| Disziplin-Check 2020

WEITSPRUNG FRAUEN | Malaika Mihambo auch aus kurzem Anlauf die absolute Nummer eins

Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: der Weitsprung der Frauen.
Jan-Henner Reitze

Fazit des Bundestrainers

Uli Knapp, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt – als Bundestrainer und als Heimtrainer?

Uli Knapp:

Die Trainingsmöglichkeiten wurden im März und April immer weiter zurückgefahren. Wir hatten Trainingslager geplant, etwa für Südafrika waren Flüge und Häuser gebucht. Einige Athleten waren sogar schon dort und mussten kurzfristig wieder abreisen. Unser Trainingslager in Belek wurde ganz abgesagt. Dann wurden auch in Deutschland Trainingshallen oder Krafträume geschlossen, je nach Standort waren die Beschränkungen für die einzelnen Athleten je nach Bestimmungen der Bundesländer unterschiedlich. Im Saarland mussten wir uns vergleichsweise lange alternative Trainingsstätten suchen. Bei einigen meiner Athleten hat das dazu geführt, dass wir den guten Zustand vor dem Lockdown nicht halten konnten, sondern später noch einmal neu aufbauen mussten.

Etwa ab Mai hat sich vieles normalisiert und planmäßiges Training war wieder möglich. Ich und auch die Athleten waren sehr dankbar, dass noch ein Wettkampfangebot geschaffen wurde. So gab es Ziele für den Formaufbau, und wenigstens eine kleine Saison konnte durchgezogen werden.

Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Weitspringerinnen?

Uli Knapp:

Die Organisation des Trainings im ersten Lockdown. Zu dieser Zeit stand ich ständig in Kontakt mit den Athletinnen und Trainern. Viele haben sich eigene Krafträume eingerichtet, etwa im Keller. Die Athletinnen, die eine Saison geplant hatten, haben alles dafür getan, um das Training aufrecht zu erhalten. Dabei war auch Erfindergeist und Kreativität gefragt. Das war vorbildlich. Sie haben sich nicht in ein Loch fallen lassen und so waren noch gute Leistungen möglich.

Natürlich war die Olympia-Absage zuerst eine Art Schock, denn alle Träume für das Jahr sind in Rauch aufgegangen. Mit den Bemühungen um eine Late Season, der DM und der vom Sprungteam angebotenen Wettkampfserie mit Stationen wie Essen, Osterode oder Weinheim gab es dann aber doch wieder Ziele.

Welche Athletinnen haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?

Uli Knapp:

Allen voran hat es Malaika Mihambo trotz der schwierigen Bedingungen geschafft, wieder die Nummer eins der Welt zu sein. Als einzige Sieben-Meter-Springerin der Saison ist sie in die Bestenlisten eingegangen. Bei ihr kamen ja auch noch Rückenbeschwerden aus der Hallensaison und ihr Trainerwechsel zu den Einschränkungen im Lockdown dazu. So war für sie fast drei Monate kaum Training möglich. Sie musste quasi bei null anfangen und hat es trotzdem geschafft, eine gute Form zu entwickeln.

Sie ist Deutsche Meisterin geworden und hat in einem tollen Wettkampf in Dessau mit der Ukrainerin Maryna Bekh-Romanchuk und der Weißrussin Nastassiya Mironchyk-Ivanova zwei Weltklasse-Athletinnen geschlagen. Malaika hat sich bewusst gegen internationale Starts entschieden und ist nur aus kurzem Anlauf gesprungen, um dem Köper eine Verschnaufpause zu geben. Insgesamt ist sie mit einem guten Gefühl aus der Saison gegangen.

Eine tolle Saison hat auch Merle Homeier gezeigt, mit ihrer Bestleistung von 6,57 Metern, die sie auch mehrfach bestätigt hat. Lea-Jasmin Riecke hat mit ihrer Steigerung auf 6,58 Meter ebenfalle eine positive Entwicklung hingelegt. Wieder stabile Weiten nach ihrer Rückkehr konnte Maryse Luzolo anbieten. Allerdings hat sie sich bei mehreren Wettkämpfen unter Wert verkauft. Bei den Deutschen Meisterschaften oder in Essen hatte sie vielversprechende Versuche im Bereich von 6,60 Metern, die leider knapp ungültig waren. Aber man hat gesehen, dass sie wieder auf einem guten Weg ist.

