Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: der Stabhochsprung der Männer.
Fazit des Bundestrainers
Andrei Tivontchik, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt – als Bundestrainer und als Heimtrainer?
Andrei Tivontchik:
Das war wirklich für uns alle eine sehr ungewöhnliche Situation. Unser gemeinsames Trainingslager in Stellenbosch (Südafrika) mussten wir bereits nach fünf Tagen Aufenthalt abbrechen und hatten schließlich, bedingt durch die Grenzsperrungen, eine sehr abenteuerliche Heimreise. Kurz danach kam dann auch schon der komplette Lockdown. Eine zeitlang gab es an vielen Trainingsorten keine Möglichkeit, die Sportanlagen zu nutzen. Athleten und Trainer mussten improvisieren und versuchten, sich unter anderem auf Waldwegen sowie in privat angelegten Krafträumen fit zu halten. Glücklicherweise konnten die Kaderathleten nach ein paar Wochen Waldtraining das Training an ihren Stützpunkten wieder aufnehmen. Wir haben dann auf eine spätere kurze Wettkampfsaison gehofft und dementsprechend unsere Vorbereitung gestaltet.
Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Stabhochspringer?
Andrei Tivontchik:
Wahrscheinlich die Ungewissheit! Wir wussten nicht, wie lange die Sportstätten geschlossen bleiben würden und ob eine Wettkampfsaison überhaupt stattfinden wird. Trotz dieser ungewöhnlichen und herausfordernden Situation blieben unsere Sportler motiviert, sodass keiner die Vorbereitung abgebrochen hat.
Welche Athleten haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?
Andrei Tivontchik:
Viele Athleten haben eine positive Entwicklung gezeigt und trotz veränderter Rahmenbedingungen die Motivation nicht verloren. Bo Kanda Lita Baehre, Torben Blech und Raphael Holzdeppe haben sehr gute und hohe Sprünge im Training gezeigt, die auch von unserem Biomechanik-Team ausgewertet wurden. Bei den Wettkämpfen hat sich vor allem Bo Kanda Lita Baehre hervorgehoben, der mit neuer persönlicher Bestleistung von 5,81 Meter einen weiteren Schritt in Richtung Weltspitze gemacht hat.
Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?
Andrei Tivontchik:
Leider können unsere Team-Tage und das Trainingslager in Südafrika dieses Jahr nicht stattfinden. Stattdessen werden wir an den Stützpunkten Leverkusen und Zweibrücken gemeinsame Trainingseinheiten durchführen. Bei diesen Trainingseinheiten werden wir von unserem biomechanischen Team unterstützt. Weiter werden wir auch regelmäßig den Messplatz in Leverkusen in Anspruch nehmen. Wenn es möglich sein wird, werden wir mit unseren Top-Athleten im Frühjahr ein Trainingslager in Belek (Türkei) wahrnehmen.
Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Stabhochspringern?
Andrei Tivontchik:
Ich hoffe, dass wir mit drei Athleten nach Tokio reisen werden. Bo Kanda Lita Baehre, Torben Blech und Raphael Holzdeppe haben bereits die geforderte Norm von 5,80 Meter für die Olympischen Spiele in Tokio erreicht. Unser Ziel ist es, drei deutsche Stabhochspringer im Finale zu sehen. Dort ist dann vieles möglich. Natürlich ist die internationale Konkurrenz sehr groß. Deswegen ist es wichtig, dass unsere Stabis gesund bleiben, in hervorragender Form nach Tokio reisen und schließlich im Wettkampf über sich hinauswachsen.
Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021
Andrei Tivontchik:
Natürlich blicke ich mit absoluter Spannung auf das olympische Jahr und auch mit einer gewissen Angespanntheit. Ich wünsche mir, dass unsere Athleten, Trainer und das betreuende Team gesund bleiben und ohne Einschränkungen trainieren können. Es wäre einfach traumhaft, wenn wir eine Wettkampfsaison 2021 – mit dem Saisonhöhepunkt der Olympischen Spiele in Tokio – in gefüllten Stadien, wie vor dem Corona Lockdown, erleben dürften.
