Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: Marathon/Straße der Frauen.
Fazit der Bundestrainerin
Katrin Dörre-Heinig, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 als Bundestrainerin und als Heimtrainerin zahlreicher Topathleten erlebt?
Katrin Dörre-Heinig:
Wir konnten optimistisch mit schon drei erfüllten Olympianormen in dieses Jahr starten. Die ersten Unsicherheiten begannen Ende Februar/ Anfang März. Die meisten Marathonis befanden sich in der Vorbereitung auf einen Frühjahrsmarathon, der ihnen noch die Chance für eine Olympiateilnahme ermöglichen sollte. Leider wurden dann sämtliche Straßenläufe abgesagt. Als schließlich auch die Olympischen Spiele und die EM gecancelt wurden, gab es auf einmal eine Leere und die Athleten fielen in ein großes Motivationsloch. In dieser Situation konnte es nur individuelle Lösungen geben.
Was waren in diesem Jahr die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Marathon- und Straßenläuferinnen?
Katrin Dörre-Heinig:
Das größte Problem war die Unsicherheit. Da auch in unseren Bereich sämtliche Deutsche Straßenlaufmeisterschaften gestrichen wurden, musste schnellstens eine Neuorientierung passieren, um neue Motivation zu schaffen. Zum Glück gab es ein paar Läufe, die durch German Road Races und dem Management ISS unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen ins Leben gerufen wurden. Dazu gab es weitere Hoffnung durch die Durchführung der Halbmarathon- WM in Gdynia, die dann auch der einzige internationale Höhepunkt für uns Marathonläufer war.
Welche Athletinnen haben sich im Jahr 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?
Katrin Dörre-Heinig:
Hervorzuheben ist auf jeden Fall die Halbmarathon-WM in Gdynia. Hier konnte erstmals eine deutsche Läuferin im Einzel eine Medaille erkämpfen. Melat Kejeta lief mit 65:18 Minuten auf einen hervorragenden zweiten Platz, was gleichzeitig neuen deutschen und europäischen Rekord bedeutete. Auf dieser Leistung aufbauend konnten die deutschen Läuferinnen mit ihren Einzelergebnissen den Erfolg mit einer Bronzemedaille in der Teamwertung komplettieren. Des Weiteren hatten einige Athletinnen die Möglichkeit in Valencia einen Marathon zu laufen. Diese Chance nutzten vor allem Deborah und Rabea Schöneborn mit Erreichen der Olympianorm.
Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?
Katrin Dörre-Heinig:
Unsere Athletinnen mit Olympiaambitionen werden einen individuellen Belastungsaufbau bestreiten. Dabei stehen Hypoxie- und Klimatraining im Vordergrund. Mit Abschluss der Qualifikation werden die nominierten Läuferinnen eine unmittelbare Wettkampfvorbereitung absolvieren.
Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich bei den Olympischen Spielen von den deutschen Marathon- und Straßenläuferinnen?
Katrin Dörre-Heinig:
Das derzeitige vorhandene Leistungsniveau unserer Marathonis ermöglicht eine Top acht Plazierung bei den Olympischen Spielen in Sapporo.
Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?
Katrin Dörre-Heinig:
Ich hoffe und wünsche mir am meisten das Ende der Pandemie, damit die Athletinnen eine optimale Vorbereitung auf die Olympischen Spiele bestreiten können. Für alle anderen wünsche ich mir ein großes Angebot an Marathon- und Straßenläufen auf nationaler und internationaler Ebene für ihre eigene individuelle sportliche Entwicklung.
