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Jennifer Jüngling – wenn Leichtathletik nicht nur Beruf, sondern Berufung ist

© privat
Der Weg in die Leichtathletik hat für Jennifer Jüngling klassisch über das Training in einer Kindergruppe begonnen. Ihr Weg von der Athletin bis hin zur rastlosen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterin im Landesverband sowie darüber hinaus ist in Rheinland-Pfalz hingegen einmalig. Wir zeichnen ihn einmal nach.
Jane Sichting

Ein erstes Indiz dafür, dass Jennifer Jüngling ein Tausendsassa in der Leichtathletik ist, kristallisierte sich bereits bei der Terminfindung für ein Interview heraus. Während die 35-Jährige unter der Woche bereits durch Meetings, Besprechungen oder als Trainerin einer Kinderleichtathletikgruppe und einer auf Wurf spezialisierten Jugendgruppe eingespannt war, fand sich auch an den Wochenenden kein passendes Zeitfenster.

Denn diese verbrachte sie den Sommer über zum Großteil im Stadion. Und das nicht zum reinen Vergnügen, sondern zumeist in wichtiger Funktion als Teil der Wettkampforganisation hinter den Kulissen. Dass an solch intensiven Tagen, die auch mal mehr als zwölf Stunden dauern, selbst die kurze Toilettenpause genau abgesprochen sein muss, zeigt, dass bei einem Wettkampf nicht nur von den Athletinnen und Athleten Höchstleistung und Konzentration gefordert ist.

Allrounder im kleinen Team

Als wären all diese Aufgaben im Ehrenamt nicht schon genug, die sich während der Saison auf bis zu 100 Stunden im Monat summieren können, hat sich Jennifer Jüngling auch hauptamtlich der Leichtathletik verschrieben. In einem kleinen Team arbeitet sie auf der Geschäftsstelle des Leichtathletik-Verbands Rheinland als Allrounder, wie sie es gern beschreibt.

Da das Team nur sehr klein ist, gibt es zwar eine grobe Aufgabenverteilung, letztlich sei es aber wichtig, dass jeder auch problemlos die Themen des anderen übernehmen kann: „Von Buchhaltung über die Pflege der Homepage, Startpasswesen bis hin zur Wettkampforganisation machen wir alles. Wir haben keine klassischen Abteilungen, weil wir so ein kleiner Verband sind.“

Lückenloser Übergang

Woher rührt nun aber diese große Liebe zur Leichtathletik? „Mit sechs Jahren habe ich im Nachbarort mit der Leichtathletik angefangen und dann vor allem die technischen Disziplinen gern betrieben. In der Jugend habe ich auch Blockwettkämpfe und Siebenkampf gemacht“, erzählt sie. Obwohl sie das eigene Trainingspensum dann reduzierte, ging die Verbundenheit zum Verein nie verloren.

„Wir waren damals eine motivierte Truppe und da hatte der Verein dann eine Kampfrichter-Ausbildung im Vereinsheim organisiert, an der wir alle teilgenommen haben“, erinnert sie sich. Zudem machte sie eine Trainerausbildung und sagt im Nachhinein: „Es ist einfach eins ins andere übergegangen, da gab es nie eine Lücke.“

Über das FSJ zur Ausbildung und festen Stelle im LVR

Nach dem Abitur wusste sie noch nicht, wohin es beruflich einmal gehen soll, und entschied sich zunächst für ein FSJ im Sport, das sie beim Landesverband absolvierte. Wie es der Zufall wollte, hörte zu dessen Ende eine der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen auf und Jennifer Jüngling erhielt das Angebot, zu bleiben und eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation zu absolvieren. „Ich war dann die erste und wahrscheinlich einzige Auszubildende, die es im Leichtathletik-Verband gab“, fügt sie lachend hinzu.

Durch die Arbeit im Verband und die Vielfalt der Aufgaben hat sie nicht nur mitbekommen, welche Möglichkeiten es im ehrenamtlichen Bereich gibt, sondern viele von ihnen auch selbst wahrgenommen – unter anderem eine Ausbildung zur Vereinsmanagerin, zum Obmann sowie zur Schiedsrichterin.

„Ich habe die Lehrgänge ja organisiert, daher war es naheliegend, sie auch selbst mitzumachen“, sagt sie. Nachdem sie dann den Status der Kampfrichterwartin im Landesverband hatte, nahm Jüngling an der NTO-Schulung des DLV teil. „Das sind die Nationalen Technischen Offiziellen. Dieser Kader wurde ins Leben gerufen, damit bei allen Deutschen Meisterschaften gewissen Standards garantiert sind und die Schlüsselpositionen von uns besetzt sind. Darüber hinaus übernehmen wir auch Verbandsaufsichten bei Meetings oder die Wettkampfregie“, erklärt Jüngling, die heute Mitglied in der Kommission „Kampfrichterwesen“ des DLV ist.

Wettkampfregie erfordert Feingefühl und Konzentration

Insbesondere die Wettkampfregie ist eine komplexe Aufgabe, die viel Erfahrung erfordert, zugleich aber auch Flexibilität infolge von Verzögerungen oder Wettereinflüssen. Damit der Zeitplan eingehalten und etwa Finalläufe oder letzte Versuche bei technischen Disziplinen in den Fokus der Aufmerksamkeit gestellt werden können, arbeiten Jennifer Jüngling und ihr Team hinter den Kulissen akribisch daran, dies entsprechend zu gewährleisten, zu koordinieren und möglichst allen Ansprüchen gerecht zu werden.

