| Interview

Michael Johnson: „Diese Stagnation ist eine Schande“

Viermal Olympiagold, darunter der legendäre Doppelsieg über 200 und 400 Meter 1996 in Atlanta, sowie acht Weltmeistertitel: Michael Johnson zählt zu den erfolgreichsten Leichtathleten aller Zeiten. Wir haben den heute 47-Jährigen, der seit 1999 den Weltrekord über 400 Meter hält, zum Interview getroffen. Darin erzählt er, wie er heute Athleten aus aller Welt im „MJ Performance Center“ im texanischen McKinney bei Dallas trainiert und wie er die Entwicklung der Leichtathletik sieht.
Christian Ermert

Michael Johnson, den meisten Leichtathletik-Fans sind die Bilder in Erinnerung, wie Sie 1996 in goldenen Spikes zu Olympia-Gold über 200 und 400 Meter stürmten. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie von 1996 an in diesen Schuhen antraten?

Michael Johnson:

Als ich anfing, in Nike-Schuhen zu laufen, waren die nicht die besten auf dem Markt. Anfang der 1990er-Jahre haben Marken wie Mizuno und Adidas die Richtung vorgegeben. Nike war damals ein bisschen dahinter. Ich bin noch in Schuhen gelaufen, die zu den Olympischen Spielen 1984 designt wurden. Und 1993, bei der WM in Stuttgart, ist meinem Konkurrenten Quincy Watts ein Schuh während des Rennens buchstäblich auseinandergefallen. Damals haben dann die Designer begonnen, zusammen mit mir andere, bessere und leichtere Schuhe zu entwickeln, die meinen Laufstil unterstützten. In zwei Jahren haben wir den leichtesten Sprintschuh geschaffen, den es bis dahin gegeben hat. Gleichzeitig unterstützte er meinen Kurvenlauf perfekt. Die goldene Farbe stand dann ganz am Ende des Prozesses. Ich fand sie super. Meinem Trainer hat die Farbe aber nicht so nicht gut gefallen ...

Ihr Coach war während Ihrer ganzen Karriere Clyde Hart, den Sie während Ihrer Zeit als Student an der Universität von Waco in Texas kennengelernt hatten. War Clyde Hart immer ein Fan davon, die 200 und die 400 Meter zu laufen oder hätte er es besser gefunden, wenn Sie sich auf eine Strecke zu konzentriert hätten?

Michael Johnson:

Ich glaube, ich habe ihm manchmal ein bisschen Angst mit meinem Ehrgeiz gemacht. Aber wir hatten eine echte Partnerschaft. Er hat mich immer in meinen Plänen unterstützt. Ich habe gesagt, was ich erreichen will. Und er hat mir dann erklärt, was ich tun muss, um ans Ziel zu kommen. Und wenn er dann sah, dass ich Tag für Tag das tat, von dem er glaubte, dass es nötig ist, war auch er überzeugt davon, dass wir gemeinsam dort ankommen würden, wo wir hinwollten.

Haben Sie jemals darüber nachgedacht, wie es sich anfühlen würde, in dem goldenen Schuh nicht zu gewinnen? Die Schlagzeile wäre ja dann gewesen: Der Mann in den goldenen Schuhen holt nur Silber.

Michael Johnson:

Nein, der Gedanke kam nicht vor. Ich habe mir immer nur vorgestellt, wie cool es sein würde, in den goldenen Schuhen Gold zu gewinnen. Es gab keine Alternative dazu.

Ihr Laufstil mit dem ausgeprägten Hohlkreuz war einzigartig. Viele haben am Anfang gesagt, so kann man doch gar nicht schnell laufen …

Michael Johnson:

… ich bin schon als Kind so gelaufen, und die anderen haben darüber gelacht. Am Anfang wollten einige Trainer meinen Stil ändern. Aber nicht Clyde Hart. Den erinnerte mein Laufstil an Jesse Owens, also sah er keine Notwendigkeit, etwas zu ändern. Das Problem war, dass die damalige Sprint-Ikone Carl Lewis mit einer ausgeprägten Vorlage gelaufen ist. Und an ihm haben sich alle orientiert. Sogar als ich in meinem ersten Jahr als Profi-Athlet über 200 Meter jedes Rennen gewonnen hatte, meinten einige, ich könne den Weltrekord nur dann verbessern, wenn ich meinen Stil verändere. Aber mein Coach und ich wussten, dass dies für mich die richtige, effektive Art war zu laufen. Auch wenn wir es nicht wissenschaftlich absichern konnten. 

