| Neuer Sprint-Star

Noah Lyles auf Usain Bolts Spuren

Er ist erst 22 Jahre jung und hat am Freitag bereits seine vierte Diamond League-Trophäe errungen. In Doha wartet die erste WM-Teilnahme. Warum US-Sprinter Noah Lyles Erinnerungen an Usain Bolt weckt – und doch so gar nicht mit ihm verglichen werden mag.
Martin Neumann

Die Jubelpose beherrscht Noah Lyles wie ein alter Hase: Strahlend hüllte sich der 22-Jährige bei einsetzendem Regen in Brüssel nach seinem 200-Meter-Sieg in 19,74 Sekunden beim Diamond League-Finale am Freitagabend in die US-Flagge. Dieselbe Szene hatte es schon acht Tage zuvor beim ersten Finale in Zürich gegeben. Da hatte er die 100 Meter in 9,98 Sekunden für sich entschieden und die erste begehrte Diamond League-Trophäe plus 50.000 Dollar Preisgeld abgeräumt.

Doch man mag es kaum glauben: Noah Lyles ist trotz aller Erfolge und mittlerweile schon vier Gesamtsiegen in der Diamond League noch nie bei einer großen Meisterschaft gestartet. Die WM in Doha (Katar; 27. September bis 6. Oktober) wird sein erster Auftritt auf ganz großer internationaler Bühne.

200-Meter-Fokus nach Diamond-League-Double

„Das Rennen in Brüssel gibt mir noch mehr Selbstvertrauen für die Weltmeisterschaft. Dort muss ich mein Bestes geben, um Gold zu gewinnen“, sagte Noah Lyles nach seinem insgesamt zwölften Sieg bei einem Diamond League-Meeting. Allerdings wird er trotz des Diamond League-Gesamtsiegs über 100 Meter und der damit verbundenen WM-Wildcard in Doha nur über die längere Sprintstrecke starten. Denn auch Weltmeister Justin Gatlin (USA) hat als 100-Meter-Titelverteidiger eine Wildcard inne. Und nur ein Wildcard-Starter pro Disziplin und Nation ist möglich.

Bei den US-Trials war Noah Lyles nur über 200 Meter gestartet und hatte mit 19,78 Sekunden (natürlich) triumphiert. „Ich weiß, dass ich der erste Mann in der Geschichte der Diamond League bin, der in einer Saison die 100 und 200 Meter gewonnen hat. Aber in Doha werde ich die 200 Meter nur laufen lassen, weil ich das Gold so sehr will“, erklärte der 22-Jährige.

"Eigene Fußstapfen hinterlassen"

Dass er auf der halben Stadionrunde Anwärter Nummer eins auf WM-Gold ist, bewies Noah Lyles nicht erst in Brüssel. Nur einmal hat er in diesem Jahr über 200 Meter verloren. Und das in starken 19,72 Sekunden hinter dem Diamond League-Gesamtsieger über 400 Meter, Michael Norman (USA; 19,70 sec). Danach gab’s nur noch Siege.

Im Juli in Lausanne wurde Noah Lyles mit 19,50 Sekunden zum viertschnellsten 200-Meter-Läufer der Geschichte hinter Usain Bolt (19,19 sec), Yohan Blake (beide Jamaika; 19,26 sec) und Michael Johnson (USA; 19,32 sec). In Paris triumphierte er vor zwei Wochen in 19,65 Sekunden. Beide Male entthronte er Usain Bolt als Meeting-Rekordler.

Mit Usain Bolt möchte der US-Amerikaner allerdings nicht verglichen werden. „Ich habe großen Respekt vor ihm, aber ich möchte meine eigenen Fußspuren hinterlassen“, sagte Noah Lyles. Trotzdem erinnern sein extrovertiertes Auftreten und der Laufstil an den Sprint-Weltrekordler. Ähnlich wie Usain Bolt zieht auch der 22-Jährige seinen Konkurrenten in der zweiten Rennhälfte auf und davon. Auch wenn in Brüssel Weltmeister Ramil Guliyev (Türkei; 19,86 sec) und der Olympia-Zweiten Andre de Grasse (Kanada; 19,87 sec) den Seriensieger bis auf die letzten Meter forderten.

Manga-Socken dürfen nicht fehlen

Dass Noah Lyles nicht schon 2017 bei der WM für Furore gesorgt hat, ist einer Vernunftsentscheidung geschuldet. Bei seinem Sieg bei der Diamond League in Shanghai Mitte Mai verletzte sich der US-Amerikaner am Oberschenkel und ließ sich intensiv in Deutschland behandeln. Bei den US-Trials für die WM in London  (Großbritannien) sechs Wochen später trat er zwar wieder an, verspürte aber nach dem Vorlaufsieg einen undefinierbaren Druck hinter der Kniescheibe. Er entschloss sich zusammen mit seinen Eltern und Trainer Lance Brauman, nicht zum Halbfinale anzutreten.

Erst zehn Wochen später feierte er eben beim Memorial van Damme in Brüssel sein Comeback und stürmte mit 20 Jahren in 20,00 Sekunden zu seinem ersten von nun drei Diamond League-Gesamtsiegen in Folge über 200 Meter. Vergangenes Jahr in Zürich (Schweiz) triumphierte er mit 19,67 Sekunden im Letzigrund.

Was bei all seinen Siegen nicht fehlen darf, sind seine extravaganten Socken. Die bunten, bis zur Mitte der Wade reichenden Paare zeigen allesamt Szenen der Manga-Serie „My Hero Academia“. In Brüssel waren diese grellgrün mit kleinen abstehenden Segeln. Man darf gespannt sein, für welche Farbe sich Noah Lyles in Doha entscheidet. Gewinnt der Top-Favorit den WM-Titel über 200 Meter, wäre er endgültig in die Fußstapfen von Usain Bolt getreten. Seine Jubelpose nach großen Siegen kann er dann zu seinem ganz eigenen Markenzeichen werden lassen.

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