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Carolina Krafzik – Schwung und Freude in die Spitze mitgenommen

Gleich 13 Athleten haben bei den Deutschen Meisterschaften im Sommer den ersten nationalen Titel ihrer Karriere gefeiert. Unter ihnen sind einige neue Gesichter und andere, die schon länger zur DLV-Spitze zählen. leichtathletik.de erzählt, wie sie es ganz oben aufs Podest im Berliner Olympiastadion geschafft haben, heute geht es um Langhürdlerin Carolina Krafzik (VfL Sindelfingen).
Jan-Henner Reitze

Carolina Krafzik
VfL Sindelfingen

Bestleistung:

400 Meter Hürden: 55,64 sec (2019)

Erfolge:

Deutsche Meisterin 2019

Dieses Finale im Berliner Olympiastadion hat das Sportlerleben von Carolina Krafzik einerseits komplett auf den Kopf gestellt. Nach den 400 Meter Hürden in 55,64 Sekunden war sie nicht mehr, wie in vielen Jahren zuvor, eine Athletin der erweiterten nationalen Spitze, sondern völlig überraschend Deutsche Meisterin und plötzlich WM-Kandidatin.

Andererseits half es der 24-Jährigen, dass sie sich trotz ihres Coups selbst treu blieb, um sich für Doha (Katar) zu qualifizieren und dort eine überzeugende Leistung abzuliefern. Die Sindelfingerin bewahrte die Freude an ihrer Sportart und versuchte, für sich persönlich die beste Leistung abzurufen, wie immer eben. Und so ist es kein Wunder, dass aus der WM-Halbfinalistin die Freude nur so heraussprudelt, wenn man mit ihr über die vergangenen Wochen spricht.

Auf der Tartanbahn zu Hause

Leichtathletik ist für Carolina Krafzik seit ihrer Kindheit ein fester Bestandteil ihres Lebens. Ihr Vater ist 400 Meter gelaufen, ihre Mutter trainiert noch heute den Nachwuchs bei ihrem ersten Verein, der TSG Niefern in Baden-Württemberg. „Ich war immer auf der Tartanbahn zu Hause“, erzählt die Aufsteigerin, die wie so viele mit dem Mehrkampf begonnen hat. Unter Trainerin Johanna Schwarz kristallisierten sich nach und nach die Hürden als Paradedisziplin heraus. Es ging zu Deutschen Jugendmeisterschaften und dort teilweise auch ins Finale. Ein Türöffner in Richtung leistungsorientiertes Training.

Nach dem Abitur machte die junge Hürdensprinterin ein Freiwilliges Soziales Jahr in ihrem Heimatverein. „Damals habe ich vormittags in Niefern mit Kindern Sport gemacht und konnte nachmittags nach Stuttgart zum Training am Olympiastützpunkt mit Marlon Odon und Sven Rees fahren.“ Anschließend nahm sie ein Lehramtsstudium in Ludwigsburg auf, das seit diesem Sommer erfolgreich abgeschlossen ist.

Sportlich erfolgte im Herbst 2016 der Wechsel zu Werner Späth und dem VfL Sindelfingen. Im Mittelpunkt stand, neben der puren Leidenschaft für die Leichtathletik, der Gedanke, die eigene Leistung weiter zu verbessern. Einmal für Deutschland an den Start zu gehen, war ein Traum irgendwo im Hinterkopf, für ein konkretes Ziel aber weit entfernt. Mit der früheren Hürdensprinterin Nadine Hildebrand war allerdings eine Athletin von internationalem Format in der Trainingsgruppe, zu der bis heute eine freundschaftliche Verbindung besteht.

Trainer Werner Späth erkennt das Talent für die Langhürden

Über die 100 Meter Hürden gelang 2017 die Steigerung auf 13,84 Sekunden. Werner Späth erkannte allerdings sofort die große Schrittlänge seines neuen Schützlings, welche für die Abstände im Hürdensprint eher ein Nachteil ist. „Außerdem habe ich die längeren Tempoläufe im Training immer gut weggesteckt“, berichtet Carolina Krafzik. Die führten im Aufbautraining nicht nur bis maximal 150 Meter, sondern auch schon einmal bis zur 350-Meter-Marke. Allzuweit waren schon da die 400 Meter nicht entfernt.

