Auch wenn es bei den Deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften noch nicht zum Titel reichte: Lisa Marie Kwayie (Neuköllner Sportfreunde) gilt als eines der größten Sprinttalente hierzulande. Die 18-jährige Berlinerin ist außerdem ein gutes Beispiel dafür, dass man es auch in kleineren Vereinen bis an die Spitze schaffen kann, wenn alle an einem Strang ziehen.
Erst kürzlich hat Sprinterin Lisa Marie Kwayie einen neuen Sponsor an Land gezogen. Seit Neuestem wird die Berlinerin vom Hauptstadtflughafen BER finanziell unterstützt. Es dürfte das erste Mal sein, dass Geld dort gut angelegt wurde. Das Großprojekt sollte eigentlich längst fertig sein, doch wegen diverser Baumängel hat bis heute kein einziger Flieger abgehoben. Die Kosten gehen in die Milliarden, ohne dass sich die Situation wirklich verbessert. Lisa Marie Kwayie aber ist für den BER eine Investition in die Zukunft.
Die 18-Jährige zählt zu den größten Sprinttalenten in Deutschland. Zum Abschluss des Winters hätte sie Ende Februar eigentlich beim U20-Länderkampf in Lyon laufen sollen, den das DLV-Team mit 201,5 Punkten gegen Gastgeber Frankreich (172,5) und Italien (171) gewann. Wegen Rückenbeschwerden sagte die Berlinerin ihre Teilnahme jedoch kurzfristig ab. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, um die Vorbereitung auf den Sommer nicht zu gefährden.
Erst Kirche, dann Training
Lisa Marie Kwayie wurde in Ghana geboren, mit drei Jahren zog sie mit ihrem Vater nach Berlin. Als sie 13 war, kam sie über eine Sichtungsmaßnahme zu den Neuköllner Sportfreunden. Ihre Begabung für die Sprintstrecken war offensichtlich. Wettkämpfe absolvierte sie anfangs keine – die Familie ist sehr gläubig, das Wochenende gehörte der Kirche. Erst als ihre Mutter merkte, wie wichtig ihrer Tochter der Sport war, durfte sie auch samstags und sonntags die Spikes schnüren.
Bis heute ist Lisa Marie Kwayie ihrem ersten Verein treu geblieben. Auch ihr Coach ist noch immer derselbe: Frank Paul. „Ich kann mir gar keinen anderen Trainer vorstellen“, sagt die Schülerin. Ein Wechsel zu einer der Sprinthochburgen kommt für sie derzeit nicht infrage. Bei den Neuköllner Sportfreunden bemüht man sich sehr um professionelle Rahmenbedingungen für die beste Athletin.
Seit Kurzem gibt es sogar eine Physiotherapeutin, die sich um Kwayie kümmert; außerdem hat Frank Paul bei ihrer Schule angefragt, ob sie künftig an einem oder zwei Tagen auch vormittags trainieren kann. Bislang steht die Berlinerin nur nachmittags auf dem Sportplatz, fünf- bis sechsmal die Woche.
Tipps von Valerij Bauer
Vor allem aber ist Frank Paul in ständigem Austausch mit anderen Trainern. Er hat einen guten Draht zum Bundestrainer Thomas Kremer, auch mit Valerij Bauer, dem Coach von Verena Sailer (MTG Mannheim), versteht er sich gut. Als er ihn um Tipps bat, wie sein Schützling noch schneller werden könnte, schickte ihm Bauer eine ausführliche Dokumentation seiner Trainingslehre.
„Schnelle Sprintzeiten erreicht man über die Qualität der Bewegung“, ist Frank Paul überzeugt. Lisa Marie Kwayie hat Valerij Bauers Hinweise in diesem Winter berücksichtigt, ihr Laufstil ist noch lockerer, unverkrampfter geworden – fast wie bei ihrem Vorbild, der viermaligen Olympiasiegerin Allyson Felix (USA). „Sie hat sich bislang jedes Jahr verbessert“, sagt ihr Trainer. „Es macht einfach Spaß, mit ihr zusammenzuarbeiten.“ Noch hat sich Lisa Marie Kwayie nicht entschieden, auf welche Strecke sie sich künftig konzentrieren will – 100 Meter oder 200 Meter.
Auf der längeren Distanz ist sie zwar erfolgreicher, doch die kurze Sprintstrecke läuft sie lieber. „Bei den 200 Metern kann hinten raus einfach noch so viel passieren“, sagt sie. So wie bei den Deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften vor zweieinhalb Wochen in Neubrandenburg. Nach der schnellsten Zeit im Vorlauf – 23,72 Sekunden, eine neue persönliche Bestleistung – ging Kwayie als Favoritin ins Finale, wurde dort jedoch auf der Zielgeraden noch von Lisa Mayer (LG Langgöns/Oberkleen) abgefangen.
Berlins Nachwuchssportlerin des Jahres
Zuvor hatte sie schon über 60 Meter viel Pech gehabt: Ihr Vorlauf wurde wegen eines Fehlstarts, der jedoch nicht zurückgeschossen worden war, wiederholt; zum zweiten Rennen trat Kwayie dann nicht mehr an, um sich für die 200-Meter-Entscheidung zu schonen. Insgesamt ein schwieriges Wochenende für die 18-Jährige, die einen Tag später aber doch noch jubeln durfte.
Für ihre Erfolge im vergangenen Jahr – zwei Medaillen bei den Deutschen Jugendmeisterschaften und Bronze bei der U20-WM mit der Staffel – wurde die Sprinterin zu Berlins Nachwuchssportlerin des Jahres gewählt.
Endlich das erste Gold?
Das große Ziel für dieses Jahr ist die U20-EM in Eskilstuna (Schweden; 16. bis 19. Juli), wo Lisa Marie Kwayie sowohl mit der Staffel als auch im Einzel an den Start gehen möchte. Außerdem will sie im Sommer bei den Deutschen Jugendmeisterschaften endlich den Titel gewinnen, der ihr in Neubrandenburg noch verwehrt blieb.
Trainer Frank Paul hält eine Steigerung auf unter 11,50 Sekunden über 100 Meter beziehungsweise unter 23,50 Sekunden über die doppelte Distanz für realistisch. Damit wäre Kwayie ähnlich schnell wie die im Winter verletzte Gina Lückenkemper (LAZ Soest), die 2014 die Schlagzeilen beherrschte.
Ansonsten haben die beiden Sprinterinnen allerdings wenig gemeinsam.
Lückenkemper ist eher extrovertiert, sie spielt mit der Kamera; Kwayie dagegen meidet das Rampenlicht. Für sie ist der schönste Moment eines Wettkampfes die Fahrt nach Hause, wenn alles überstanden ist. „Ich mache mir vor dem Rennen zu viele Gedanken“, sagt sie. Eine Schwäche, an der sie arbeiten will. Am liebsten mit weiteren rasanten Auftritten auf der Bahn, die über jeden Zweifel erhaben sind.