Unser "Ass des Jahres"
Melat Kejeta (Laufteam Kassel)
Neue Deutsche Rekordhalterin im Halbmarathon
Neue Europäische Rekordhalterin im Halbmarathon
Unser "Talent des Jahres"
Deborah Schöneborn (LG Nord Berlin)
Jahresschnellste im Marathon
Die deutschen Top Ten 2020
Halbmarathon
Zeit | Name | Jahrgang | Verein |
---|---|---|---|
1:05:18 h | Melat Kejeta | 1992 | Laufteam Kassel |
1:09:42 h | Miriam Dattke | 1998 | LG Telis Finanz Regensburg |
1:10:05 h | Alina Reh | 1997 | SSV Ulm 1846 |
1:10:49 h | Laura Hottenrott | 1992 | TV Wattenscheid 01 |
1:11:36 h | Deborah Schöneborn | 1994 | LG Nord Berlin |
1:11:38 h | Rabea Schöneborn | 1994 | LG Nord Berlin |
1:12:23 h | Katharina Steinruck | 1989 | LG Eintracht Frankfurt |
1:12:32 h | Domenika Mayer | 1990 | LG Telis Finanz Regensburg |
1:13:23 h | Thea Heim | 1992 | LG Telis Finanz Regensburg |
1:15:14 h | Josina Papenfuß | 2000 | SCC Berlin |
Marathon
Zeit | Name | Jahrgang | Verein |
---|---|---|---|
2:26:55 h | Deborah Schöneborn | 1994 | LG Nord Berlin |
2:28:25 h | Anja Scherl | 1986 | LG Telis Finanz Regensburg |
2:28:42 h | Rabea Schöneborn | 1994 | LG Nord Berlin |
2:28:48 h | Katharina Steinruck | 1989 | LG Eintracht Frankfurt |
2:39:19 h | Anke Esser | 1990 | TSV Bayer 04 Leverkusen |
2:54:00 h | Friederike Schoppe | 1976 | LSG Goldener Grund Selters |
2:58:07 h | Katrin Ochs | 1977 | LG Filder |
2:59:52 h | Anja Kobs | 1976 | TSV Alling |
3:01:28 h | Carina Fierek | 1983 | TuS Xanten |
3:03:01 h | Margit Elfers | 1994 | SC Kemmern |
Statistik – Das sagen die Zahlen
Das deutsche Top-Niveau im Marathon
Jahr | ≥ 2,29:30 h* | Schnitt Top 3 | Schnitt Top 5 | Schnitt Top 10 |
---|---|---|---|---|
2005 | 1 | 2:29:19 | 2:34:57 | 2:39:35 |
2006 | 1 | 2:30:15 | 2:31:47 | 2:37:32 |
2007 | 2 | 2:24:17 | 2:29:08 | 2:34:08 |
2008 | 3 | 2:24:40 | 2:26:42 | 2:33:13 |
2009 | 2 | 2:27:14 | 2:30:15 | 2:35:23 |
2010 | 2 | 2:28:29 | 2:32:53 | 2:39:01 |
2011 | 3 | 2:26:25 | 2:30:54 | 2:37:55 |
2012 | 1 | 2:28:30 | 2:30:23 | 2:35:47 |
2013 | 4 | 2:27:20 | 2:28:18 | 2:33:32 |
2014 | 1 | 2:31:30 | 2:35:29 | 2:41:02 |
2015 | 2 | 2:29:07 | 2:30:23 | 2:36:19 |
2016 | 3 | 2:27:22 | 2:28:50 | 2:34:04 |
2017 | 4 | 2:28:24 | 2:29:47 | 2:34:16 |
2018 | 1 | 2:30:39 | 2:32:27 | 2:37:51 |
2019 | 2 | 2:27:33 | 2:30:09 | 2:34:22 |
2020 | 4 | 2:28:00 | 2:30:25 | 2:44:51 |
Marathon-Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich
Jahr | Deutschland | Europa | Diff. | Welt | Diff. |
---|---|---|---|---|---|
2005 | 2:26:44 (L. Zaituc) | 2:17:42 (Radcliffe/GBR) | 9:02 | 2:17:42 (Radcliffe/GBR) | 9:02 |
2006 | 2:28:30 (L. Zaituc) | 2:20:47 (Bogomolova/RUS) | 7:43 | 2:19:36 (Kastor/USA) | 8:54 |
2007 | 2:24:51 (I. Mikitenko) | 2:23:09 (Radcliffe/GBR) | 1:42 | 2:20:38 (Zhou/CHN) | 4:13 |
2008 | 2:19:19 (I. Mikitenko) | 2:19:19 (I. Mikitenko) | 0:00 | 2:19:19 (I. Mikitenko) | 0:00 |
