Überraschungssilber für Nele Moos im Weitsprung und Bronze über 100 Meter für Katrin Müller-Rottgardt und ihren Guide Noel Fiener: Die deutschen Paralympics-Athletinnen haben am Donnerstag in Paris zwei weitere Medaillen gewonnen.
Der Weitsprung-Krimi im Regen des Stade de France hätte am Donnerstag packender nicht sein können: Nach vier Versuchen lag Nele Moos (TSV Bayer 04 Leverkusen) auf Rang fünf. Im fünften Versuch sprang sie mit 4,93 Metern die zweite Bestweite. Vorne ist die ungarische Dominatorin Luca Ekler enteilt, aber Silber und Bronze sind mit 4,99 Metern nur sechs Zentimeter weit weg. Moos läuft entschlossen an, springt, wirft beim Aufstehen vor Freude Sand in die Grube und guckt fast geschockt: 5,13 Meter! Silber! Deutscher Rekord! Und plötzlich ertönt im Stadion die deutsche Hymne für Paralympics-Sieger Markus Rehm.
Die drei Konkurrentinnen, die zuvor vor Moos lagen, können nicht kontern. Es ist die erste Paralympics-Medaille für die gebürtige Duisburgerin: „Crazy! Ich hatte das Ziel, erstmals über fünf Meter zu springen. Das habe ich in den letzten Wochen im Training immer wieder zeigen können. Nur das war mir wichtig. Ich habe mir gar keine Medaillenchancen ausgemalt, deshalb trage ich jetzt auch die Zeremonie-Kleidung von Markus, weil ich meine gekonnt zuhause gelassen habe.“
Moos schaffte früh im Jahr die Norm für die Spiele, dann war sie im Frühjahr verletzt, konnte teilweise gar nicht oder nur einmal pro Woche Weitsprung trainieren: „Ich dachte oft: Wenn ich mehr Vorbereitung gehabt hätte, hätte mehr gehen können. Aber jetzt ist es perfekt. Der letzte Versuch war schon ein bisschen krimimäßig.“
Siegerehrung im "Outfit einer Legende"
Trainer Erik Schneider wies sie vor dem sechsten Versuch darauf hin, dass gleich Markus Rehm geehrt werden würde: „Ich war mental und körperlich schon ein bisschen am Ende und dachte: Wenn die Hymne läuft, muss ich garantiert irgendwann weinen. Deshalb wollte ich so gut es geht den Sprung machen, bevor er die Medaille bekommt, weil durch die Zeremonie ja auch noch mal der Wettkampf unterbrochen wird. Das ist nicht so gut für den Rhythmus.“
Doch in dem Fall war es genau das, was Moos brauchte. Und als sie mit Bestweite aus der Grube kam, lief nicht nur die Hymne, sondern auch die Tränen. Markus Rehm bekam von ihrem Silber-Sprung vor lauter eigenen Emotionen erst in der Mixed-Zone in den Katakomben des Stadions etwas mit und crashte dann ihr Interview, um sie zu beglückwünschen. „Das ist doch schön, dass meine Kleidung hier noch mal aufs Podium geführt wird“, meinte der 36-Jährige später und Moos sagte lachend: „Ich trage das Outfit einer Legende.“
Vor ihrem Rennen über 400 Meter am Freitag wollte sie sich übrigens noch mit etwas ganz Besonderem belohnen: „Vielleicht mit so einem coolen Schokomuffin, von dem alle immer reden. Ich habe ihn bisher nur gesehen und nie probiert. Vielleicht gönne ich ihn mir heute mal. Aber dann muss ich mich nochmal fokussieren. Morgen stehen die 400 Meter an, da würde ich gerne ins Finale kommen. Ich bin gut drauf und lasse mich überraschen.“ Das hat schließlich auch im Weitsprung schon gut funktioniert.
Müller-Rottgardt: Glückwünsche von Macron
Katrin Müller-Rottgardt hat mit Guide Noel Fiener Bronze über 100 Meter in der Klasse T12 gewonnen und damit bei ihren fünften Paralympics ihre zweite Paralympics-Medaille nach 100-Meter-Bronze in Rio (Brasilien) 2016 geholt. Einer der ersten Gratulanten war gänzlich unerwartet. Als sie die Mixed Zone verlassen hatten und sich umziehen gehen wollten, wurden sie gestoppt und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron tauchte in den Katakomben auf. Mit „Bonjour“ und einem Handschlag begrüßte er die umstehenden Volunteers und auch das deutsche Sprint-Duo vom TV Wattenscheid, das im Ausgang stand.
Die Saisonbestzeit von 12,26 Sekunden, die beide im Endlauf sprinteten, hatte im Halbfinale noch die zweitschnellste Zeit hinter der kubanischen Dominatorin Omara Durand bedeutet. Im Endlauf schob sich noch die Ukrainerin Oksana Boturchuk an den Deutschen vorbei, doch die Freude über die Medaille überwog bei der 42-Jährigen.
„Ich bin voll zufrieden mit Bronze. Es hat sich gelohnt, trotz Rückschlägen immer weiterzukämpfen und dran zu bleiben und jetzt haben wir uns dafür belohnt“, sagte die 100-Meter-Weltmeisterin von 2003, die sich in Tokio 2021 nach einem Fehlstart über 400 Meter beim Probestart über 100 Meter verletzt hatte. Für Guide Noel Fiener war es gar die erste Medaille bei der Final-Premiere: „Es war schon sehr aufregend, das alles mitzuerleben. Es hat super viel Spaß gemacht und die Saisonbestzeit spricht für sich. Was anderes will man einfach nicht am Höhepunkt.“
Irmgard Bensusan sprintet ins Finale
In den weiteren Finals mit deutscher Beteiligung gab es Platz sechs für Geburtstagskind Max Marzillier (Brandenburgischer Präventions- und Rehabilitationssportverein) über 400 Meter und Rang sieben für Lisa Martin Wagner (MuWiS Sportvielfalt Bad Oeynhausen) im Kugelstoßen mit Bestweite. Friederike Brose wurde Neunte im Weitsprung.
Irmgard Bensusan wurde nach ihrem Bronze-Coup über 200 Meter in ihrem 100-Meter-Vorlauf Dritte in 13,20 Sekunden und qualifizierte sich für das Finale am Freitag, insgesamt hatte sie die siebtschnellste Zeit. „Das große Q ist mir heute total egal. Ich glaube, ich bin viel stolzer auf die Paralympics-Medaille von Nele“, sagte sie angesprochen auf den überraschenden Silbermedaillengewinn ihrer Leverkusener Teamkollegin Nele Moos im Weitsprung: „Dass sie ausrasten kann im letzten Versuch. Sie ist so professionell geworden in der letzten Zeit. Nele ist einfach so eine Modellathletin.“
Nach fünf Silbermedaillen und einer Bronzemedaille bei insgesamt drei Paralympics wird das 100-Meter-Finale das letzte auf der größten Bühne sein für die gebürtige Südafrikanerin, die aber noch „ein, zwei Jahre Leistungssport“ weitermachen möchte. Angesprochen auf ihren „Last Dance“ sagte sie: „Ich freue mich. Danach gibt es hoffentlich wirklich Rotwein.“
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