Von der Idee ihres Trainers, es doch mal mit den 400 Meter Hürden zu probieren, war die Athletin zuerst dennoch nicht besonders angetan. „Eine ganze Runde, das ist für einen Sprinter dann doch ziemlich lang“, blickt sie zurück, ließ sich aber dennoch auf die neue Strecke ein. Die Saison 2018 war ein Abtasten mit der neuen Distanz. Am Ende stand mit Bronze bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg (58,73 sec) ein Erfolgserlebnis, das zu der Erkenntnis führte: „Das ist meine Strecke.“

Neben der Bereitschaft, sich im Training bei langen Tempoläufen zu verausgaben und der noch nicht ganz perfektionierten Fähigkeit, auch mit dem „falschen Bein“ über die Hürde zu gehen, war die Umstellung vor allem mental eine Herausforderung. Denn ein Rennen im Wettkampf stellt eine andere Art der Verausgabung dar. „Nach einem Sprintrennen verschnauft man, setzt sich kurz hin und dann geht es wieder. Nach 400 Metern dauert es zehn Minuten, bis man wieder aufstehen kann.“ Die Umsteigerin musste lernen, sich darauf komplett einzulassen. Ihr hilft dabei, nicht vom Start weg an die komplette Distanz, sondern von Hürde zu Hürde zu denken.

In Berlin einen Schalter umgelegt

Mit der auf 57,72 Sekunden gesteigerten Bestzeit und der Hoffnung, die Bronze-Medaille aus dem Vorjahr gegen das nationale Top-Trio der vergangenen Jahre Jackie Baumann (LAV Stadtwerke Tübingen), Djamila Böhm (ART Düsseldorf) und Christine Salterberg (LT DSHS Köln) eventuell verteidigen zu können, ging es zu den Deutschen Meisterschaften im Berliner Olympiastadion. Dass Carolina Krafzik dann auf der Zielgerade an den Siegerinnen der Jahre 2015 bis 2018 vorbeiflog, ihre Bestzeit um mehr als zwei Sekunden steigerte und die schnellste Zeit einer DLV-Athletin seit 2009 lief, kam für fast alle völlig überraschend.

„An der achten Hürde lag ich noch ganz gut und habe nur versucht, die Schritte zu ziehen, um nicht zu trippeln. Nach der zehnten Hürde habe ich gemerkt, dass ich vorne bin, und nur gedacht: Renn Carolina, renn!“, erzählt die Siegerin, die ihre Zeit von 55,64 Sekunden nicht glauben konnte. „Ich habe abgewunken, weil ich sicher war, das muss ein Fehler mit der Zeitmessanlage gewesen sein. Ich habe nullkommanull damit gerechnet. Aber umso schöner war es natürlich auch.“

Nur Trainer Werner Späth hatte eine ganz logische Erklärung für die große Steigerung: Man muss in den Rennen vorher nur genug Fehler machen. In den Rennen vor der DM hatte Carolina Krafzik immer Rhythmusfehler gemacht, vor mindestens einer Hürde getrippelt und den Schwung verloren. Das saubere Rennen mit einer Portion Adrenalin und der Stimmung im Berliner Olympiastadion ermöglichten den Leistungssprung.

Neues Level in Doha bestätigt

Mindestens genauso hoch einzuschätzen wie dieser Überraschungssieg ist, dass die neue Deutsche Meisterin ihr neues Niveau im WM-Vorlauf mit einer Zeit von 55,93 Sekunden bestätigen und ins Halbfinale einziehen konnte, in dem sie 56,41 Sekunden lief. Die erste wichtige Durchgangsstation auf dem Weg nach Doha war ein Start Ende August in Brüssel (Belgien), wo Carolina Krafzik ihr erstes internationales Rennen absolvierte.

„Da war ich sehr unsicher und skeptisch, ob ich meine Bestzeit wiederholen kann“, so die 24-Jährige. „Vor der 55er-Zeit bin ich ja nur 57er- und 58er-Zeiten gelaufen.“ Der Sieg in 56,76 Sekunden war wichtig für den Kopf und zeigte: „Berlin war kein Ausrutscher“. Ebenso wenig die Steigerung der Bestzeit über die flache Stadionrunde in Leverkusen auf 53,03 Sekunden. Die Trainingszeiten vor Doha ließen auf ein ähnliches Niveau wie bei der DM schließen. Auch das Video von ihrem Sieg in Berlin schaute sie sich zur Motivation mehrfach an.

