| Interview

Andreas Hofmann: „Ich hatte immer das Ziel vor Augen, dass ich noch einen draufsetzen kann“

© Gladys Chai von der Laage
Andreas Hofmann (MTG Mannheim) zählt zur goldenen Generation im deutschen Speerwurf. Mit seiner Bestleistung von 92,06 Metern liegt er auf Platz vier der ewigen deutschen Bestenliste, 2018 wurde er Vize-Europameister. Mehrmals kämpfte er sich nach schweren Verletzungen wieder in die Weltspitze zurück, aber jetzt ist Schluss. In einem großen Interview blickt der 32-Jährige auf die Achterbahnfahrt seiner Karriere zurück, gibt die eine oder andere Anekdote preis und verrät, wie es für ihn weitergehen könnte.
Silke Bernhart

Andreas Hofmann, Sie haben in der vergangenen Woche Ihr Karriere-Ende verkündet. Eine Kopf- oder eine Bauch-Entscheidung?

Andreas Hofmann:
In erster Linie Kopf. Letztendlich hat die Vernunft gesiegt. Aber ein bisschen Bauch war auch dabei: die Angst, dass man eine falsche Bewegung macht und es wieder ins Knie reinziehen könnte, oder in irgendein anderes Gelenk oder einen Muskel.

Im Sommer 2023 haben Sie sich eine schwere Knieverletzung zugezogen. Was ist seitdem passiert?

Andreas Hofmann:
Ich wurde recht zügig operiert, und im ersten halben Jahr hat alles gut funktioniert. Aber als wir kurz davor standen, wieder mit dem Ball zu werfen, hat es während einer Kniebeuge in die Muskulatur reingezogen. Das war kurz vor Weihnachten. Ich war froh, dass ich noch einen MRT-Termin bekommen habe und dass ein Orthopäde noch mal draufgeschaut hat. Er hat gesagt, es könnte was mit dem Meniskus sein, im besten Fall eine Reizung, im schlimmsten Fall ein neuer Riss. Zwei Wochen habe ich das Knie ruhig gehalten, aber ich habe gemerkt, da stimmt was nicht – und dann habe ich mich an die Worte des Arztes nach der ersten OP erinnert: Es kann sein, dass der Meniskus nach einem halben Jahr wieder muckt, oder erst nach zehn Jahren. Bei mir war es leider ein halbes Jahr.

Es gab also eine zweite Operation?

Andreas Hofmann:
Ja, ich hatte mir schlussendlich zwei kleine Risse zugezogen, einen im Innen- und einen im Außenmeniskus. Mitte Januar wurde ich ein zweites Mal operiert. Und diese OP hat mir rückblickend den Zahn gezogen. Im ersten Trainingslager hatte ich noch ein richtig gutes Gefühl, weil es stetig bergauf ging, aber dann haben die Leistungen stagniert. Der Speer flog nicht weiter, ich konnte keinen längeren Anlauf machen und im Kraftraum auch nichts mehr draufpacken. Die Schwellung von der zweiten OP ging einfach nicht aus dem Knie raus.

Trotzdem haben Sie an einem Start bei der DM Ende Juni in Braunschweig festgehalten…

Andreas Hofmann:
Ich habe mit dem medizinischen Team die Optionen besprochen. Das Knie wurde im zweiten Trainingslager punktiert und die Schwellung rausgezogen. Ich habe mir eine Woche Pause genommen. Mit meinem Sportpsychologen gesprochen. Und mir dann gesagt: Ich setze alles auf eine Karte. Entweder es klappt bei der DM mit der Olympia-Quali – oder nicht. Aber zwei Wochen vorher musste ich die Saison komplett abbrechen, weil es nicht ging. Es war zu viel für den Körper und für den Kopf.

Der Traum von der Olympia-Teilnahme hat sich damit in Ihrer Karriere nicht erfüllt – die Nominierung für Tokio hatten Sie 2021 knapp verpasst. Anschließend haben Sie gesagt, Sie haben sich die Wettbewerbe dort nicht angeschaut. Wie war es dieses Mal?

