Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: der Weitsprung der Männer.
Fazit des Bundestrainers
Uwe Florzcak, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt – als Bundestrainer und als Heimtrainer?
Uwe Florczak:
Wir alle haben seit Mitte März gelernt: Das, was wir heute planen, kann morgen schon nicht mehr möglich sein. Allerdings hat uns eine gut organisierte Late Season gezeigt, wie viel dann doch möglich ist.
Von Anfang an haben wir uns auf neue Informationen und Situationen einstellen müssen. Es ist sehr wichtig, dass die Athleten Wettkämpfe in Aussicht gestellt bekommen. Neben der Motivation für das Training sind die hohen Belastungen für die weitere Entwicklung wichtig, diese sind zu hundert Prozent nur in Wettkämpfen möglich.
Innerhalb unserer Jahresanalyse haben wir uns davon überzeugen können, dass wir im Sprungteam gut vernetzt sind und verlässliche und motivierte Partner haben. Eine Wettkampfserie wurde von verschiedenen Veranstaltern sehr gut organisiert, so war eine Vorbereitung auf die DM in Braunschweig gewährleistet.
Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Weitspringer?
Uwe Florczak:
Am Anfang war es die Ungewissheit bezüglich einiger unbeantworteter Fragen und, wie schon gesagt, der sich permanent verändernden Situationen. Das föderale System hat einen äußerst unterschiedlichen Trainingsbetrieb ermöglicht. Während in Berlin fast durchgängig trainiert werden konnte, war für Bayern und Hamburg lange kein geordnetes Training möglich. Hier war es wichtig, permanent im Kontakt zu bleiben. Athleten und Heimtrainer waren in dieser Zeit sehr kreativ und haben das Beste aus der Situation gemacht.
Welche Athleten haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?
Uwe Florczak:
Bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig habe ich Julian Howard in einer sehr guten Verfassung gesehen. Ich habe ihn so noch nicht so oft gesehen. Leider hat er sich durch zwar weite, aber ungültige Versuche um den verdienten Lohn gebracht. Julian ist in diesem Jahr 8,06 Meter gesprungen und liegt damit auf Platz 18 der Weltbestenliste und auf Platz 8 der europäischen Bestenliste.
Maximilian Entholzner konnte sich trotz der schwierigen Trainingsbedingungen weiterentwickeln, obwohl er viel allein trainieren musste, außer drei Wochen Trainingslager in Kienbaum mit mir. Das zeigt auch sein enormes Entwicklungspotential. Max stellte bei den Deutschen Meisterschaften seine Bestleistung ein und verbesserte diese zwei Wochen später um einen Zentimeter auf 7,97 Meter. Jetzt wird es Zeit, dass er die lange überfälligen acht Meter knackt.
Sehr gute Ergebnisse können wir von einem jungen Weitspringer berichten. Oliver Koletzko ist in der Saison zweimal 7,72 Meter gesprungen und verpasste damit jeweils nur um fünf Zentimeter die deutsche U18-Bestleistung von Schariar Bigdeli. Auf den Jungen können wir uns in der Zukunft freuen.
Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?
Uwe Florczak:
Wir haben unsere Jahresplanung auf die verschiedenen Corona-bedingten möglichen Veränderungen bestmöglich angepasst. Dabei müssen wir flexibel agieren können, da sich wie bereits erwähnt die Situationen permanent verändern können.
Hier muss eine enge Kommunikation zwischen den Bundestrainern und dem Team-Management erfolgen. Alles muss natürlich im Rahmen des organisatorisch Machbaren bleiben. Wir haben uns entsprechende Deadlines für die verschiedenen Lehrgangsmaßnahmen gesetzt. Entscheidend ist neben jeder Lehrgangsplanung, dass wir das Training an den Bundesstützpunkten aufrechterhalten.
Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Weitspringern und mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?
Uwe Florczak:
Ich habe drei Athleten im Kader, die bereits 8,20 Meter und weiter gesprungen sind. Außerdem einen vierten, der dies mit einer effektiven Weite über 8,20 Meter ebenfalls bereits bewiesen hat. Dieses Potenzial gilt es im nächsten Jahr zu entwickeln, dann werden wir auch mit einer großen Präsenz bei den Olympischen Spielen aufwarten.
Weltweit ist in diesem Jahr nicht so viel passiert, was sicher unter anderem durch die Corona-Pandemie erklärbar ist. Wen wir es schaffen, die Motivation hochzuhalten, die Trainingsbedingungen so gut wie möglich positiv aufrechtzuerhalten, Leistungsdiagnostik flexibel und variabel einzusetzen und eine kluge Wettkampfserie organisieren, dann bin ich guter Dinge, dass wir einen Weitspringer im Finale bei den Olympischen Spielen sehen werden.
Unser "Ass des Jahres"
Maximilian Entholzner (LAC Passau)
Deutscher Meister 2020 in der Halle und im Freien
Unser "Talent des Jahres"
Oliver Koletzko (Wiesbadener LV)
Deutscher U18-Meister 2020
Bei zwei Wettkämpfen mit 7,72 Metern fehlten nur fünf Zentimeter zur DLV-Bestleistung der U18 von Schahriar Bigdeli.
