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Vera Coutellier – Mitten im Berufsalltag und ganz oben auf dem DM-Podest

© Gladys Chai von der Laage
Bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig haben im zurückliegenden Sommer acht Athletinnen und Athleten ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen. Für einige kam das überraschend, andere blicken trotzdem nicht nur zufrieden auf die Saison zurück. Wir stellen sie alle vor, heute Mittelstrecklerin Vera Coutellier (ASV Köln).
Jan-Henner Reitze

Vera Coutellier
ASV Köln

Bestleistung: 

1.500 Meter: 4:09,84 min (2023)

Erfolge:

Silber Cross-EM 2017 (U23-Mannschaft)
Bronze Cross-EM 2013 (U20-Mannschaft)
Deutsche Meisterin 2024

Auf der Zielgeraden des 1.500-Meter-Finals der DM in Braunschweig hat sie ihre Chance als Jägerin der Favoritin genutzt und ist zu ihrem ersten nationalen Einzeltitel überhaupt gespurtet. Auch in den Nachwuchsklassen hatte Vera Coutellier noch nie ganz oben auf dem DM-Podest gestanden. Seit Kindheitstagen gehört Laufen zu ihrem Leben dazu, zuerst neben der Schule, dann neben dem Studium und mittlerweile neben dem Beruf als Zahnärztin. Zum Training beim ASV Köln zu gehen ist nach mittlerweile 20 Jahren zur vertrauten Routine geworden, der Verein ein fester Bestandteil des Lebens.

Das noch näher stehende Umfeld – insbesondere Freund und Familie – sind einerseits die größten Fans, aber auch die größten Unterstützer der 29-Jährigen. „Ich habe vollste Rückendeckung, dafür bin ich sehr dankbar“, erklärt die Deutsche Meisterin. „Ich fahre morgens früh los, bin erst spät zu Hause und bekomme dann meistens noch etwas gekocht.“

Dass es nach viermal DM-Silber in diesem Sommer sogar mit Gold geklappt hat, brachte zusätzliche Aufmerksamkeit. „Noch mehr Leute haben mitbekommen, was ich sportlich mache“, erzählt die Mittelstrecklerin. „Als ich am Montagmorgen nach dem DM-Wochenende in die Praxis gekommen bin, gab es Blumen und alle haben mir gratuliert.“ Dieser Erfolg ist auch eine Bestätigung, dass es sich gelohnt hat, auch ohne den großen internationalen Durchbruch, dem Sport treu zu bleiben.

Ohne Umwege zum Laufen

In ihrer Kindheit ging die Kölnerin regelmäßig mit ihrer Mutter joggen. Die ermunterte ihre damals zehnjährige Tochter im Jahr 2005 dann auch, es doch einmal in einem Leichtathletik-Verein zu probieren. „Der ASV Köln war dann eine logische Adresse.“ Dort weckte Anne Marxen als erste Trainerin den Spaß am Vereinssport. Leidenschaft für andere Disziplin entwickelte sich allerdings nicht so richtig. „Werfen und Springen war nichts für mich. Ich bin schon immer am liebsten gelaufen und so wurde das Training auch früh zu einem reinen Lauftraining. Blockmehrkämpfe habe ich nicht gemacht.“

Der langjährige ASV-Trainer Jürgen Jaenisch, verstorben im Jahr 2020, lenkte das Training in leistungsorientierte Bahnen. Im Jahr 2010 legte die damalige W15-Athletin die 800 Meter in 2:17,28 Minuten und die 2.000 Meter in 6:44,72 Minuten zurück und stand damit jeweils unter den Top 15 der DLV-Bestenliste ihrer Altersklasse. „Da habe ich erstmals gemerkt, dass ich etwas erreichen kann mit dem Laufen.“

Sportliches Zuhause bei Henning von Papen

In der Gruppe von Henning von Papen fand die Nachwuchsathletin dann endgültig ihr sportliches Zuhause und es gelang der Anschluss an die erweiterte nationale Spitze. „Es ging nicht mit Riesenschritten voran, aber ich bin doch Stück für Stück in den Leistungssport hineingewachsen.“

Bei der Jugend-DM 2011 stand die damalige U18-Athletin über 3.000 Meter (9:58,70 min) als Dritte erstmals auf nationaler Ebene auf dem Podest. Distanzen bis zum 10 Kilometer-Straßenlauf gehörten zum Wettkampf-Repertoire, im Winter auch Crossläufe. In dieser Disziplin qualifizierte sich die damals 18-Jährige für ihren ersten Start im Nationaltrikot und gewann bei der Cross-EM 2013 Bronze mit der Mannschaft. Zur Hauptstrecke wurden allerdings die 1.500 Meter, über die sie 2014 Silber bei der Jugend-DM (4:37,93 min) gewann.

