Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: der HIndernislauf der Männer.
Fazit des Bundestrainers
Enrico Aßmus, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt – als Bundestrainer und als Heimtrainer?
Enrico Aßmus:
Als Bundestrainer und im Bundestrainer-Team war die erste Konsequenz zur aufkommenden Pandemie, unser Trainingslehrgang in Dullstroom (RSA) abzubrechen und die Rückflüge schnellstmöglich zu organisieren. Im Anschluss mussten sich alle erstmal in die neue Situation einfinden.
Die Trainingsinhalte wurden vor allem auf die Grundlagenausdauer fokussiert. Wir konnten in einer Testwoche Anfang Juli am Institut für Angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig (IAT) viele neue Bestwerte im Bereich Ausdauer und maximale Sauerstoffaufnahme realisieren. Anschließend haben einige Wettkämpfe stattgefunden, bedauerlicherweise nicht so viele Hindernisläufe. Ich denke, wir haben trotz fehlenden Wettkämpfen in der Spezialdisziplin größtenteils eine sehr gute Basis für die Saison 2021 gelegt.
Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Hindernisläufer?
Enrico Aßmus:
Die größte Herausforderung war und ist die ungewisse Zukunft und damit einhergehend die motivationalen Aspekte. Ich denke, wir haben das recht gut aufgefangen, aber mir ist bewusst dass wir in diesem Thema weiterhin in einem laufenden Prozess sind.
Welche Athleten haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?
Enrico Aßmus:
Karl Bebendorf konnte sich beim Wettkampf am 7. Juli in Leipzig über die 2.000 Meter Hindernis mit einer Zeit von 5:26 Minuten bis auf eine Sekunde an den deutschen Rekord annähern. Ansonsten waren auch die Entwicklungen in der Leistungsdiagnostik von fast allen Kaderathleten positiv.
Aus der Heimtrainingsgruppe war nach der Verletzung 2019 die Rückmeldung von Tim Stegemann als Jahresschnellster und Deutscher Vizemeister erfreulich. Auch Frederick Ruppert, Martin Grau, Patrick Karl und Robert Baumann haben wichtige leistungsrelevante Komponenten entwickelt und werden davon in 2021 profitieren.
Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?
Enrico Aßmus:
Wir haben uns konzeptionell aufgestellt und angelehnt an unsere Mehrjahresentwicklung eine Höhenkette beziehungsweise Klimalehrgänge eingeplant. Mir ist bewusst, dass die besondere Situation, in der wir uns befinden, eine kurzfristige Beurteilung der Umsetzungsmöglichkeiten erfordert.
Ich möchte gerne allen Athleten und Heimtrainern meine inhaltliche Unterstützung anbieten. Wir werden weiterhin versuchen, Blocktrainingsangebote in Erfurt zu gestalten. Hier sind wir ebenfalls auf die Entwicklung der aktuellen Gesamtsituation angewiesen.
Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Hindernisläufern?
Enrico Aßmus:
Ich erhoffe mir, dass wir erstmals seit 1996 – Steffen Brand/Martin Strege/Kim Bauermeister – wieder drei Starter in die olympischen Vorläufe in Tokio schicken können. Dies wäre eine tolle Leistung der Disziplingruppe – wenn dann noch einer das Finale realisiert, dann wäre ich rundum glücklich. Ich bin überzeugt davon, dass die junge Truppe das Potenzial dafür hat.
Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?
Enrico Aßmus:
Für das Leichtathletik-Jahr 2021 erhoffe ich mir eine erfolgreiche und spannende Wettkampfsaison. Wir haben alle Spaß an der Komplexität der Leichtathletik und ich würde mich freuen, unsere Sportart wieder in ihrer ganzen Vielfalt genießen zu dürfen.
Unser "Ass des Jahres"
Karl Bebendorf (Dresdner SC 1898)
Deutscher Meister 2020
Deutsche Jahresbestleistung und Platz zwei der Welt über 2.000 m Hindernis (5:26,81 min)
Unser "Talent des Jahres"
Luk Jäger (TSV Penzberg)
Deutscher U20-Meister 2020 über 2.000 m Hindernis
Deutsche Jahresbestleistung U20 über 2.000 m Hindernis (5:56,38 min)
Die deutschen Top Ten 2020
Zeit | Name | Jahrgang | Verein |
---|---|---|---|
8:33,64 | Tim Stegemann | 1992 | LAC Erfurt |
8:37,00 | Martin Grau | 1992 | LAC Erfurt |
8:38,25 | Konstantin Wedel | 1993 | LG Telis Finanz Regensburg |
8:40,98 | Lennart Mesecke | 1997 | LG Nord Berlin |
8:42,43 | Karl Bebendorf | 1996 | Dresdner SC 1898 |
