Glücksgefühle pur: Im Schneetreiben von Naumburg krönte sich Nils Brembach am Samstag nach 2015 zum zweiten Mal zum Deutschen Meister im 20 Kilometer Straßengehen. Der EM-Fünfte siegte in 1:20:48 Stunden mit Olympia-Norm der IAAF und blieb nur sechs Sekunden über seiner Bestzeit. Im Interview spricht der 26-Jährige über seinen jüngsten Triumph, seinen WM-Fahrplan und die Reformen des Weltverbandes.
Nils Brembach, herzlichen Glückwunsch zu dieser starken Leistung. Hatten Sie bei diesen Bedingungen solch' eine Topzeit erwartet?
Nils Brembach:
Absolut nicht. Ich bin früh aufgestanden, habe mich um 5:30 Uhr zum Auftakt locker 2,5 Kilometer bewegt und die Muskeln erwärmt. Ich hätte nicht ansatzweise damit gerechnet, dass es bei diesem Schneetreiben so schnell werden könnte und der Rennverlauf diese Zeit zulässt.
Mit Ihrer Zielzeit haben Sie sich mit Erfüllung der Norm des Weltverbandes IAAF für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio empfohlen. Was ist das für ein Gefühl?
Nils Brembach:
Das gibt mir ein Stück weit Sicherheit, aber ganz sicher sein kann man sich nicht. Man muss trotzdem versuchen, über die Saison, so viele Punkte wie möglich für die Weltrangliste zu sammeln. Das ist auch mein eigener Anspruch, wenn ich in die nächsten Wettkämpfe gehe.
Generell haben die Geher mit starken und schnellen Zeiten überzeugt – dem Wetter zum Trotz.
Nils Brembach:
Es hat sich echt gezeigt, dass das Wetter noch so wild sein kann. Man muss sich mental darauf einstellen und die Bedingungen akzeptieren, dann kann das Rennen trotzdem schnell werden.
Obwohl Sie auf den ersten fünf Kilometern recht langsam begonnen haben...
Nils Brembach:
Die ersten fünf Kilometer waren zum Warmwerden und haben wir im Hinblick auf die Olympia-Norm verbummelt. Danach sind Christopher Linke und ich kontinuierlich bis Kilometer 10 ungefähr ein Vier-Minuten-Tempo gegangen. Dann hat Christopher das Tempo angezogen und ein paar Meter Vorsprung herausgearbeitet, bis ich mich schließlich wieder vorbeigekämpft habe. Die letzten zehn Kilometer konnte ich alle unter der Vier-Minuten-Marke gehen, damit bin ich sehr zufrieden.
Ab welchem Kilometer oder in welchem Moment wussten Sie, das wird heute Ihr Tag?
Nils Brembach:
Ungefähr bei Kilometer 16. Chris musste abreißen lassen, die Lücke zu ihm wurde immer größer. Ab diesem Moment wusste ich, ich muss nicht mehr so stark auf den Meistertitel, sondern mehr auf meine eigene Zeit schauen. Die Olympia-Norm war für mich greifbar, weil ich in der zweiten Hälfte des Wettkampfs jede Runde unter vier Minuten zurückgelegt habe. Das hat mich angespornt.
Es gab eine Schrecksekunde: Fast wären Sie in einer der beiden Wendeschleifen gestürzt.
Nils Brembach:
Ich bin mit einem Bein, obwohl ich recht langsam um die Kurve gegangen bin, ausgerutscht und konnte einen Sturz gerade noch abwenden. Das war ein Moment, der mich wachgerüttelt hat. Die Kehre war wirklich nicht einfach zu gehen. Sie war durch den Schneefall sehr rutschig, so dass man an dieser Stelle sehr viel Tempo rausnehmen musste. Obwohl die Helfer wirklich bemüht waren, die Wasserpfützen wegzukehren, stand teilweise immer noch Wasser auf der Straße. Ich hatte echt Glück im Unglück.
Sie haben sich zuletzt in Südafrika und Mexiko auf die Saison vorbereitet. Im vergangenen Jahr mussten Sie das Trainingslager in mexikanischer Höhe abbrechen. Wie sind Sie in diesem Jahr mit der Höhe klargekommen?
Nils Brembach:
Vor einem Jahr sorgte eine Fehleinschätzung für einen vorzeitigen Abbruch. Wir sind am dritten Tag bis auf 4.400 Höhemeter gewandert. Das habe ich nicht ganz so gut verkraftet. Ich bekam Kopfschmerzen und Symptome der Höhenkrankheit. Nach sieben Tagen bin ich wieder abgereist. Dennoch wollte ich der Höhe in Mexiko noch eine Chance geben. Das Trainingslager verlief diesmal wunderbar. Ich war anfangs skeptisch, weil wir den Fokus aufgrund der Höhe auf Ausdauer und Grundlagen gelegt haben, und nicht auf Schnelligkeit und Tempoeinheiten. Die 20 Kilometer sind doch recht zügig und ich bereite mich meist gern mit zusätzlichen Tempoeinheiten darauf vor. Aber der Trainingsplan ist so perfekt aufgegangen. Zurückgekommen sind wir vor eineinhalb Wochen.