Einige Athletinnen wie Julia Gerter, Anna Bühler, Sosthene Moguenara oder Alexandra Wester haben keine Wettkämpfe absolviert. Bei ihnen war von vornherein klar, dass sie keine Saison bestreiten werden.

Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?

Uli Knapp:

Eigentlich findet zu Beginn der Vorbereitung immer ein Eröffnungslehrgang mit den Kaderathletinnen statt. Das ist dieses Jahr leider nicht möglich. Auch bei der Sportmedizin können keine Termine für Gruppen angeboten werden. Meine Planungsgespräche führe ich deshalb online durch oder die Athletinnen kommen einzeln bei mir in Saarbrücken vorbei. Wir versuchen aber den Reiseaufwand so weit wie möglich zu minimieren. Auf jeden Fall bis Weihnachten wollen wir so viele Kontakte wie möglich vermeiden.

Ein für Januar geplantes Trainingslager auf Lanzarote ist zwar noch nicht komplett abgesagt, es wird aber vermutlich nicht stattfinden können. Die Anreise, auch etwa mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Flughafen, bringt Kontakte mit sich. Wie es dann weitergeht, werden wir schauen müssen. Zu planen ist momentan schwierig. Es ist ein bisschen wie Fahren auf Sicht.

Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Weitspringerinnen?

Uli Knapp:

Malaika Mihambo zählt mit ihren Leistungen ganz klar zu den Medaillenkandidatinnen. Das ist das große Ziel. Darüber hinaus würde ich mich sehr freuen, wenn sich noch ein bis zwei Springerinnen qualifizieren. Wenn es über die Norm von 6,82 Metern gelingt, wäre das natürlich super. Aber es gibt ja auch die Möglichkeit, sich über das World Ranking zu qualifizieren. Aspirantinnen haben wir auf jeden Fall.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?

Uli Knapp:

Ich hoffe, dass möglichst viele Athletinnen den Sprung in den Bereich von 6,60 Metern und mehr schaffen. Da wird es international interessant. In den Jahren 2010 bis 2015 hatten wir eine große Anzahl von Athletinnen mit solchen Weiten. Für nächstes Jahr wünsche ich mir wieder einen Schritt in diese Richtung und ein erhöhtes Gesamtniveau.

Freuen würde ich mich auch darüber, wenn Athletinnen wie Sosthene Moguenara oder Alexandra Wester, die in diesem Jahr nicht mehr die Voraussetzungen für die Aufnahme in den Kader erfüllen konnten, an ihr altes Leistungsvermögen anknüpfen können. Sie haben aus meiner Sicht nach wie vor das Potential, bei internationalen Wettkämpfen den Endkampf zu erreichen.
 

Unser "Ass des Jahres"

Malaika Mihambo (LG Kurpfalz)

Deutsche Meisterin 2020
Platz eins in der Weltbestenliste 2020

Unser "Talent des Jahres"

Nicola Kondziella (TV Wattenscheid 01)

Deutsche U20-Meisterin 2020
 

Die deutschen Top Ten 2020

Weitsprung Frauen

Weite Name Jahrgang Verein
7,03 m Malaika Mihambo 1994 LG Kurpfalz
6,58 m Lea-Jasmin Riecke 2000 Mitteldeutscher SC
6,57 m Merle Homeier 1999 LG Göttingen
6,53 m Maryse Luzolo 1995 Königsteiner LV
6,42 m Jennifer Montag 1998 TSV Bayer 04 Leverkusen
6,38 m Lucie Kienast 2001 SV Halle
6,26 m Josephine Otto 2005 LAV Kassel
6,26 m Laura Raquel Müller 2004 Unterländer LG
6,23 m Nicola Kondziella 2002 TV Wattenscheid 01
6,22 m Janina Lange 1997 MTV Lübeck

Statistik – Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau: Weitsprung Frauen