Andreas Hofmann:
In Tokio war ich Ersatzmann und habe mich fit gehalten, bis die anderen im Flieger saßen. Da war ich mit manchen Entscheidungen nicht einverstanden und habe rückblickend ein halbes Jahr gebraucht, um das zu verarbeiten. Das war eine andere Situation. Für Paris hatte meine Freundin Tickets. Und nachdem ihre Begleitung ausgefallen ist, habe ich gesagt: Dann komme ich mit – aber unter der Voraussetzung, dass wir uns keine Leichtathletik anschauen. Wir waren beim Volleyball der Frauen. Wir waren beim Golf. Und sind ganz spontan noch nach Lille gefahren, um da das Handball-Halbfinale Deutschland gegen Spanien zu schauen. Das war toll, da hatten wir eine schöne Zeit.

Wann und wie fiel die Entscheidung, dass Sie nicht an den Speerwurf-Anlauf zurückkehren?

Andreas Hofmann:
Es stand vorher fest, dass ich nach der Saison sehen muss, wie es weitergeht. Spätestens Mitte September wollte ich mich hinsetzen und überlegen, was ich mache. Dafür habe ich mir dann bis Anfang Oktober Zeit genommen. Ich habe mit Physios, Ärzten, Sponsoren und jeglichen Personen, die mich in meiner Karriere unterstützt haben, gesprochen. Es hat mir gut getan zu wissen, was sie davon halten, auch wenn es schlussendlich meine Entscheidung war. Dann bin ich am Samstag vor einer Woche aufgestanden, habe mich noch mit ein bisschen Gartenarbeit abgelenkt, mit meiner Freundin Mittag gegessen und ihr gesagt: „Ich habe mich entschieden. Ich werde den Speer an den Nagel hängen.“

Das klingt nach einer schweren Entscheidung.

Andreas Hofmann:
Ja, die war es. Einerseits bin ich froh, dass ich sie getroffen habe und dass ich weiß, wie es in Zukunft bei mir weitergehen kann. Auf der anderen Seite habe ich jetzt 18 Jahre Leistungssport gemacht, und das Feuer brennt noch – nur nicht mehr so groß wie vorher. Und wenn man noch mal ein Stück Holz draufschmeißt, dann geht es wahrscheinlich eher aus, als dass man es neu entfacht.

2018 war Ihr erfolgreichstes Jahr: vier 90-Meter-Wettkämpfe, deutscher Meistertitel mit Meisterschaftsrekord, EM-Silber und der Sieg in der Diamond League. War es auch Ihr schönstes?

Andreas Hofmann:
Die sportlich schönste Erfahrung war 2017 die Universiade in Taipeh. Nicht nur der Wettkampf mit dem berauschenden Erlebnis im Stadion, sondern die gesamten zwei Wochen vor Ort. Die Anekdote dazu: Vor dem letzten Versuch hat unser dortiger Trainer Winfried Heinicke gesagt, ich soll den Speer zwei Grad tiefer anstellen, dann werfe ich zum ersten Mal die 90 Meter. Ich habe ihn angeschaut und gesagt: Okay, mache ich. Und habe dann gefühlt ins gleiche Loch geworfen [91,07 m] wie vorher Cheng Chao-Tsun aus Taipeh [91,36 m]. Das Stadion war komplett still – weil alle wussten, das könnte weiter gewesen sein. Wenn ich daran denke, kriege ich schon wieder Gänsehaut.

Das war eigentlich der Anfang der Saison 2018, weil sich das Gefühl, das ich bei dem Wettkampf entwickelt habe, durch die gesamte Vorbereitung und das gesamte folgende Jahr gezogen hat, bis zum Diamond-League-Sieg. Das hat mich komplett beflügelt!

Leider lief es in Ihrer Karriere längst nicht immer so rund. Gleich mehrere schwere Verletzungen haben Sie immer wieder zu längeren Pausen gezwungen. Welche Erinnerungen bleiben im Vordergrund?

