Der frühere Spitzensportler Oscar Pistorius schoss mit großem Kaliber vier mal durch eine Toilettentür. Jetzt sagt das Berufungsgericht, dass er wegen der Tötung seiner Freundin länger ins Gefängnis muss. Er habe töten wollen. Das Gericht nannte den Fall „eine Tragödie vom Ausmaß eines Shakespeare-Stücks“.
Weihnachten kann der frühere Top-Sportler Oscar Pistorius noch im Kreise seiner Familie verbringen. Doch nächstes Jahr wird es mit dem Hausarrest in der komfortablen Villa seines Onkels in Pretoria vorbei sein. Stattdessen wartet wieder das Gefängnis. Ein Richter des südafrikanischen Berufungsgerichts beschrieb den tiefen Fall des Oscar Pistorius am Donnerstag als eine Tragödie, die so auch aus der Feder von William Shakespeare stammen könnte.
Für die fünf Richter in Bloemfontein ist der Fall klar: Der geübte Schütze Pistorius, der am Donnerstag nicht im Gericht war, nahm den Tod eines Menschen billigend in Kauf, als er am Valentinstag 2013 vier großkalibrige Schüsse durch die geschlossene Tür einer Toilette feuerte. Und damit seine damalige Freundin Reeva Steenkamp tötete. „Er wird ein internationaler Star. Er trifft eine junge Frau, die wunderschön und ein Model ist. Die Romanze erblüht, bis er, ironischerweise am Valentinstag, ihr Leben nimmt“, fasste Richter Eric Leach zusammen. „Dieser Fall ist eine Tragödie vom Ausmaß eines Shakespeare-Stückes.“
Aus fahrlässiger Tötung wird Mord
Der Krimi um den wohl berühmtesten Behinderten-Sportler löste weltweit großes Aufsehen aus. In Südafrika empfanden viele Menschen das Urteil der ersten Instanz zu fünf Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung als zu milde. In der schwarzen Bevölkerungsmehrheit sahen viele darin den Beweis, dass vermögende Weiße vor Gericht immer noch besser wegkommen als Schwarze. Die Frauenliga der Regierungspartei ANC kritisierte das milde Urteil der ersten Instanz scharf. Pistorius wurde schon im Oktober - nach nur einem Jahr Haft - in den Hausarrest entlassen. Die Richterin der ersten Instanz, Thokozile Maspia, hatte seinen Beteuerungen Glauben geschenkt, wonach er hinter der Tür einen Einbrecher wähnte. Er habe keine Tötungsabsicht gehabt, sondern in Notwehr geschossen, beteuerte Pistorius vor Gericht.
Das oberste Berufungsgericht in Bloemfontein jedoch spricht jetzt von „grundsätzlichen Irrtümern“ im Urteil der ersten Instanz. Die fünf Richter befanden Pistorius am Donnerstag des „Mordes“ schuldig, was im deutschen Rechtssystem am ehesten einer Verurteilung wegen Totschlags entspricht. „Er muss die mögliche Todesfolge seines Handelns vorausgesehen haben“, sagte Richter Leach. Das Urteil vom Oktober 2014 ist damit hinfällig. Das Gericht der ersten Instanz wird nächstes Jahr das neue Strafmaß festlegen. Auf weniger als 15 Jahre Haft kann der 29-Jährige nur dann hoffen, wenn das Gericht besonders mildernde Umstände erkennt. Pistorius' Familie teilte lediglich mit, man nehme das Urteil aus Bloemfontein zur Kenntnis.
Nationalheld in Südafrika
Pistorius waren als Kind wegen eines Gen-Defekts beide Unterschenkel amputiert worden. Doch trotz seiner Behinderung legte er eine steile Sport-Karriere hin, in Südafrika avancierte der 400-Meter-Läufer zum Nationalhelden. Seine Beziehung zu dem Model Reeva Steenkamp brachte ihn dann auch regelmäßig in die Klatschspalten der Zeitungen. Doch die Schüsse vom 14. Februar 2013 bereiteten seiner Sportkarriere ein jähes Ende. Pistorius startete 2012 mit seinen J-förmigen Karbon-Prothesen als erster beinamputierter Sportler der Olympia-Geschichte bei den Olympischen Spielen. Er wurde Achter mit der Staffel über 4x400 Meter und kam als Einzelstarter bis ins 400-Meter-Halbfinale. Bei den Paralympics holte er Doppel-Gold.
Ein Knackpunkt der Gerichtsverhandlung in erster und zweiter Instanz war, ob Pistorius die Todesfolge seiner Handlung voraussehen konnte, ein Fall von sogenanntem „dolus eventialis“. Die Berufungsinstanz sah dies nun als erwiesen an. Im ersten Verfahren seien wichtige Beweise nicht ausreichend berücksichtigt worden, darunter auch ein ballistisches Gutachten, wonach keine Person in der Toilette die vier Schüsse hätte überleben könnnen. Damit ist Richter Leach zufolge auch unerheblich, ob Pistorius gezielt seine Freundin erschießen wollte, oder den von ihm hinter der Toilettentür vermuteten Einbrecher. „Eine Person, die auf einem belebten Platz eine Bombe zündet, wird die Identität ihrer Opfer wahrscheinlich nicht kennen, aber sie wird trotzdem die Absicht haben, mit der Explosion zu töten.“
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)