Die deutschen Top Ten 2020
Weitsprung Männer
Zeit | Name | Jahrgang | Verein |
---|---|---|---|
8,06 m | Julian Howard | 1989 | LG Region Karlsruhe |
7,97 m | Maximilian Entholzner | 1994 | LAC Passau |
7,82 m | Gianluca Puglisi | 1996 | Königsteiner LV |
7,79 m | Max Kottmann | 1992 | VfB Stuttgart 1893 |
7,72 m | Oliver Koletzko | 2003 | Wiesbadener LV |
7,70 m | Vincent Vogel | 1994 | LAC Erdgas Chemnitz |
7,69 m | Gianni Seeger | 1998 | TSV Gomaringen |
7,57 m | Bennet Vinken | 2000 | Hamburger SV |
7,49 m | Nico Beckers | 1994 | Aachener TG |
7,49 m | Henry Behrens | 1999 | SSV Ulm 1846 |
Statistik – Das sagen die Zahlen
Das deutsche Top-Niveau: Weitsprung Männer
Jahr | > 8,15 | Schnitt Top 3 | Schnitt Top 5 | Schnitt Top 10 |
---|---|---|---|---|
2005 | 1 | 8,07 | 7,96 | 7,83 |
2006 | - | 7,98 | 7,95 | 7,83 |
2007 | 1 | 8,14 | 8,06 | 7,92 |
2008 | 1 | 8,13 | 8,06 | 7,92 |
2009 | 2 | 8,24 | 8,16 | 8,04 |
2010 | 1 | 8,17 | 8,05 | 7,90 |
2011 | 2 | 8,17 | 8,10 | 7,94 |
2012 | 3 | 8,27 | 8,13 | 7,93 |
2013 | 2 | 8,21 | 8,13 | 7,97 |
2014 | 2 | 8,26 | 8,14 | 7,96 |
2015 | 2 | 8,15 | 8,00 | 7,83 |
2016 | 1 | 8,05 | 7,99 | 7,88 |
2017 | 1 | 7,94 | 7,88 | 7,76 |
2018 | 2 | 8,18 | 8,10 | 7,90 |
2019 | - | 7,97 | 7,90 | 7,81 |
2020 | - | 7,95 | 7,87 | 7,73 |
Entwicklung der internationalen Jahresbestleistungen
Jahr | Deutschland | Europa | Diff. | Welt | Diff. |
---|---|---|---|---|---|
2005 | 8,21 (Winter) | 8,31 (Zuskov/UKR) | 0,10 | 8,60 (Philips/USA) | 0,39 |
2006 | 8,01 (Koenig) | 8,41 (Howe/ITA) | 0,40 | 8,56 (Saladino/PAN) | 0,55 |
2007 | 8,19 (Reif) | 8,66 (Tsatoumas/GRE) | 0,47 | 8,66 (Tsatoumas/GRE) | 0,47 |
2008 | 8,15 (Bayer) | 8,44 (Tsatoumas/GRE) | 0,29 | 8,73 (Saladino/PAN) | 0,58 |
2009 | 8,49 (Bayer) | 8,49 (Bayer) | 0,00 | 8,74 (Philips/USA) | 0,25 |
2010 | 8,47 (Reif) | 8,47 (Reif) | 0,00 | 8,47 (Reif) | 0,00 |
2011 | 8,26 (Reif) | 8,35 (Tomlinson/GBR) | 0,09 | 8,54 (Watt/USA) | 0,28 |
2012 | 8,34 (Bayer) | 8,35 (Rutherford/GBR) | 0,01 | 8,51 (Rutherford/GBR) | 0,01 |
2013 | 8,29 (Camara) | 8,56 (Menkov/RUS) | 0,27 | 8,56 (Menkov/RUS) | 0,27 |
2014 | 8,49 (Reif) | 8,51 (Rutherford/GBR) | 0,02 | 8,51 (Rutherford/GBR) | 0,02 |
2015 | 8,25 (Heinle) | 8,41 (Rutherford/GBR) | 0,16 | 8,52 (Henderson/USA) | 0,27 |
2016 | 8,21 (Camara) | 8,44 (Torneus/SWE) | 0,23 | 8,58 (Lawson/USA) | 0,37 |
2017 | 8,15 (Howard) | 8,32 (Menkov/RUS/ANA) | 0,17 | 8,65 (Manyonga/RSA) | 0,50 |
2018 | 8,20 (Hartmann/Howard) | 8,27 (Juska/CZE) | 0,07 | 8,68 (Echevarria/CUB) | 0,48 |
2019 | 8,05 (Heinle) | 8,32 (Tentoglou/GRE) | 0,27 | 8,69 (Gayle/JAM) | 0,64 |
2020 | 8,06 (Howard) | 8,27 (Pulli/FIN) | 8,36 (Wang/CHN) | 0,30 |
Das fällt auf:
- Mit dem schwer von Corona betroffenen Madrid musste Maximilian Entholzner seinen Trainingsmittelpunkt im Frühjahr verlassen, dennoch konnte er im Sommer seine positive Entwicklung der Hallensaison fortsetzen.
- Julian Howard konnte sein Potential mehrmals andeuten, bei den Deutschen Meisterschaften jedoch nicht mit einem gültigen Sprung in die Grube bringen. Die nächste Saison bringt die nächste Chance.
- U18-Athlet Oliver Koletzko konnte nicht nur mit seiner Bestweite von 7,72 Metern sein Talent unter Beweis stellen, sondern zeigte mit insgesamt fünf Wettkämpfen mit Weiten jenseits der 7,60 Meter auch Konstanz auf hohem Niveau.
- Weltweit fehlten die ganz großen Sprünge, 2019 waren sechs Athleten weiter gesprungen als die Bestweite in diesem Jahr von 8,36 Metern.
- Auch mehrere DLV-Leistungsträger traten 2020 nicht in Erscheinung, allen voran Vize-Europameister Fabian Heinle.
leichtathletik.TV-Clips:
Die Disziplin-Analysen im Überblick:
Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Weitsprung Frauen
* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017