| Karriere-Ende

Abschied im „Wohnzimmer“: Martin Wierigs letzter Auftritt

© Gladys Chai von der Laage
Zeit zu gehen: Für Diskuswerfer Martin Wierig schließt sich am Samstag ein Kreis. Nämlich der als Leistungssportler. Verabschiedet wird der Magdeburger beim 18. Schönebecker SoleCup, bei dem er 17-mal gestartet ist. Ihn erwartet eine emotionale Abschiedsparty.
Sandra Arm

Mit Fug und Recht spricht Diskus-Ass Martin Wierig (SC Magdeburg) beim Schönebecker SoleCup gern von seinem „Wohnzimmer“. Das sogar dichter an seiner Wohnung liegt als seine Trainingsstätte. Etwa zehn Minuten braucht der 37-Jährige bis zum Stadion an der Magdeburger Straße. Gestartet ist er dort fast durchgängig. Nur einmal musste er passen. Das war im vergangenen Jahr, als er sich nach einer Knie-OP langsam zurückkämpfte. „Für mich war das Meeting ein fest verankerter Termin in meinem Saisonplan. Ich habe mich auf diesen Termin immer sehr gefreut“, zeigt der Diskus-Hüne den Stellenwert auf.

Der SoleCup war für ihn aber noch viel, viel mehr: In der Elbestadt konnte er so manch schlechte Saison noch retten. Wie 2015 mit der Normerfüllung für die Weltmeisterschaften in Peking (China). Sozusagen auf den letzten Drücker. Ähnliches passierte 2022, als Martin Wierig mit einer Topweite den Weg zur Heim-EM in München einschlug. Ewig mit Schönebeck verbunden bleibt er mit einer absoluten Spitzenweite: 68,33 Meter. Es ist zugleich sein Hausrekord, aufgestellt am 26. Juli 2012. „Es ist einfach fantastisch hier zu werfen“, meint er zu den Top-Bedingungen.

Jeden einzelnen Wurf genießen

Nun steigt Martin Wierig am Samstag ein letztes Mal in den Schönebecker Diskusring. Sein Wunsch sind sechs Versuche. „Ich will einfach nochmal Spaß haben und meinen schlechten Auftritt bei der DM in Braunschweig ein bisschen vergessen machen. Ich will zeigen, dass ich es besser kann. Große Erwartungen sollte man trotzdem nicht haben. Ich hoffe, dass ich sechs Versuche machen kann. Ich will jeden einzelnen einfach nur genießen“, sagt er.

Der Magdeburger ist froh, dass er sich mit einem Wettkampf von seinen Fans verabschieden kann. Nach der Heim-EM in München 2022 musste sich er sich einer Knie-OP unterziehen, damals hatte er sich das große Ziel gesetzt, nochmal in den Ring zurückzukehren und nicht eine Verletzung über seinen Abschied entscheiden zu lassen. „Das letzte Jahr war nicht einfach für mich. Ich habe mich langsam wieder an das Werfen herangetastet. Ich habe in dieser Zeit sehr viel Unterstützung vom Olympiastützpunkt und dem medizinischen Team erfahren“, erzählt er im Gespräch.

Traum von Olympia erfüllte sich nur einmal

Der innere wie äußere Kampf brachte Anfang Mai sein Comeback beim „Jump & Fly“-Meeting in Hechingen. Mit der Rückkehr war gleichwohl der innere Wunsch verbunden, seine zweiten Olympischen Spiele nach 2012 in London zu erleben. Sofort sind die Bilder, die Erinnerungen, die Momente wieder da. „Das waren für mich besondere Spiele. Schon vormittags saßen im Stadion 80.000 Leute – eine unfassbare Stimmung. Ich bin der festen Überzeugung, ich habe gut performt und mit dem sechsten Platz das Beste für mich rausgeholt. Robert [Harting] ist an diesem Abend Olympiasieger geworden“, erzählt Martin Wierig.