Unser "Ass des Jahres"
Bo Kanda Lita Baehre (TSV Bayer 04 Leverkusen)
Deutscher Meister 2020
Jahresbester 2020
Unser "Talent des Jahres"
Luke Zenker (TSV Bayer 04 Leverkusen)
Jahresbester und Deutscher Meister in der Altersklasse U18 mit übersprungenen 5,00 Metern
Platz zwei in der deutschen Jahresbestenliste der U20
Platz vier in der weltweiten Jahresbestenliste
Die Deutschen Top Ten 2020
Höhe | Name | Jahrgang | Verein |
---|---|---|---|
5,81 | Bo Kanda Lita Baehre | 1999 | TSV Bayer 04 Leverkusen |
5,76 | Raphael Holzdeppe | 1989 | LAZ Zweibrücken |
5,62 | Torben Blech | 1995 | TSV Bayer 04 Leverkusen |
5,60 | Oleg Zernikel | 1995 | ASV Landau |
5,40 | Lamin Krubally | 1995 | ASV Landau |
5,36 | Karsten Dilla | 1989 | TSV Bayer 04 Leverkusen |
5,30 | Philip Kass | 1998 | TSV Bayer 04 Leverkusen |
5,30 | Vincent Hobbie | 1997 | LG Region Karlsruhe |
5,30 | Tom Linus Humann | 1998 | Schweriner SC |
5,30 | Gilian Ladwig | 1998 | Schweriner SC |
Statistik – Das sagen die Zahlen
Das deutsche Top-Niveau
Jahr | ≥ 5,70 m* | Schnitt Top 3 | Schnitt Top 5 | Schnitt Top 10 |
---|---|---|---|---|
2005 | 6 | 5,83 | 5,79 | 5,66 |
2006 | 7 | 5,87 | 5,84 | 5,73 |
2007 | 6 | 5,87 | 5,81 | 5,68 |
2008 | 9 | 5,79 | 5,75 | 5,73 |
2009 | 7 | 5,79 | 5,76 | 5,70 |
2010 | 5 | 5,80 | 5,73 | 5,66 |
2011 | 4 | 5,77 | 5,83 | 5,65 |
2012 | 4 | 5,94 | 5,82 | 5,68 |
2013 | 5 | 5,89 | 5,82 | 5,68 |
2014 | 3 | 5,71 | 5,63 | 5,54 |
2015 | 3 | 5,78 | 5,72 | 5,62 |
2016 | 4 | 5,76 | 5,71 | 5,59 |
2017 | 2 | 5,70 | 5,66 | 5,58 |
2018 | 1 | 5,69 | 5,66 | 5,50 |
2019 | 3 | 5,77 | 5,69 | 5,57 |
2020 | 2 | 5,73 | 5,64 | 5,48 |
Entwicklung Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich
Jahr | Deutschland | Europa | Diff. | Welt | Diff. |
---|---|---|---|---|---|
2005 | 5,93 (Lobinger) | 5,93 (Lobinger) | 0,00 | 6,00 (Burgess/USA) | 0,07 |
2006 | 5,90 (Lobinger) | 5,90 (Lobinger) | 0,00 | 6,00 (Walker/USA) | 0,10 |
2007 | 5,90 (Otto) | 5,90 (Otto) | 0,00 | 5,95 (Walker/USA) | 0,05 |
2008 | 5,81 (Straub) | 6,01 (Lukyanenko/RUS) | 0,20 | 6,04 (Hooker/AUS) | 0,23 |
2009 | 5,81 (Straub) | 6,01 (Lavillenie/FRA) | 0,20 | 6,01 (Lavillenie/FRA) | 0,20 |
2010 | 5,90 (Mohr) | 5,94 (Lavillenie/FRA) | 0,04 | 5,95 (Hooker/AUS) | 0,05 |
2011 | 5,85 (Mohr) | 5,90 (Lavillenie/FRA) | 0,05 | 5,90 (Lavillenie/FRA) | 0,05 |
2012 | 6,01 (Otto) | 6,01 (Otto) | 0,00 | 6,01 (Otto) | 0,00 |
2013 | 5,91 (Holzdeppe) | 6,02 (Lavillenie/FRA) | 0,11 | 6,02 (Lavillenie/FRA) | 0,11 |
2014 | 5,73 (Scherbarth) | 5,93 (Lavillenie/FRA) | 0,12 | 5,93 (Lavillenie/FRA) | 0,20 |
2015 | 5,94 (Holzdeppe) | 6,05 (Lavillenie/FRA) | 0,11 | 6,05 (Lavillenie/FRA) | 0,11 |
2016 | 5,77 (Gaul) | 5,98 (Lavillenie/FRA) | 0,21 | 6,03 (Braz da Silva/BRA) | 0,26 |
2017 | 5,80 (Holzdeppe) | 5,93 (Wojciechowski/POL) | 0,13 | 6,00 (Kendricks/USA) | 0,20 |
2018 | 5,81 (Holzdeppe) | 6,05 (Duplantis/SWE) | 0,24 | 6,05 (Duplantis/SWE) | 0,24 |
2019 | 5,80 (Blech) | 6,02 (Lisek/POL) | 0,22 | 6,06 (Kendricks/USA) | 0,26 |
2020 | 5,81 (Lita Baehre) | 6,15 (Duplantis/SWE) | 0,34 | 6,15 (Duplantis/SWE) | 0,34 |
Das fällt auf:
- Starke Springer in der deutschen Spitze: Das Durchschnitts-Niveau der deutschen Top Drei blieb trotz der wenigen Wettkampfmöglichkeiten auch 2020 im Bereich der Vorjahre.
- Der Durchschnitts-Wert der deutschen Top Fünf und Top Zehn nahm dagegen 2020 den niedrigsten Wert seit Einführung der Disziplin-Checks auf leichtathletik.de ein.
- Bo Kanda Lita Bahre hat sich auch im Corona-Sommer in bestechender Form gezeigt und gut entwickelt.
- Mit Luke Zenker (TSV Bayer 04 Leverkusen) steht ein weiteres hoffnungsvolles deutsches Nachwuchstalent in den Startlöchern. Der 17-Jährige wurde bei der U18-DM in Heilbronn Deutscher Meister und belegt mit einer übersprungenen Höhe von 5,00 Metern in der weltweiten Jahresbestenliste Platz vier, europaweit sogar Platz zwei.
- International war es das Jahr des Armand Duplantis (Schweden). Mit 6,18 Metern in der Halle sowie 6,15 Metern im Freien stellte er in diesem Jahr gleich zwei Weltrekorde auf.
- Schwierige Situationen erfordern kreative Ideen: Mit der "PSD Bank Flight Night" fand in Düsseldorf eine Stabhochsprung-Veranstaltung in einem Autokino statt.
leichtathletik.TV-Clips:
Die Disziplin-Analysen im Überblick:
Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Frauen
* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017