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Oleg Zernikel – Selbstbestimmt ans Ziel der Träume

Einige junge Aufsteigerinnen und Aufsteiger, ein Außenseiter, aber auch Athletinnen und Athleten, die schon seit Jahren zur DLV-Spitze zählen, haben bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig im zurückliegenden Sommer ihren ersten Titel auf nationaler Ebene gewonnen. Wir stellen sie vor, heute Stabhochspringer Oleg Zernikel (ASV Landau).
Jan-Henner Reitze

Oleg Zernikel
ASV Landau

Bestleistung:

Stabhochsprung: 5,80 m (2021)

Erfolge:

Neunter Olympische Spiele 2021
Vierter Hallen-EM 2021
Fünfter U23-EM 2017
Bronze U20-WM 2014
Vierter U18-WM 2011

In der Jugend ein Überflieger, dann eine lange Durststrecke und 2021 endlich der Durchbruch in die internationale Spitze der Männerklasse. „Meine Karriere besteht aus zwei Teilen“, erklärt Oleg Zernikel. „Als ich zufällig zum Stabhochsprung gekommen bin, habe ich einfach alles gemacht, was mir gesagt wurde.“ Das führte ihn bis zu einer Bestleistung von 5,51 Metern und Bronze bei der U20-WM 2014.

Der Einschnitt begann mit dem Aufstieg in die U23-Klasse, als Gedanken über Sinn und Unsinn des Leistungssports aufkamen. Der 26-Jährige musste sich erst klar werden, wie er sein Leben selbstbestimmt gestalten möchte. Der Leichtathletik blieb er treu. Es zeigte sich allerdings, dass dieser bewusst gewählte Weg eine Menge Arbeit mit sich bringt. Die Unterstützung aus dem Umfeld, von Familie und Freunden half, den zwischenzeitlich verloren gegangenen Glauben an die eigene Leistungsfähigkeit lebendig zu halten.

2021 fügten sich die hart erarbeiteten Puzzleteile so zusammen, dass sich mit dem ersten deutschen Meistertitel, Rang vier bei der Hallen-EM und Rang neun bei den Olympischen Spielen gleich eine ganze Reihe von Träumen erfüllte. Seine 13 besten Wettkämpfe hat der Athlet des ASV Landau alle in diesem Jahr abgeliefert und seine Bestleistung bis auf 5,80 Meter gesteigert. Diese Erfolge haben die Freude am Sport nur noch verstärkt und die Vorfreude auf die Zukunft wachsen lassen.

Als Naturtalent früh abgehoben, dann Suche nach sich selbst

Nachdem er in seiner Kindheit mit seiner Familie aus Kasachstan nach Landau umgesiedelt war, begann Oleg Zernikel in Ludwigshafen bei der Stabhochsprung-Familie Ryzih zu trainieren. Mit 13 Jahren wechselte er zu Jochen Wetter beim ASV Landau, der ihn bis heute betreut. Als 16-Jähriger meisterte das Naturtalent erstmals 5,00 Meter. Frühe Starts im Nationaltrikot krönte er mit Rang vier bei der U18-WM 2011 und Rang sechs bei der U20-EM 2013 sowie mit der Bronzemedaille mit Bestleistung von 5,50 Metern bei der U20-WM 2014 in Eugene (USA).

„Mein Vorteil war, dass ich alles, was mir vorgegeben wurde, schnell und einfach umsetzen konnte“, erzählt der Stabhochspringer. „Klar habe ich mich über meine Erfolge gefreut. Aber etwa an Olympia habe ich damals nie gedacht.“ Stattdessen fielen ihm auch die negativen Seiten des Sportlerlebens mehr und mehr auf, zum Beispiel der große Zeitaufwand. Eigene Ziele und Prioritäten waren noch nicht gesetzt. „Zu diesem Zeitpunkt habe ich den Stabhochsprung gar nicht wirklich gemocht.“

Diese Phase der Selbstfindung schlug sich ab 2016 auf die Leistung nieder, als bei einigen Wettkämpfen gar keine Höhe in die Ergebnisliste einging und als Jahresbestleistung nur 5,05 Meter zu Buche standen. „Meine Karriere hat da quasi neu angefangen.“ Es folgten intensive Gespräche mit seiner Familie, mit Sportpsychologen, nach der Aufnahme eines Maschinenbau-Studiums der Wechsel des Fachs zu Umweltwissenschaften und die bewusste Ausrichtung des Alltags auf den Sport, aber auch neue Rückschläge. Den eigenen Weg zu finden hieß auch, sich auch mal zu irren. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

Kontinuierliche Arbeit führt zurück an die Spitze

Eine Entscheidung, von der Oleg Zernikel immer noch profitiert, ist die aufgenommene Zusammenarbeit mit Bundestrainer Andrei Tivontchik in Zweibrücken. Bei regelmäßigen gemeinsamen Trainingseinheiten kehrte vor allem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten langsam zurück. Technische Feinheiten des Ablaufs der komplexen Disziplin wurden nach und nach perfektioniert. „Ich musste im Training immer wieder über meine Grenzen gehen und zum Beispiel so harte Stäbe springen wie nie zuvor“, erzählt der Olympia-Neunte.

