| Rückspiegel

Mein Moment 2018 – Im Bann von Mateusz Przybylko

Kaum zu fassen: Das EM-Jahr 2018 ist schon fast Geschichte! So vieles ist passiert in den vergangenen Monaten. Manches scheint schon so weit weg, anderes ist präsent, als wäre es gestern passiert. Wir wollen das Jahresende dazu nutzen, auf Highlights zurückzublicken. Aus einer ganz persönlichen Perspektive, für die in all unseren News und Geschichten bisher kein Platz war. Heute: EM-Tage im Bann von Mateusz Przybylko.
Silke Bernhart

Ich konnte zu dem Zeitpunkt nicht wissen, dass es schon ein Vorgeschmack war auf das, was noch kommen würde – aber vielleicht ahnten es schon die Journalistenkollegen. Am Mittwoch vor den Europameisterschaften veranstalteten wir in Kienbaum eine Pressekonferenz, zu der wir unter anderen Hochspringer Mateusz Przybylko (TSV Bayer 04 Leverkusen) als Podiumsgast geladen hatten. Die Pressekonferenz begann um 13 Uhr. Anschließend folgten persönliche Gespräche mit weiteren Athleten. Und um 16 Uhr war Mateusz Przybylko immer noch da.

Nun ist es so, dass die meisten Athleten besonders in der direkten Wettkampf-Vorbereitung lieber früher als später bei solchen Veranstaltungen das Weite suchen. Fast alle nehmen sich professionell Zeit für Fragen und verabschieden sich dann doch möglichst rasch. Aber Mateusz Przybylko war gefragt an diesem Tag. Und geduldig. Und freundlich. Und entspannt. „Du bist ja immer noch da!“ staunte ich. „Ja“, lachte er, „die wollten alle noch was von mir wissen.“

Ein EM-Samstag wie im Märchen

Gut so. Denn so konnten die Journalisten, die an diesem Mittwoch genauer nachgehakt hatten, rund zehn Tage später umso mehr schreiben über den Hochspringer, der am EM-Samstag im Olympiastadion die Zuschauer verzückte. Man muss wohl dabei gewesen sein, um noch immer Gänsehaut am ganzen Körper zu verspüren, wenn man an diesen Abend zurückdenkt. Sommerhitze, 60.000 Zuschauer, ein einzigartiger historischer Schauplatz und ein junger Athlet, der alle von den Sitzen riss. Natürlich auch mich.

Es war irre laut, und irre viel los. Parallel nahm Malaika Mihambo Anlauf auf Weitsprung-Gold. Die Diskus-Frauen fighteten zu dritt um die Medaillen. Auf der Bahn wurden 18 EM-Medaillen vergeben. Man wusste kaum, wohin man schauen sollte. Aber irgendwann hörte man es. So wie nach und nach die Dämmerung im Stadion Einzug hielt, so schwappte eine von Mal zu Mal lauter werdende Jubelwelle durch die Ränge, die am Marathon-Tor ihren Anfang nahm und später das gesamte Publikum ergriff. 2,19 Meter. Drüber. 2,24 Meter. Drüber. 2,28 Meter. Kein Problem. 2,31 Meter – auch im Ersten! Was war da denn los?! Ich saß längst nicht mehr.

Vom Publikum getragen

War das schon der Goldsprung? Aaaah, nein! Da überquerte der Weißrusse Maksim Nedasekau doch tatsächlich direkt im Ersten 2,33 Meter. Ich begab mich in Startposition, als Mateusz Przybylko erneut am Anlauf stand. Spürte wie er selbst die Spannung, die im Stadion lag. Und riss das Bein in die Höhe, als er absprang. Wie konnte man auch in diesem Moment ruhig zusehen?!