8:51,91 | Niklas Buchhalt | 1998 | LSC Höchstadt/Aisch |
8:53,87 | Brian Weisheit | 1997 | LSC Höchstadt/Aisch |
8:55,87 | Nick Jäger | 1999 | TSV Penzberg |
8:56,58 | Fabian Clarkson | 1990 | SCC Berlin |
8:57,82 | Johannes Motschmann | 1994 | SCC Berlin |
Statistik – Das sagen die Zahlen
Das deutsche Top-Niveau
Jahr | < 8:27,00 | Schnitt Top 3 | Schnitt Top 5 | Schnitt Top 10 |
---|---|---|---|---|
2005 | 1 | 8:28,06 | 8:32,11 | 8:38,57 |
2006 | – | 8:34,51 | 8:36,83 | 8:46,74 |
2007 | 1 | 8:29,93 | 8:35,49 | 8:45,19 |
2008 | 1 | 8:34,41 | 8:41,75 | 8:50,96 |
2009 | 1 | 8:36,79 | 8:44,61 | 8:51,53 |
2010 | 1 | 8:34,14 | 8:40,31 | 8:46,47 |
2011 | 1 | 8:39,11 | 8:43,70 | 8,49,28 |
2012 | 1 | 8:33,88 | 8:38,47 | 8:46,44 |
2013 | 1 | 8:36,63 | 8:41,19 | 8:47,73 |
2014 | 2 | 8:31,42 | 8:37,34 | 8:44,29 |
2015 | – | 8:38,66 | 8:41,47 | 8:45,84 |
2016 | – | 8:37,38 | 8:38,88 | 8:43,33 |
2017 | – | 8:36,77 | 8:40,76 | 8:44,69 |
2018 | 1 | 8:30,37 | 8:32,17 | 8:40,77 |
2019 | 1 | 8:30,90 | 8:35,36 | 8:39,90 |
2020 | – | 8:36,30 | 8:38,46 | 8:46,84 |
Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich
Jahr | Deutschland | Europa | Diff. | Welt | Diff. |
---|---|---|---|---|---|
2005 | 8:22,37 (Ghirmai) | 8:04,95 (Vroemen/NED) | 17,42 | 7:55,51 (Shaheen/OAT) | 26,86 |
2006 | 8:33,76 (Ghirmai) | 8:09,53 (Tahri/FRA) | 24,23 | 7:56,32 (Shaheen/OAT) | 37,34 |
2007 | 8:22,23 (Ghirmai) | 8:05,75 (Mohammed/SWE) | 16,48 | 7:58,80 (Koech/KEN) | 23,43 |
2008 | 8:26,66 (Ghirmai) | 8:08,96 (Mekhissi/FRA) | 18,71 | 8:00,57 (Koech/KEN) | 26,09 |
2009 | 8:26,18 (Uliczka) | 8:01,18 (Tahri/FRA) | 25,00 | 7:58,85 (Kemboi/KEN) | 27,33 |
2010 | 8:25,39 (Uliczka) | 8:02,52 (Mekhissi/FRA) | 23,87 | 8:00,90 (K.Kipruto/KEN) | 24,49 |
2011 | 8:26,43 (Uliczka) | 8:02,09 (Mekhissi/FRA) | 24,34 | 7:53,64 (K.Kipruto/KEN) | 32,79 |
2012 | 8:22,93 (Uliczka) | 8:10,90 (Mekhissi/FRA) | 12,03 | 7:54,31 (Koech/KEN) | 28,62 |
2013 | 8:23,57 (Uliczka) | 8:00,09 (Mekhissi/FRA) | 23,48 | 7:59,03 (Kemboi/KEN) | 24,54 |
2014 | 8:24,39 (Grau) | 8:03,23 (Mekhissi/FRA) | 21,16 | 7:58,41 (Birech/KEN) | 25,98 |
2015 | 8:31,55 (Grau) | 8:18,38 (Kowal/FRA) | 13,17 | 7:58,83 (Birech/KEN) | 32,72 |
2016 | 8:35,93 (Karl) | 8:08,15 (Mekhissi/FRA) | 27,78 | 8:00,12 (C. Kipruto/KEN) | 35,81 |
2017 | 8:31,95 (Stegemann) | 8:14,67 (Mekhissi/FRA) | 17,18 | 8:01,29 (Jager/USA) | 30,26 |
2018 | 8:26,18 (Grau) | 8:16,97 (Mekhissi/FRA) | 9,21 | 7:58,15 (El Bakkali/MOR) | 27,97 |
2019 | 8:26,79 (Grau) | 8:05,23 (Bedrani/FRA) | 21,56 | 8:01,35 (C. Kipruto/KEN) | 25,44 |
2020 | 8:33,64 (Stegemann) | 8:13,43 (Bedrani/FRA) | 20,21 | 8:08:04 (El Bakkali/MOR) | 25,60 |
Das fällt auf
- Die Anzahl an Hindernisrennen war überschaubar, sodass es keinem deutschen Hindernisläufer gelang, die Marke von 8:30 Minuten zu knacken.
- Tim Stegemann gelang ein starkes Comeback, er setzte sich nach fast zweijähriger Verletzungspause an die Spitze der deutschen Bestenliste.
- Bei den Deutschen Meisterschaften konnte Karl Bebendorf seinen Titel aus dem Vorjahr verteidigen. Dies gelang zuletzt Steffen Uliczka (2013/2014).
- Optimistisch stimmen bei vielen Athleten die Zubringerleistungen über 2.000 Meter Hindernis aus einem Rennen Mitte Juli in Leipzig.
- Der Rückstand der deutschen Hindernisläufer zur europäischen und Weltspitze hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht wesentlich verändert.
- Frankreich dominiert weiterhin den europäischen Hindernislauf und stellt mit Djilali Bedrani den besten Europäer. Er blieb am Saisonende aber deutlich über seiner Bestzeit aus dem WM-Jahr.
- In der Weltjahresbestenliste hat Marokko mit Soufiane El Bakkali den Spitzenplatz zurückerobert.
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Die Disziplin-Analysen im Überblick:
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Langsprint Frauen
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Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
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Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
* als Referenz-Wert dient die WM-Norm 2017