„An solch einem Tag den Wettkampf als Zuschauerin zu verfolgen, ist schwierig“, sagt sie und lacht. „Ich bin so auf meine Aufgabe fokussiert, da habe ich keinen Kopf dafür, mir einzelne Wettbewerbe anzuschauen. Zuletzt habe ich sogar den Start einer Athletin aus meinem Verein nicht mitbekommen. Wir müssen uns sogar die Zeit, in der wir mal auf Toilette gehen, genau einteilen. Das sind dann schon sehr anstrengende Tage.“

Zufriedenheit, wenn alles läuft

Dennoch behält sie die Freude daran und hat auch gelernt, Haupt- und Ehrenamt zu trennen. Ist sie etwa als Trainerin vor Ort, kümmert sie sich nicht um Büroangelegenheiten wie einen Startpassantrag. Auch ein Overload an Leichtathletik fürchtet sie nicht: „Das Schöne im Ehrenamt ist ja, dass man genau die Sachen macht, die man wirklich gerne macht. Und es ist jedes Mal schön, wenn man sieht, wie der Plan aufgeht und alles funktioniert. Wenn alles läuft, ist es cool, wenn man sieht, dass man da mitgeholfen hat. Dass es auch mit der eigene Verdienst war“, sagt sie über ihre Motivation.

Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr dabei der Moment bei der EM 2022 in München, als sie nach „zwei Wochen Superstress“ auf der Tribüne saß und es einfach genießen konnte, dass alles aufgegangen ist. Insgesamt dauerten die Vorbereitungen allerdings mehr als zwei Jahre. „Diese fielen genau in die Corona-Zeit“, erinnert sich Jüngling.

Corona erforderte Innovation und Durchhaltevermögen

Als stellvertretende Einsatzleiterin war sie unter anderem für die Auswahl und Zusammenstellung der Kampfrichter verantwortlich, was aufgrund der Kontakt- und Reisebeschränkungen eine zusätzliche Herausforderung war. „Wir haben uns dann Online-Lehrgänge und Module einfallen lassen, um die Kampfrichter kennenzulernen. Wir hatten keine Chance, das zu verschieben. Der Druck, das machen zu müssen und Lösungen zu finden, war schon krass“, erzählt sie.

Dass am Ende alles geklappt hat, verdankt sich auch dem großen Zusammenhalt untereinander sowie der besonderen Mentalität innerhalb der Leichtathletik-Familie, die von großem Vertrauen und Zuverlässigkeit geprägt ist. „Ohne diesen Zusammenhalt wären all die Veranstaltungen gar nicht möglich. Niemand stellt sich ein ganzes Wochenende auf den Platz, wenn er keinen Spaß hat oder die Leute nicht nett sind. Am Ende geht es darum, dass alle froh sind und alle Spaß haben. Die Leichtathleten sind einfach eine gute Truppe“, sagt Jüngling.

Vorbildfunktion für Jüngere

Den Trend, dass vermehrt auch wieder jüngere Engagierte auf der Bahn stehen, kann sie nur bestätigen und sagt: „Die Leute für das Ehrenamt zu motivieren, funktioniert nur über die persönliche Ansprache und wenn es Vorbilder gibt, die ihnen die Chance geben, mitzumachen. Wichtig ist es, Ehrenamtlichen eine Perspektive zu geben. Nur wenn sie viele Einsätze bekommen, können sie Erfahrungen sammeln und sich auch weiterentwickeln.“

Für sich selbst hat Jennifer Jüngling ein gutes Standing gefunden, einen Aufstieg zum World Athletics Referee Gold Level strebt sie nicht an. Dieser würde sie unter anderem für einen Einsatz bei Olympischen Spielen qualifizieren. „Den Traum von Olympia habe ich mir dieses Jahr bereits als Zuschauerin in Paris erfüllt“ sagt sie zufrieden. Einzig eine Vergabe der Olympischen Spiele nach Deutschland könnte ihren Ehrgeiz neu entfachen.

All denjenigen, die etwas bodenständiger anfangen und sich gern in der Leichtathletik engagieren wollen, empfiehlt sie die Kontaktaufnahme mit der Geschäftsstelle des jeweiligen Landesverbandes: „Das ist der beste Informationstopf. Dort wissen sie genau, welche Kontakte sie vermitteln können.“

Wettkampfsport vs. Show-Event

Zudem ist es ihr wichtig, dass Leichtathletik sowohl als Unterhaltungsprogramm als auch als ernstzunehmender Wettkampfsport gleichermaßen interessant ist. Forderungen nach mehr Innovation und Event-Charakter steht sie zwiegespalten entgegen.

Sie sagt: „Man muss unterscheiden, ob man bei einer Deutschen Jugendmeisterschaft oder einem Marktplatzmeeting mit zehn Startern und neuen Konzepten ist. Das eine ist Wettkampfleichtathletik und für viele Saisonhöhepunkt, das andere ist ein populäres Event, um Leute für die Leichtathletik zu gewinnen.“ Für Jennifer Jüngling hat beides seinen ganz eigenen Reiz – wie hätte es auch anders sein können.

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