Nach Ihrem Karriereende haben Sie begonnen, junge Athleten im „Michael Johnson Performance Center“ zu unterstützen. Wie ist diese Idee entstanden?

Michael Johnson:

Ich habe während meiner Laufbahn gelernt, dass es die größte Herausforderung für Athleten ist, Jahr für Jahr aufs Neue bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen gesund und in Top-Form am Start zu sein. Mir ist das meistens gelungen und ich bin weitgehend von Verletzungen verschont geblieben. Das verdanke ich vor allem einem ziemlich teuren Team von guten Leuten um mich herum. Damit meine ich nicht nur den Coach, sondern auch Manager, Physiotherapeuten und Ärzte. Nach meiner Karriere ist es mir jetzt wichtig, das gleiche den Profi-Athleten von heute zur Verfügung zu stellen, sodass sie ihr Potenzial voll ausschöpfen können.

Welche Athleten kommen zu Ihnen, um besser zu werden?

Michael Johnson:

 

Am Anfang waren es vor allem Fußballer, die aus der ganzen Welt zu uns kamen, um sich im nicht sportartspezifischen, athletischen Bereich weiterzuentwickeln. Mittlerweile trainieren bei uns neben den Fußballern auch Athleten aus fast allen US-Profi-Sportarten: Baseball, Football, Basketball, aber wir sind auch offizielles Trainingszentrum des amerikanischen Bullriding-Verbandes. Dazu kommen Fechter, Turner und Balletttänzer. Zu uns kommen alle, die von einer besseren Athletik profitieren. Unsere Aufgabe ist es, das zusätzliche Athletik-Training so in das Programm der Sportler zu integrieren, dass sie auf keinen Teil ihrer sportartspezifischen Übungen verzichten müssen.

Aber daneben zählen auch Leichtathleten zu Ihren Kunden, oder? Die Trainingsgruppe von US-Marathon-Legende Alberto Salazar, zu der Doppel-Olympiasieger Mo Farah und Silbermedaillen-Gewinner Galen Rupp gehören, soll auch schon mal von Oregon im Nordwesten der USA nach Texas reisen, um bei Ihnen besser zu werden …

Michael Johnson:

Ja, Alberto Salazar hat einen etwas anderen Trainingsansatz als die meisten seiner Mittel- und Langstreckenkollegen in den USA. Denen geht es meistens nur um Ausdauer. Das wurde mir klar, als ich mit ihm über Galen Rupp gesprochen habe. Sein Ansatz ist ein bisschen wie der von den Fußballtrainern, mit denen ich zusammenarbeite. Alex Ferguson von Manchester United meinte mal zu mir, ihm wäre es wichtig, dass die Jungs, die er zu mir schickt, die ganze Zeit über keinen Ball sehen. Da sollte es nur um Athletik gehen. Und so ähnlich ist das bei Galen Rupp und Mo Farah auch. Es gibt Trainingsphasen da spielt Ausdauer keine Rolle. Sondern die ganze Konzentration gilt der Schnelligkeit und der Athletik.

Und wie reagiert ein Athlet wie Galen Rupp, wenn er für ein paar Tage wie ein American Football-Spieler trainieren soll?