Paris wurde für ihn genauso zum Sehnsuchtsziel. Und ein Ort, wo er sich seinen großen internationalen Abschied sehr gut hätte vorstellen können. Dass 2024 für ihn Schluss sein wird, das hatte er bereits vor zwei Jahren angekündigt. Trotzdem war es ein langer Prozess und die Entscheidung lang in ihm gereift. Die ersten Gedanken kamen während der Coronazeit auf, als er die um ein Jahr verlegten Olympischen Spiele in Tokio 2021 aufgrund einer kleinen Verletzung  verpasste. Umso größer war der Antrieb und der Wunsch, es 2024 ein zweites Mal zu schaffen. Doch er musste kämpfen. Wie für seine Nominierung für die Heim-EM in München. Er schaffte die Norm und erhielt eins der drei Tickets. „Hätte ich es nicht geschafft, dann wäre die Förderung bei der Bundespolizei ausgelaufen“, gibt er zu bedenken.

Selbst nach der Knie-Operation lebte der Olympia-Traum. Doch relativ schnell in dieser laufenden Saison kristallisierte sich heraus, dass seine Leistungen für eine Olympia-Qualifikation nicht reichen. „In diesem Moment habe ich überlegt: Wo kann ich meinen letzten Wettkampf machen. Paris wäre mir zwar lieber, aber es sollte einfach nicht sein. Schönebeck hat mit dem späten Termin sehr gut gepasst und liegt vor den Spielen“, sagt er zu seinem Abschiedsort.

21 Jahre trainiert von Armin Lemme

Emotional wird es so oder so, wenn Wegbegleiter, Freunde und Familie ihn bei seinem letzten sportlichen Auftritt begleiten. „Ich freue mich drauf, weil es ein Abschluss wird, den ich mir so gewünscht habe. Ich bin eigentlich nicht so nah am Wasser gebaut, aber es kann sein, dass die eine oder andere Träne beim Abschied fließt.“

Und das nach einer extrem langen Leistungssportkarriere, die beim SV Seehausen/Börde begann und enden wird beim SC Magdeburg. Bei dem Verein, der ihm 24 Jahre ein sportliches Zuhause gab. Davon 21 Jahre an der Seite seines Trainer Armin Lemme, er verstarb 2021. „Ich bin mit 13 Jahren zu ihm in die Trainingsgruppe gekommen. An seiner Seite habe ich viele Phasen des Lebens auch abseits des Sports durchlaufen. Sei es die Pubertät, die erste Freundin – für mich war er über die vielen Jahre wie ein zweiter Papa.“ Sie meisterten die guten wie die schlechten Zeiten.

15 Jahre in der deutschen Spitze

Zu den schönsten Momenten zählt Martin Wierig zweifelsohne seinen ersten deutschen Meistertitel 2019 – und das mit 32 Jahren. „Ich war sechs Mal Deutscher Vizemeister, einer der Harting-Brüder war die Jahre zuvor immer vor mir“, erinnert er sich schmunzelnd. Bereits 2009 holte er mit DM-Bronze seine erste nationale Medaille. Bei insgesamt sechs Weltmeisterschaften bestieg der Diskuswerfer für Deutschland den Ring, 2022 in Eugene (USA) wurde er zum DLV-Teamkapitän bestimmt. Zu den besonderen Augenblicken kommt ihm auch der achte WM-Platz von Doha (Katar) 2019 in den Sinn. „Wir haben uns in diesem Jahr aus einem kleinen Loch zusammen wieder rausgekämpft.“

Diese wie unzählige weitere Momente in seiner langen Karriere als Leistungssportler werden ihn wohl im Leben danach weiterhin begleiten. Sei es vielleicht als zukünftiger Trainer, im Oktober schließt er den A-Trainer-Lehrgang ab. Anderseits beginnt ab Oktober für ihn erstmal der Dienst bei der Bundespolizei. Darüber hinaus rückt die Familie nun noch mehr in den Mittelpunkt. Da sind Ehefrau Anna Wierig, ehemals Rüh, und seine zwei Söhne. Was die Zukunft bringen mag, am Samstag zählt erstmal das Hier und Jetzt – sein Abschied aus dem Diskusring.

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