Lässt sich Ihre Topzeit möglicherweise auf das Höhentraining zurückführen?
Nils Brembach:
Laut Theorie haben die meisten Sportler am zehnten Tag nach der Höhe ihren Tiefpunkt. Ich spüre davon nichts. Ich fühle mich seit meiner Rückkehr gut. Ich hatte selbst bei der Rückanpassung keine Probleme, auch nicht mit dem Jetlag. Ein ähnliches System in der Höhe werden wir nutzen, um uns auf die WM in Doha vorzubereiten. Wir werden so zurückfliegen, dass wir am dritten Tag den Wettkampf bestreiten werden.
Wie sieht der Fahrplan bis zur WM aus?
Nils Brembach:
Jetzt werden wir erstmal ein paar Tage regenieren, um dann in die Vorbereitung auf den Europacup einzusteigen. Wir werden dort ein starkes Team an den Start bringen können. Danach gehen wir nochmal etwas aus der Belastung und Intensität raus. Ab Mitte/Ende Juni geht es dann mit der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung auf die WM richtig los. Die Vorbereitung beginnt auf den Belmeken in Bulgarien und endet mit dem gesamten DLV-Lauf-Team im September in Südafrika.
Für reichlich Gesprächsstoff sorgte zuletzt der Beschluss des Leichtathletik-Weltverbandes über weitreichende Änderungen im Gehen, die wichtigste betrifft die Verkürzung der Distanzen. Von den Gehern gab es Proteste gegen die Reform, dennoch wurde sie nun beschlossen. Fühlen Sie Ihre Interessen nicht wahrgenommen?
Nils Brembach:
Es ist vor allem eine Enttäuschung, dass das Council die Meinung der Athleten nicht vertritt. Die Proteste der vergangenen Jahre richteten sich gegen eine Veränderung der Strecken. Dass es jetzt die traditionsreichste Strecke mit den 50 Kilometern getroffen hat, die wohl ab 2022 begraben wird, ist mehr als bedauernswert. Wir sind uns bewusst, dass es zu Veränderungen und zu technischen Anpassungen kommen muss, die den Wettbewerb ein Stück weit objektiver bewerten. Dabei wurde auch festgelegt, dass ab 2022 eine Technologie [Anm. d. Red.: elektronische Einlegesohlen] eingeführt wird, von der man gar nicht weiß, wie sie aussieht, noch wurde sie bisher meines Wissens erprobt. Wenn solch eine Technologie für jeden kleinen Wettkampf nötig ist, dann wird sich das kaum ein Veranstalter leisten können. Die Auswirkungen wären dann auch für den Breitensport immens.
Und auch die 20 Kilometer sind keinesfalls sicher. Die beiden neuen Distanzen werden aus vier Möglichkeiten – 10, 20, 30 und 35 Kilometer – ausgewählt werden.
Nils Brembach:
Ich gehe davon aus, dass es auch die 20 Kilometer nicht mehr lange geben wird und unser Wettkampf ins Stadion auf die Bahn verlagert wird. Zur Debatte stehen dort die 10.000 Meter. Das ist schade, weil wir genügend Bahn-Wettkämpfe haben. Wir gehören zu den Disziplinen, die am nahbarsten sind. Die Zuschauer stehen direkt an der Strecke und der Eintritt zu den Wettkämpfen ist frei. Gerade wenn man sich an Olympia 2012, die WM 2017 in London oder die EM 2018 in Berlin zurückerinnert, wo wir zum Publikumsmagneten avancierten. In Berlin habe ich nicht einmal die Zwischenzeiten meines Trainers gehört, weil es so laut war. Das war schon eine super Atmosphäre.
Sie sprachen Veränderungen beim Gehen an. Was kann man verändern oder zu was wären Sie bereit?
Nils Brembach:
Den Bodenkontakt ein Stück weit objektiver zu bewerten, befürworte ich, weil es für Kommentatoren und Außenstehende bisher schwierig zu beurteilen ist, ob sauber oder unsauber gegangen wird. In dieser Hinsicht wünsche ich mir vom Weltverband mehr Informationen darüber, wie eine technische Lösung in die Realität umgesetzt werden soll. Meiner Meinung nach hätte man zuerst diese objektive Bewertung der Gehtechnik verändern sollen als die Streckenlängen.
Ein Argument der Reformer lautet, dass das Gehen mit kürzeren Strecken für Fans und junge Athleten attraktiver werden kann. Zweifel sind da. Auch bei Ihnen?
Nils Brembach:
Die Wettkämpfe werden kürzer gemacht, damit sie schneller und spannender werden. Daneben setzt die IAAF einen technischen Kampfrichter ein, der die Geschwindigkeitszunahme eindämmen wird – das widerspricht sich eigentlich. Ich denke, dass sich ab 2021 alle Geher auf eine Technikumschulung einstellen müssen. Egal, was jetzt festgelegt wird, es wird technisch ein komplett neuer Stil entstehen. Das wird eine schwierige, aber auch spannende Zeit für uns.
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