Andreas Hofmann:
Es ist so Einiges passiert! Prägend war schon 2009 der Titel bei der U20-EM und vorher die Junioren-Gala in Mannheim, bei der ich fast den damaligen deutschen U20-Rekord geworfen habe. Das war mein Sprungbrett in die große internationale Karriere. Auch wenn sie erst drei Jahre später mit dem ersten 80-Meter-Wurf weiterging, weil ich lange verletzt war. Dann folgte 2012, nachdem ich knapp die Olympia-Quali verpasste hatte, die erste große Ellbogen-OP. Aber ich habe mich immer wieder zurückgekämpft.

Das hat man 2014 gesehen, als ich konstant über 80 Meter geworfen habe und in Braunschweig-Team-Europameister geworden bin – erster Einsatz in der A-Nationalmannschaft und dann gleich so ein großes Ding. Gefolgt von Platz sechs bei der WM 2015, mein bestes internationales Einzelergebnis. Zwischen 2015 und 2016 hatte ich drei Muskelfaserrisse im Oberschenkel, und es hat 2016 wieder nicht mit den Olympischen Spielen geklappt. 2017 war sehr durchwachsen, zwar 89 Meter und Bestleistung in Offenburg, aber bei der WM in London hatte ich mir mehr erhofft als Platz acht. Dann die Universiade in Taipeh. Und meine beste Saison 2018.

… aber das Auf und Ab hat sich weiter fortgesetzt…

Andreas Hofmann:
Das Jahr 2019 ist gut gestartet und ich habe gedacht: Okay, es geht so weiter. Aber jede Saison ist anders, ich war nicht mehr der Jäger, sondern der Gejagte. Die WM war sehr spät, und auch wenn ich kurz vorher im Training meine Leistung wieder gebracht hatte, konnte ich das in Doha nicht zeigen. Ich bin am Tag der Quali aufgestanden. Habe meine Füße vor das Bett gesetzt. Und wusste im ersten Moment: Es wird heute schwer. Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. Aus diesem mentalen Loch kam ich an dem Tag einfach nicht raus.

So etwas wollte ich nicht noch mal erleben. Also habe ich mich für die Olympischen Spiele 2020 noch breiter aufgestellt, mir noch mehr Leute ins Boot geholt, Ärzte, Physios, habe angefangen, richtig mit einem Sportpsychologen zusammenzuarbeiten… Und dann kam Corona. Mit der Situation kam ich persönlich nicht gut zurecht. Zwar konnte ich im August 2020 in Turku mit 85 Metern zeigen, dass mit mir zu rechnen ist. Aber dann hat es mir zum zweiten Mal in den Ellbogen reingezimmert. Ich wollte lange nicht wahrhaben, dass der schon wieder kaputt ist! Auch wenn ich mich 2022 noch mal zurückgekämpft habe, sollte es irgendwie nicht sein. Da ist es mir vor der WM in den Rücken reingezogen und zur EM wurde ich nicht mehr richtig fit.

Kaum ging es bei mir bergauf, ging es wieder bergab.

Für Außenstehende haben dennoch immer Ihr Optimismus und Ihre Zuversicht dominiert. Täuscht dieser Eindruck?

Andreas Hofmann:
Natürlich bleibt alles im Kopf – sowohl die Erfolge als auch die Verletzungen. Aber ich bin eher ein fröhlicher Mensch und Optimist. Ich hatte währenddessen nie Zweifel oder habe gedacht: Jetzt geht gar nichts mehr. Manch andere hätten da wahrscheinlich schon zweimal aufgehört, aber ich hatte immer das Ziel vor Augen, dass ich noch einen draufsetzen kann. Das steckt irgendwie in mir drin. Hätte es mehr sein können, ohne die Verletzungen? Vielleicht. Aber das weiß man nicht. Von daher mache ich mir darüber auch keine Gedanken.