Studium und Sport verbunden

Nach ihrem Abitur wollte Vera Coutellier gern in ihrer Trainingsgruppe bleiben, gleichzeitig aber auch ihr Wunschstudium in Zahnmedizin aufnehmen. „Die Schule war bei mir immer ein Selbstläufer, da dachte ich, mit dem Studium geht das genauso weiter.“ Rückblickend weiß sie heute, dass es ein Glücksfall war, dass sie auf Anhieb ausgerechnet in Köln ihren Studienplatz bekam. „Ich hatte mich nur in der Umgebung beworben.“

Das Studium mit dem Sport zu verbinden, entpuppte sich doch als größere Herausforderung. „Viele Kurse waren vorgegeben, ich hatte nicht so viele Freiheiten wie in anderen Studiengängen. Dank der Unterstützung meines Studien-Koordinators konnte ich einige Kurse vorziehen oder schieben.“ Die Zeit als Assistenzärztin in 40-Stunden-Vollzeit und dazu noch Training „war hart“. Aber der Spaß und sportliche Aufwärtstrend ging nicht verloren. Seit mittlerweile zwei Jahren arbeitet die 29-Jährige 30 Stunden pro Woche in einer Zahnarztpraxis. „Das lässt sich mit etwas Planung gut mit dem Sport verbinden.“

Sportlich verbesserte die Zahnärztin ihre Bestzeit von 4:26,12 Minuten im Jahr 2016 immer weiter bis auf 4:09,84 Minuten im vergangenen Jahr. 2017 gab es bei der Cross-EM, bei der die Kölnerin bisher insgesamt viermal teilgenommen hat, mit Mannschafts-Silber noch einmal Edelmetall in der U23. 2019 begann eine Serie von vier DM-Silber-Medaillen über 1.500 Meter nacheinander. „Das war überraschend für mich. Ich hatte nie gedacht, einmal eine DM-Medaille bei den Erwachsenen zu holen.“ In der Halle gab es 2022 und 2024 jeweils DM-Bronze.

Schwerer Verlust

Eine schwere Zeit durchlebte die leidenschaftliche Läuferin gemeinsam mit ihrer Trainingsgruppe und ihrem Verein, als Henning von Papen schwer erkrankte und Anfang 2022 verstarb. „Das war für uns alle ein großer Verlust.“ Zuerst übergangsweise begleitete Moritz Elze die Einheiten der Gruppe und übernahm schließlich komplett Betreuung und Trainingsplanung. „Ich kannte ihn noch als Athlet von Henning. Er macht einen tollen Job und auch menschlich ist eine enge Verbindung gewachsen“, erzählt Vera Coutellier.

Für die erfolgreiche Arbeit im Laufbereich beim ASV Köln stehen auch die DM-Titel in der Halle der 3x800-Meter-Staffel der Frauen in den Jahren 2020, 2023 und 2024. Jeweils als Schlussläuferin trug Vera Coutellier dabei das Staffelholz als Erste über die Ziellinie. Ihre Gruppe nennt sie als wichtigen Aspekt, der sie auch während der Studienjahre beim Sport gehalten hat. „Das macht einfach mega viel Spaß. Wenn ich allein trainieren würde, wäre das etwas anderes.“

DM-Titel Höhepunkt des zurückliegenden Sommers

Der zurückliegende Sommer brachte eine Reihe solider Rennen im Bereich von 4:12 Minuten. Ein Ausrutscher in Richtung Bestzeit ließ aber auf sich warten. Es war das DM-Finale, das zum Highlight der Saison wurde. Der Rennverlauf war perfekt für Vera Coutellier, die das Tempo zu Beginn mitgehen konnte und dran blieb, als Favoritin Nele Weßel (TV Waldstraße Wiesbaden) nach der Hälfte des Rennes die Initiative übernahm und sich an die Spitze setzte. Auf der Zielgeraden konnte die Kölnerin die größeren Reserven mobilisieren und sich an Nele Weßel (4:12,82 min) vorbeikämpfen. In 4:12,60 Minuten, entsprechend ihrem Leistungsbereich der Saison, lief die viermalige Vize-Meisterin zu ihrem ersten DM-Gold. „Ich habe an meine Chance geglaubt und sie nutzen können.“

Nach ihrem bisher größten Triumph der Karriere probierte sich die Läuferin im Juli in Ninove (Belgien) erstmals an den 3.000 Metern Hindernis. „Die wollte ich schon immer einmal ausprobieren und da es wegen der Olympischen Spiele wenig andere Startmöglichkeiten gab, habe ich es versucht.“ Es kam Rang sechs und eine Zeit von 10:07,39 Minuten heraus. „Das natürliche Talent für den Wassergraben habe ich nicht. Die Hindernisse werden nicht meine Hauptstrecke werden. Aber es hat Spaß gemacht und ich schließe nicht aus, wieder über diese Distanz an den Start zu gehen.“

Die 1.500 Meter sollen aber auch im kommenden Jahr im Mittelpunkt stehen. In Sachen Bestzeit sieht die Deutsche Meisterin noch Potential. Mit dem bewährten Trainingskonzept der vergangenen Jahre soll es noch die ein oder andere Sekunde schneller gehen. „Längerfristig kann ich mir auch vorstellen, häufiger über 5.000 Meter zu starten. Marathon wird es aber wahrscheinlich nicht werden“, sagt Vera Coutellier, die sich selbst eine „sehr ambitionierte Hobbysportlerin“ nennt.

Video-Interview: Vera Coutellier: "Training findet häufig sehr früh oder sehr spät statt"
Video: Vera Coutellier mit Überraschungssieg über 1.500 Meter

Das sagt der leitende Bundestrainer Lauf Werner Klein:

Vera ist bei Deutschen Meisterschaften eine der beständigsten Medaillen-Gewinnerinnen im Laufbereich der vergangenen Jahre und das als berufstätige Zahnärztin. Das ist eine Energieleistung und beeindruckend. Sie hat über Jahre zur Qualität in Meisterschaftsrennen auf nationaler Ebene gesorgt und Favoritinnen herausgefordert. Dass sie in diesem Jahr mit Nele Weßel die Favoritin hinter sich lassen konnte, macht den Reiz von Meisterschaften aus. Diese Leistung ist nur mit viel Disziplin möglich. Als eine große Stütze in der Trainingsgruppe beim ASV Köln hält Vera die Lauftradition mit hoch.

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