Wieder meisterte der Leverkusener im ersten Versuch mit seinem spektakulären Flop und anschließendem Salto rückwärts die Höhe. Dann riss er die Arme in den Abendhimmel, strahlte übers ganze Gesicht und ließ sich feiern wie ein Rockstar. Mateusz Przybylko sog die ganze Energie des Publikums in sich auf, genoss jede Sekunde, war zugleich ganz bei sich und doch mittendrin im Geschehen. Und dann katapultierte er sich wenig später auch noch über 2,35 Meter. Wahnsinn!

Gefeiert wie ein Rockstar

Den sportlichen Teil seiner Arbeit hatte Mateusz Przybylko damit geleistet. Das Ende des Abends – oder gar seines Jobs in Berlin – war das noch lange nicht. Das wusste ich in dem Moment wohl besser als er. Denn ich durfte ihn bei den weiteren Aufgaben begleiten. Und ich kann es vorwegnehmen: Es war eine wahre Freude und ein einmaliges Erlebnis. Denn dass ich mich mal wie der Bodyguard an der Seite eines Stars fühlen würde, das hatte ich ganz sicher nicht vorhergesehen.

Mateusz Przybylko und Malaika Mihambo wurden an diesem Abend spontan zu einer Live-Schalte ins ZDF-Sportstudio eingeladen, in dem bereits Arthur Abele, Christina Schwanitz, Thomas Röhler und Andreas Hofmann saßen. Ein Ritterschlag für jeden Sportler, aber dieses Mal zeitlich auch ein Tanz auf dem Drahtseil: Die beiden neuen Europameister mussten direkt aus der Mixed Zone in die ZDF-Box im Oberrang des Stadions eilen. Durch die Zuschauermengen.

Die Sitze waren schon leer, aber vor dem Stadion standen die Fans und scharten sich in einer Traube um die Athleten, brachen wieder in Jubel aus, riefen „Matze, Matze“, schwenkten ihre Fähnchen und klopften dem Hochspringer auf die Schultern. Wir mussten ihn schieben und hetzen, ihm den Weg durch die Menge bahnen und die Fans auf später vertrösten, denn die Live-Sendung näherte sich dem Ende. Es war zugleich surreal und wunderschön. Denn genauso sollten unsere Leichtathletik-Helden doch eigentlich immer gefeiert werden!

Medien-Marathon im Auto-Pilot

Ähnliche Szenen wiederholten sich auch in den folgenden Stunden. Es ging weiter zum DLV-EM-Club. Nach kurzer Nacht folgte am nächsten Tag die DLV-Pressekonferenz. Ein Termin bei der ARD. Bei Eurosport. Kurz zurück zum Hotel, umziehen, ab zur Siegerehrung. Dann der nächste TV-Auftritt. „Ich mache einfach mit“, sagte Mateusz Przybylko irgendwann an diesem Tag, „ich habe keinen Plan, was hier passiert“. Und nicht einmal sein Handy dabei. Den Plan, den hatte zum Glück ich.

So eilten wir von Termin zu Termin, immer wieder mit kleinen Stopps, denn ständig erkannten die Menschen den Hochsprung-Europameister und baten um Fotos oder Autogramme. Mateusz Przybylko blieb überall stehen, freute sich über jedes nette Wort, staunte mit großen Augen über das riesige Interesse, bedankte sich freundlich für jede Gratulation und konnte keinen Wunsch abschlagen. Ich hatte die Uhr im Blick und drängte ihn weiter.

Am Abend konnte ich meine ganz persönliche Erfolgsbilanz ziehen: Alle Anfragen ermöglicht, Athlet pünktlich bei der Siegerehrung abgeliefert, am anderen Ende des Stadions die Zeremonie mitverfolgt und später mit feuchten Augen die Goldmedaille bestaunt. Es waren 24 Stunden, die ich sicher so schnell nicht vergessen werde. Ebenso wenig wie die EM 2018 insgesamt. Da schicke ich einfach auch noch meine persönliche Bilanz hinterher: Leichtathletik in Bestform – da kann keine Sportart mithalten.

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