2009 | 2:22:11 (I. Mikitenko) | 2:22:11 (I. Mikitenko) | 0:00 | 2:22:11 (I. Mikitenko) | 0:00 |
2010 | 2:26:21 (S. Mockenhaupt) | 2:23:50 (Konovalova/RUS) | 2:31 | 2:22:04 (Baysa/ETH) | 4:17 |
2011 | 2:22:18 (I. Mikitenko) | 2:22:18 (I. Mikitenko) | 0:00 | 2:22:18 (I. Mikitenko) | 0:00 |
2012 | 2:24:53 (I. Mikitenko) | 2:23:29 (Arkhipova/RUS) | 1:24 | 2:18:37 (Keitany/KEN) | 6:16 |
2013 | 2:24:54 (I. Mikitenko) | 2:22:46 (Konovalova/RUS) | 2:08 | 2:19:57 (Jeptoo/KEN) | 4:47 |
2014 | 2:26:44 (A. Hahner) | 2:21:29 (Duliba/BLR) | 5:37 | 2:18:57 h (Jeptoo/KEN) | 7:47 |
2015 | 2:28:39 (L. Hahner) | 2:22:09 (Gamera/UKR) | 6:30 | 2:19:25 (Cherono/KEN) | 9:14 |
2016 | 2:25:42 (F. Tola) | 2:23:54 (Mazuronak/BLR) | 1:48 | 2:19:41 (Tsegaye/ETH) | 6:01 |
2017 | 2:27:48 (F. Tola) | 2:25:30 (Augusto/POR) | 2:18 | 2:17:01 (Keitany/KEN) | 10:47 |
2018 | 2:29:29 (A. Scherl) | 2:25:25 (Mazuronak/BLR) | 4:04 | 2:18:11 (Cherono/KEN) | 11:18 |
2019 | 2:23:57 (M. Kejeta Yisak) | 2:19:46 (Salpeter/ISR) | 4:11 | 2:14:04 (Kosgei/KEN) | 9:53 |
2020 | 2:26:55 (D. Schöneborn) | 2:17:45 (Salpeter/ISR) | 9:10 | 2:17:16 (Jepchirchir/KEN) | 9:39 |
Das fällt auf:
- Die deutschen Marathon- und Straßenläuferinnen mussten den Großteil des Jahres wegen der Corona-Pandemie auf Wettkämpfe verzichten. Erst gegen Ende des Jahres gab es mit der Halbmarathon-WM in Gdynia (Polen) und dem Valencia-Marathon (Spanien) wieder größere Lauf-Veranstaltungen.
- Stark präsentierten sich die deutschen Läuferinnen bei der Halbmarathon-WM in Gydnia, allen voran Melat Kejeta (Laufteam Kassel). Die 28-Jährige stellte in 1:05:18 Minuten sowohl einen neuen deutschen als auch europäischen Rekord auf. Durch die ebenfalls starken Leistungen von Laura Hottenrott (TV Wattenscheid 01), Rabea Schöneborn und Deborah Schöneborn (beide LG Nord Berlin) belegte das deutsche Team in der Mannschafts-Wertung einen sensationellen dritten Rang.
- Mit Deborah Schöneborn (LG Nord Berlin), Anja Scherl (LG Telis Finanz Regensburg), Rabea Schöneborn (LG Nord Berlin) und Katharina Steinruck (LG Eintracht Frankfurt) liefen gleich vier deutsche Marathonläuferinnen in diesem Jahr unter 2:29:30 Stunden. Das gab es seit Einführung der Disziplin-Checks auf leichtathletik.de bisher nur in den Jahren 2013 und 2017.
- Zum zweiten Mal in Folge führt Lonah Salpeter (Israel) zum Jahresabschluss die europäische Bestenliste im Marathon an. Mit 2:17:45 Stunden erzielte sie im Frühjahr in Tokio (Japan) die zweitschnellste je gelaufene Zeit einer Europäerin.
- Zum vierten Mal in Folge steht mit Peres Jepchirchir eine Kenianerin an der Spitze der Weltjahresbestenliste im Marathon.
Die Disziplin-Analysen im Überblick:
Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Weitsprung Frauen
Weitsprung Männer
Dreisprung Frauen
Dreisprung Männer
Speerwurf Frauen
Speerwurf Männer
Siebenkampf Frauen
Zehnkampf Männer
* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017