Jahr < 6,75* Schnitt Top 3 Schnitt Top 5 Schnitt Top 10
2005  – 6,63 6,58 6,47
2006  1 6,63 6,52 6,40
2007  1 6,66 6,56 6,45
2008  1 6,67 6,61 6,51
2009  2 6,79 6,76 6,66
2010  – 6,68 6,64 6,58
2011  2 6,78 6,73 6,61
2012  1 6,76 6,70 6,61
2013  2 6,83 6,77 6,66
2014  3 6,87 6,80 6,63
2015  3 6,91 6,84 6,69
2016  3  6,97 6,85 6,70
2017  2 6,76 6,70 6,60
2018  2 6,84 6,78 6,61
2019  1 6,80 6,66 6,53
2020 1 6,73 6,60 6,45

Entwicklung der internationalen Jahresbestleistungen

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 6,66 (Kappler) 7,04 (Meleshina/RUS) 0,38 7,04 (Meleshina/RUS) 0,38
2006 6,75 (Tonn) 7,12 (Kotova/RUS) 0,37 7,12 (Kotova/RUS) 0,37
2007 6,90 (Kappler) 7,21 (Kolchanova/RUS) 0,31 7,21 (Kolchanova/RUS) 0,31
2008 6,77 (Kappler) 7,12 (Gomes/POR) 0,16 7,12 (Gomes/POR) 0,16
2009 6,83 (Bauschke) 6,99 (Gomes/POR) 0,16 7,10 (Reese/USA) 0,27
2010 6,70 (Kappler) 7,13 (Kucherenko/RUS) 0,43 7,13 (Kucherenko/RUS) 0,43
2011 6,83 (Moguenara) 7,05 (Klishina/RUS) 0,22 7,19 (Reese/USA) 0,36
2012 6,88 (Moguenara) 7,11 (Nazarova/RUS) 0,23 7,15 (Reese/USA) 0,27
2013 7,04 (Moguenara) 7,04 (Moguenara) 0,00 7,25 (Reese/USA) 0,21
2014 6,90 (Mihambo) 6,93 (Klyashtornaya/RUS) 0,03 7,02 (Bartoletta/USA) 0,12
2015 6,94 (Moguenara/Malkus) 7,07 (Proctor/GBR) 0,13 7,14 (Bartoletta/USA) 0,20
2016 7,16 (Moguenara) 7,16 (Moguenara) 0,00 7,31 (Reese/USA) 0,15
2017 6,86 (Salman-Rath) 7,00 (Klishina/RUS/ANA) 0,14 7,13 (Reese/USA) 0,27
2018 6,99 (Mihambo) 7,05 (Ugen/GBR) 0,06 7,05 (Ugen/GBR) 0,06
2019 7,30 (Mihambo) 7,30 (Mihambo) 0,00 7,30 (Mihambo) 0,00
2020 7,03 (Mihambo) 7,03 (Mihambo) 0,00 7,03 (Mihambo) 0.00

Das fällt auf:

  • Trotz der Schwierigkeiten wegen Corona, leichter Beschwerden in der Vorbereitung und Trainerwechsel hat Malaika Mihambo ihre im vergangenen Jahr erarbeitete Pole-Position in der Welt verteidigt, und das aus verkürztem Anlauf.
  • Auch in der Halle hat Malaika Mihambo mit ihren 7,07 Metern beim ISTAF Indoor erstmals die sieben Meter übertroffen.
  • Auf Starts im Ausland wie etwa in der Diamond League hat Malaika Mihambo in diesem Jahr verzichtet, dort dominierte die Ukrainerin Maryna Bekh-Romanchuk mit reihenweise Sprüngen über 6,80 Meter.
  • Mit Lea-Jasmin Riecke und Merle Homeier sind zwei Nachwuchs-Talente der internationalen Spitze der Erwachsenen wieder ein Stück näher gekommen.
  • Nach ihrer schweren Knieverletzung hat sich Maryse Luzolo endgültig zurückgemeldet.
  • In der U20 haben gleich eine Reihe Athletinnen Top-Weiten erzielt, allen voran Siebenkämpferin Lucie Kienast. Bei der Jugend-DM überzeugten die Siegerinnen in U18 und U20, Laura Raquel Müller und Nicola Kondziella, mit Bestleistungen.

leichtathletik.TV-Clips:

Weitsprung

Die Disziplin-Analysen im Überblick:

Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer

* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017

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