Michael Johnson:

Galen ist ein bisschen anders als andere Langstreckler. Er hat schon fast die Mentalität eines Sprinters. Ich erinnere mich an eine lustige Geschichte mit ihm. Mein Büro auf unserem Trainingsgelände hat so eine Scheibe, durch die man nur von innen nach außen schauen kann. Von außen wirkt sie wie ein Spiegel. Wir saßen in einem Meeting und sahen Galen an dem Gebäude vorbeikommen. Er war gerade auf dem Rückweg vom Training und übte vor dem Spiegel unseres Fensters die ganzen Techniken, die er grade gelernt hatte. Von innen sah das sehr lustig aus. Es zeigt aber auch, wie empfänglich Sportprofis wie er für neue Impulse sind, wenn es um ein Training geht, durch das sie richtige Athleten werden – und nicht einfach nur Fußballer oder Läufer bleiben.

Was lernen die Spitzenathleten denn bei Ihnen, was sie in ihrer jeweiligen Spezialdisziplin bei ihren Trainern nicht lernen können?

Michael Johnson:

Sie können besser werden. Wenn einer zu mir kommt, der langsam ist, und mich fragt: Kannst du mich schnell machen, sage ich: „Das kann ich nicht. Aber ich kann dich schneller machen, als du jetzt bist. Und das wird dir in deiner Spezialdisziplin helfen.“

Bei all der Arbeit mit Profis aus so vielen Sportarten: Interessiert Sie eigentlich noch, was in der Sportart passiert, in der Sie so erfolgreich waren? Verfolgen Sie die Leichtathletik?

Michael Johnson:

Ja klar, ich war immer ein Leichtathletik-Fan und werde es auch bleiben. Bei uns trainieren ja auch viele Leichtathleten, sodass ich sehr eng mit dem Sport verbunden bin. Allerdings bin ich nicht sehr glücklich mit der Entwicklung der Leichtathletik. Es gibt einfach kein Wachstum. Während sich immer mehr Menschen fürs Laufen begeistern, stagniert die Leichtathletik als Ganzes. Es ist halt ein schwieriger Sport. Laufen kann man sein ganzes Leben, die anderen Disziplinen taugen einfach nicht zum Freizeitsport. Oder ist Ihnen schon mal ein Dreispringer begegnet, der nach seiner Karriere immer noch zum Vergnügen springt? Nein, der wird laufen, auch wenn er während seiner Karriere nicht gelaufen ist. Bei mir ist das ja genauso: Heute gehe ich laufen, um mich fit zu halten und Spaß zu haben. Während meiner Karriere wäre mir das nicht in den Sinn gekommen. Damals habe ich zielgerichtet trainiert. 30-mal 100 Meter mit fast vollem Tempo und solche Sachen. Das hat mit Laufen als Hobby nichts, aber auch gar nichts zu tun. Das ist kein Spaß, das ist harte Arbeit.

Also ist die Leichtathletik für Erwachsene eigentlich nur als Profisport erfolgreich?

Michael Johnson:

Und das auch nur bedingt. Die Leichtathletik muss sich viel besser verkaufen. Ich habe gerade eine Studie gelesen, nach der 70 Prozent aller Zuschauer weltweit der bislang letzten Weltmeisterschaften 2013 in Moskau über 55 Jahre alt waren. Das ist ein riesiges Problem. Der Sport muss populärer werden. Und dabei kann er viel vom Laufen lernen. Events, der Aufbau von Communitys und Treffpunkten – da ist das Laufen der Leichtathletik weit voraus.

Aber bei Kindern und Jugendlichen ist die Leichtathletik doch in aller Welt sehr populär …

Michael Johnson:

… ja, das ist bei uns in den USA so und auch bei Ihnen in Europa. Bisher ist es für uns selbstverständlich, dass die Leichtathletik für die Kids sehr attraktiv ist und dass der Nachschub an Talenten nie versiegt, die den Weg von den Schulen und Universitäten in die Nationalmannschaft machen. Der Sport muss aber dafür arbeiten, dass das so bleibt. Dafür brauchen wir Vorbilder. Erfolgreiche Athleten, die in der breiten Öffentlichkeit bekannt sind. Und hier liegt derzeit das Problem: Ihnen fehlen die großen Bühnen. Ohne die Olympischen Spiele alle vier Jahre würde die Leichtathletik in den USA fast nicht mehr wahrgenommen. Das ist eine Schande.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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