In der schwierigen Zeit hielten auch seine Sponsoren, sein Verein oder die Sporthilfe Rheinland-Pfalz zu ihm. „Ich habe immer wieder neue Stäbe bekommen.“ Daran beteiligt waren auch die Leitende Bundestrainerin Christine Adams und der DLV. Dabei seine Stärken wie Schnelligkeit und Kraft aufrechtzuerhalten, daran hatte auch Physiotherapeut Mike Steverding einen Anteil.

Seit der Freiluftsaison 2019 ging es mit der Wettkampfleistung langsam wieder bergauf. Im Winter 2020 gelang nach knapp fünf Jahren mit 5,55 Metern endlich wieder eine Bestleistung. Im schwierigen Corona-Sommer folgten 5,60 Meter. In der Vorbereitung auf das Jahr 2021 lagen dann im Training noch größere Höhen auf. „Es ist mir immer besser gelungen, mein linkes Bein nach dem Absprung nicht mehr sofort anzuziehen, weiter von der Anlage entfernt abzuspringen und so mehr Schwung aus dem verlängerten Anlauf mitnehmen zu können.“

Traumhaftes Jahr 2021

Die inzwischen gewachsenen sportlichen Träume erfüllten sich in diesem Jahr gleich auf einen Schlag. Das kontinuierlich verbesserte Niveau entsprach nun der internationalen Klasse. In der Hallensaison sprang der 26-Jährige in jedem Wettkampf höher als seine Bestleistung aus der Zeit davor. Gleich der erste Start in der A-Nationalmannschaft endete mit Rang vier bei der Hallen-EM in Torun (Polen). Die gewonnene mentale Stärke zeigte sich insbesondere bei der DM in Braunschweig, als die Steigerung auf 5,80 Meter nicht nur den ersten nationalen Titel einbrachte, sondern auch die sichere Olympia-Qualifikation. In Tokio (Japan) gelang der Finaleinzug und dort mit 5,70 Metern Rang neun.

„Torun war ein Genussmoment, weil ich mit der Qualifikation nicht gerechnet habe. Bei den Deutschen war die Anspannung sehr groß, dann aber auch die Freude. Bei Olympia konnte ich wieder fast jeden Moment genießen. Ich wollte einfach alles aufsaugen und Erfahrung sammeln.“

Vorfreude auf nächste Aufgaben

Stabhochsprung ist von einem zufällig entdeckten Talent zum Lebensinhalt und zur Leidenschaft geworden. Die bewusste Auseinandersetzung damit hat den Nebeneffekt, dass sich auch Ziele realistischer stecken lassen. Die Hallen-WM in Belgrad (Serbien), die WM in Eugene (USA) und vor allem die EM in München stehen für das kommende Jahr auf der Liste von Oleg Zernikel. „München wird, glaube ich, das größte Erlebnis. Ich hoffe, dass Zuschauer da sein werden, die haben in Tokio gefehlt. Nach meinem vierten Platz bei der Hallen-EM würde ich mich auch über eine Medaille freuen.“

Im Training ist die Arbeit an den letzten Details längst wieder aufgenommen. „Der Anlauf soll längerfristig von 16 auf 18 Schritte erweitert werden, und ich springe immer noch mit 4,90 Meter langen Stäben. Da ist noch der Umstieg auf fünf Meter möglich. Es deutet sich schon an, dass es noch besser klappen kann. Diese Möglichkeiten lassen mich mit noch mehr Freude in die Zukunft blicken.“

Video: Oleg Zernikel springt mit persönlicher Bestleistung zur Olympia-Norm
Video-Interview: Oleg Zernikel: "Mein Lebensziel ist erreicht"

Das sagt Bundestrainer Andrei Tivontchik:

„Oleg hat schon in der Vorbereitung auf den Winter gezeigt, dass er hoch springen kann. Das Training verlief optimal. Die Hallensaison war schon stark, im Sommer war er mit 5,80 Metern bei der DM in Braunschweig auf den Punkt fit. Alles lief wie geplant. Oleg hat mentale Stärke und Motivation zurückgewonnen. Er hat an seinen Schwächen gearbeitet und sich zielstrebig auf Olympia konzentriert. Dass die Spiele wegen Corona verschoben wurden, war ein Vorteil für ihn. Er hatte mehr Zeit.

Wir haben an der Anlaufgestaltung und der Griffhöhe gearbeitet, auch härtere Stäbe zu springen. Den Anlauf haben wir auf 16 Schritte verlängert. Alles ging Schritt für Schritt voran. Als Stärken schon vorhanden waren seine Fitness, Explosivität und Grundschnelligkeit. Bei der Anlaufgeschwindigkeit ist er auf Weltklasseniveau angekommen.

5,90 Meter plus sind für ihn möglich, schon im kommenden Jahr. Dafür gilt es zielstrebig weiterzuarbeiten und natürlich gesund zu bleiben.“

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