche Karriere und ihre Pläne für die Zukunft gesprochen.
Nadine Müller, Sie wollten Ihren Abschied unbedingt beim ISTAF feiern. Ist es so gelaufen, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Nadine Müller:
Der Abschied war noch viel schöner, als ich es mir hätte ausmalen können. Der Kreis hat sich in Berlin geschlossen, denn im Olympiastadion hat als WM-Sechste 2009 meine internationale Karriere begonnen. Es hat mega viel Spaß gemacht, auch wenn es tränenreich war. Beim letzten Wurf standen Robert und Julia Harting neben dem Ring, die Mädels haben danach Spalier gestanden. Besser kann man sich so einen Abschied nicht wünschen. Danke an die ISTAF-Organisatoren, dass sie das ermöglicht haben! So konnte ich vor 37.000 Zuschauern nochmal performen. Das war Gänsehaut pur, schon beim Einlauf ins Stadion.
Sie haben den Rücktritt schon vor ein paar Wochen verkündet. Haben Sie sich schon Zeit genommen, Ihre Karriere Revue passieren zu lassen?
Nadine Müller:
Ab heute werde ich realisieren können, was in den vergangenen Wochen alles passiert ist. Wenn ich nicht mehr diese tägliche Routine habe, zum Training zu fahren, wird sich der Unterschied erst zeigen. Ich kann dann machen, was ich möchte. Dann wird mein Kopf auch erst realisieren, dass ein neuer Lebensabschnitt anfängt.
Sind Sie zufrieden mit dem, was sie erreicht haben?
Nadine Müller:
Ja, sehr. Ich denke, ich habe viel erreichen können. Das ganz Große, was mir nur fehlt, ist die Medaille bei Olympischen Spielen. Aber nichtsdestotrotz kann ich auf eine lange und schöne Karriere zurückblicken.
Hätten Sie sich vor 19 Jahren nach Silber bei der U20-EM den weiteren Weg so erträumt oder vorgestellt?
Nadine Müller:
Nein, auf keinen Fall. Natürlich ist es als Sportler der große Traum, dann auch bei den Aktiven den internationalen Durchbruch zu schaffen und in die Weltspitze zu kommen. Das treibt jeden Sportler an. Er möchte zur EM, zur WM, zu Olympischen Spielen. Und dann dort Medaillen gewinnen. Ich habe einen kontinuierlichen Weg nach oben gefunden und konnte das hohe Niveau lange halten.
Was war ihr emotionalster Erfolg?
Nadine Müller:
Die erste internationale Medaille, ganz klar. 2012 habe ich in Helsinki Silber bei der EM gewonnen. Aber die längste nachhaltige Wirkung hat sicherlich EM-Silber von 2018 aus Berlin vor über 50.000 Zuschauern. Deswegen habe ich mich auch so gefreut, dass ich mich im Olympiastadion nochmal feiern lassen kann. Wo hat man das schon, das einem über 30.000 Zuschauer bei der Arbeit zujubeln? (lacht)
Was war Ihre größte Niederlage oder die größte Enttäuschung?
Nadine Müller:
Das war aus meiner Sicht wahrscheinlich das Jahr 2012, weil ich da am fittesten in die Saison gegangen bin und leider nicht das abrufen konnte, was ich mir vorgenommen hatte. Es hat in London bei den Olympischen Spielen ganz knapp nicht zur Medaille gereicht. Ich habe lange gebraucht, um wieder nach vorne zu schauen und mir Ziele für die folgende Saison setzen zu können.
Wann war die schönste Zeit?
Nadine Müller:
Das kann man nicht genau sagen. Es hat alles seine schönen Seiten gehabt. Ich habe viele Höhen und Tiefen mitgemacht, aber auch nach den Tiefen ging es immer wieder nach oben und ich habe international wieder etwas erreichen können.
Was hat der Sport Ihnen gelehrt?
Nadine Müller:
Das Miteinander. Die Disziplin, die man haben muss als Sportler. Die tollen Freundschaften, die ich international geschlossen habe. Die Länder, die ich bereist habe. Die Kulturen, die ich kennenlernen durfte. Das ist das, was bleibt und total schöne Erinnerungen immer wieder hervorruft. Das möchte ich auf keinen Fall missen.
Wer waren die zentralen Begleiter auf Ihrem Weg?
Nadine Müller:
Am Anfang war es Franka Dietzsch [Anm. d. Red.: dreimal Weltmeisterin mit dem Diskus], deren Staffelstab ich sozusagen übernommen habe. Mittlerweile sind es unter anderem Julia Harting, Kristin Pudenz und Shanice Craft, die mich über Jahre hinweg begleitet haben. Als Trainer ist zuerst Gerhard Böttcher zu nennen. Er hat die Olympiasiegerin von 1996, Ilke Wyludda, groß gemacht. Bei ihm habe ich angefangen und das Diskuswerfen erlernt. Er hat mich so weit gebracht, dass ich international fit bin. Vor zwölf Jahren hat mich René Sack übernommen. Wir sind ein super Team. Ich bin sehr dankbar, was wir alles schaffen konnten und durften.
Sie haben bis zuletzt in Halle trainiert, fast ein Vierteljahrhundert. Dort haben Sie auch zahlreiche Weiten erzielt, die letztlich als Jahresbestweiten zu Buche stehen. Was macht Halle so besonders?
Nadine Müller:
Es ist das Flair, das die Sporthalle Brandberge hat. Dazu bilden die Werfertage ein tolles Meeting, bei dem sich die Weltelite immer gerne trifft und wir immer wieder viel Zuspruch auch von den internationalen Athleten erhalten haben, weil es eine geile Anlage ist. Dort habe ich all die Jahre trainiert.
Wie geht es für Sie beruflich und privat weiter?
Nadine Müller:
Jetzt mache ich erstmal Urlaub. Dann starte ich in meinen neuen Job als Bundespolizistin am Flughafen in Leipzig. Ich werde zum Beispiel Pässe kontrollieren und meine ehemaligen Athletenkollegen zu den Trainingslagern und großen Wettkämpfen verabschieden (lacht).
Die Platzierungen von Nadine Müller bei internationalen Großereignissen
Junioren-EM 2003 in Tampere (Finnland) | Silber |
Junioren-WM 2004 in Grosseto (Italien) | Bronze |
Weltmeisterschaften 2009 in Berlin | 6. Platz |
Europameisterschaften 2010 in Barcelona (Spanien) | 8. Platz |
Weltmeisterschaften 2011 in Daegu (Südkorea) | Silber |
Europameisterschaften 2012 in Helsinki (Finnland) | Silber |
Olympische Spiele 2012 in London (Großbritannien) | 4. Platz |
Weltmeisterschaften 2013 in Moskau (Russland) | 4. Platz |
Weltmeisterschaften 2015 in Peking (China) | Bronze |
Europameisterschaften 2016 in Amsterdam (Niederlande) | 4. Platz |
Olympische Spiele 2016 in Rio de Janeiro (Brasilien) | 6. Platz |
Weltmeisterschaften 2017 in London (Großbritannien) | 6. Platz |
Europameisterschaften 2018 in Berlin | Silber |
Weltmeisterschaften 2019 in Doha (Katar) | 8. Platz |
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