Neben emotionalen Momenten, sportlichen Highlights und Medaillen hinterlassen Sie auch ein Markenzeichen: Ihr Ausspruch „hammerfettbombekrass“ hat es weit gebracht…

Andreas Hofmann:
Dazu gibt es auch eine Anekdote! Ich war mit ein paar Kumpels was trinken und habe schon gemerkt, dass ein paar junge Männer immer zu mir schauen. Als wir dann Richtung Ausgang gegangen sind, ist der eine auf mich zugekommen, ganz dicht an mich heran, und sagt dann zu mir: „Hammerfettbombekrass.“ Ich habe ihn verwirrt angeschaut, und er meinte: „Ja, du kamst doch bei TV Total!“ Er hat mich gar nicht als Sportler gekannt, er hat nur bei TV Total den kurzen Einspieler gesehen, der auch schon drei Monate her war. Ich musste so lachen!

Sie sind 20 Jahre für die MTG Mannheim gestartet. Welche Personen haben Sie im Verlaufe Ihre Karriere am meisten geprägt, wem gilt rückblickend Ihr Dank?

Andreas Hofmann:
In erster Linie bin ich meinen Eltern sehr dankbar. Sie haben mich damals im Alter von 12, 13 Jahren dreimal pro Woche nach Mannheim gefahren, 33 Kilometer einfache Strecke. Unser ganzer Lebensmittelpunkt hat sich verschoben, damit der kleine Andy aus Kirrlach vielleicht eine große Leichtathletik-Karriere vor sich haben kann. Es ist ein Privileg, Eltern zu haben, die einen in jeglicher Hinsicht unterstützen. Und natürlich ist da mein Heimtrainer Lutz Klemm, der mich über 18 Jahre begleitet hat. Spontan fällt mir niemand ein, der so lange bei einem Trainer trainiert hat. Er hat sämtliche Höhen und Tiefen mit mir durchlebt.

Auch dem DLV bin ich dankbar, speziell Boris Obergföll. Er hat sich schon 2009 nach dem 77-Meter-Wurf bei der Junioren-Gala bei mir gemeldet. Damals ist mir als kleiner 17-jähriger Junge schier die Kinnlade runtergefallen, dass direkt der Bundestrainer anruft! Er hat mir immer die Stange gehalten, mich immer unterstützt und nie abgeschrieben wie manch andere. Das muss ich ihm zugutehalten.

Außerdem hat die MTG Mannheim in meiner Karriere eine große Rolle gespielt. Ich konnte mich immer auf den Verein verlassen, auch in Zeiten, in denen es nicht rosig aussah. Der Verein hat mir immer den Rücken freigehalten, besonders in Person von Rüdiger Harksen, der mittlerweile ein sehr guter Freund von mir und meiner Familie ist.

Ein besonderer Dank gilt auch meinen Sponsoren und der Deutschen Sporthilfe, die es mir ermöglicht haben, dass ich mich während meiner Karriere voll auf den Sport konzentrieren konnte. Ohne sie hätte ich diesen Sport so nicht ausüben können.

Beginnt jetzt die Zeit, dem Verein und dem Sport etwas zurückzugeben? Ihre Studienabschlüsse, ein Bachelor in Sportwissenschaft und der Master in Management und Leadership, könnten darauf schließen lassen!

Andreas Hofmann:
Mein Wunsch wäre natürlich, beide Disziplinen zusammenzubringen – und in Richtung Sportmanagement zu gehen. Das steht aber alles noch in den Sternen, ob zum Beispiel auf Vereins- oder Verbandsebene, das wird man dann sehen. Ich bin im Rhein-Neckar-Kreis mittlerweile ganz gut vernetzt und würde auch gerne zusammen mit meiner Freundin in der Region bleiben. Da werde ich in der nächsten Zeit meine Fühler ausstrecken. Nur als Trainer an vorderster Front sehe ich mich hauptberuflich nicht. Vielleicht ehrenamtlich, in der Kinder- und Jugend-Leichtathletik bei der MTG. Es wäre optimal, beruflich etwas zu finden, in das ich genauso viel Leidenschaft reinstecken kann wie in den letzten Jahren in den Speerwurf.

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