Mit Nadine Hildebrand hatte der Neuling im Nationaltrikot außerdem eine Ansprechpartnerin, „die ich vor der WM alles fragen konnte“. Die zweimalige WM-Teilnehmerin gab ihrer früheren Trainingspartnerin zum Beispiel Tipps für den Callroom. „Nadine hat mir gesagt, dass es lange dauern kann und ich mich nicht von den anderen Athletinnen verrückt machen lassen soll und das ganze Erlebnis auch genießen.“ Das half, sich bei der ersten internationalen Meisterschaft auf sich selbst zu fokussieren. „Ich habe tolle Erfahrungen sammeln dürfen und auch im Moment danach ein gutes Gefühl gehabt. Ich konnte mit einem Lächeln von der Bahn in Doha gehen.“

Beim Konzept bleiben, Olympia-Möglichkeiten haben sich verschoben

Ganz nebenbei bewies Carolina Krafzik auch körperlich ihre Belastungsfähigkeit, denn eigentlich waren die Deutschen Meisterschaften als Saisonabschluss geplant. Der bereits Anfang Mai gestartete Wettkampfsommer wurde bis Anfang Oktober verlängert. „Dass ich immer zum richtigen Zeitpunkt fit war, verdanke ich meinem Trainer und meinem Ärzteteam.“

Mit Blick auf die kommende Saison ist die Langhürdlerin ein wenig hin- und hergerissen. Einerseits ist die Olympiaqualifikation (Norm: 55,40 sec) in greifbare Nähe gerückt, andererseits möchte sie sich auch nicht zu sehr unter Druck setzen. Wie geplant beginnt die angehende Lehrerin im Februar ihr Referendariat. „Ich habe immer neben dem Sport studiert oder etwas für den Kopf getan, daran möchte ich festhalten.“ Um Fehltage für Trainingslager und Wettkampfreisen zu erlauben, soll das Referendariat aber von anderthalb auf zwei Jahre gestreckt werden.

Bis zum Start sind im Grundlagentraining in den nächsten drei Monaten auch mal zwei Einheiten am Tag möglich. „Auch eine Hallensaison werde ich bestreiten. Mein Trainer Werner Späth hat schlechte Erfahrungen damit gemacht, im Winter ganz auf Wettkämpfe zu verzichten. Insgesamt vertraue ich ihm voll und ganz. Er hat bestimmt schon einen Plan, wie er mich auch im kommenden Jahr wieder fit bekommt.“ Bleibt die Deutsche Meisterin verletzungsfrei und behält ihre Freude am Wettkampf, wird sie bestimmt auch 2020 wieder fröhlich von ihrer Saison berichten und dann möglicherweise auch von ihrer Reise nach Tokio.

Video-Interview: Carolina Krafzik: "Ich kann es immer noch nicht glauben"

Das sagt Bundestrainer Volker Beck:

Die Leistungsexplosion von Caro war die Überraschung in diesem Jahr. Zu Beginn der Saison war das nicht abzusehen. Sie hat in Berlin zum richtigen Zeitpunkt ihre Rhythmusprobleme abgelegt und konnte ihr Leistungs-Netto abrufen. Auf diesem Niveau war das eine sehr erfreuliche Entwicklung.

Caro ist sehr zielorientiert und weiß, was sie will, sicherlich auch geprägt durch ihren Heimtrainer Werner Späth. Sie ist lebensbejahend und eine Frohnatur. Die Zusammenarbeit in Doha hat großen Spaß gemacht. Mit Lockerheit und ihrer zweitbesten Zeit der Karriere hat Caro die Erwartungen eher übererfüllt. Das Halbfinale war eine positive Zugabe.

Ihre Stärken sind die Grundschnelligkeit und die Hürdentechnik. Auch die Basisleistung über 400 Meter flach mit 53,03 Sekunden stimmt. Auch dort hat sie sich deutlich verbessert. Potential gibt es noch im Rhythmus, sechste bis achte Hürde. Ich denke, Caro wird uns in Zukunft noch viel Freude bereiten.

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