Deutschlands bester deutscher Bahnläufer orientiert sich um: Erstmals will sich Richard Ringer in diesem Jahr auch über 10.000 Meter für eine internationale Meisterschaft qualifizieren – die WM in London. Mit den 5.000 Metern hat er eine weitere Chance, die er ebenfalls nutzen will.
Er hat das Olympiajahr 2016 abgehakt, sein erstes Höhentrainingslager absolviert und eine kurze und erfolgreiche Hallensaison mit EM-Bronze über 3.000 Meter hinter sich: Deutschlands stärkster Langstreckler Richard Ringer (VfB LC Friedrichshafen) ist schon zu neuen Ufern unterwegs. Im Alter von 28 Jahren will er sich der längsten Strecke auf der Bahn stellen, den 10.000 Metern mit 25 Stadionrunden. Bisher waren die 5.000 Meter das Maß der Dinge. In 13:10,94 Minuten ist er viertschnellster deutscher Läufer überhaupt und hat bereits Universiade-Bronze (2013) und EM-Bronze (2016) geholt.
Natürlich hat Ringer bereits am 10.000er geschnuppert, auf der Straße und auf der Bahn. 2014 wurde er in 28:28,96 Minuten – seiner bisherigen Bestzeit – Deutscher Meister. Diese Zeit muss der VfB LC-Läufer, der seit rund 14 Jahren von Eckhardt Sperlich betreut wird, um 44 Sekunden unterbieten, wenn er sein nächstes Ziel erreichen will: die Qualifikation für die Weltmeisterschaften, die vom 4. bis 13. August in London (Großbritannien) ausgetragen werden.
Gefordert werden 27:45 Minuten, und das wäre gleichzeitig der zehnte Platz in der ewigen deutschen Bestenliste, die von Rekordhalter und Olympiasieger Dieter Baumann (27:21,53 min) angeführt wird. Die erforderlichen Kilometerzeiten bei diesem Vorhaben: anspruchsvolle 2:46 Minuten.
Dilemma: Von der Weltspitze weit entfernt
Dieter Baumann hat sich übrigens etwas länger Zeit gelassen und erst mit 32 Jahren auf den 10.000 Metern ernst gemacht. Der vierfache Olympiasieger Mo Farah (Großbritannien) hat dagegen bereits mit 25 Jahren seine erste „internationale Zeit“ auf dieser Strecke realisiert und ist dabei ziemlich genau bei Ringers Wunschzeit gelandet: 27:44,54 Minuten.
Drei Jahre später war Mo Farah dann fast eine Minute schneller, hat aber immer noch fast 30 Sekunden Abstand auf Weltrekordler Kenenisa Bekele (Äthiopien; 26:17,53 min). Diese Vergleiche zeigen, wie weit sich die Weltspitze von der deutschen und europäischen Spitze entfernt hat – auch wenn die schnellsten Zeiten meist vor mehr als zehn Jahren erzielt wurden, als Dopingkontrollen weniger ausgereift und die Sensibilität zu diesem Thema noch etwas weniger stark ausgeprägt waren.
Sie zeigen aber auch das Dilemma, in dem Richard Ringer steckt: In Deutschland relativ einsame Spitze – konkurrenzfähig in Europa – aber von Afrikanern oder Afrika-stämmigen Läufern in der Weltspitze deutlich entfernt. Deshalb arbeitet er beharrlich weiter, um den Abstand zu verkleinern. „Wir haben schon im Vorfeld unser Training angepasst und nach der Hallensaison die Vorbereitung nochmals forciert. Die Teilstrecken auf der Bahn wurden verlängert. In den Osterferien absolvieren wir traditionell unser Trainingslager an der Ostsee.“
In Stanford Angriff auf 10.000-Meter-Norm
In Zinnowitz will er sich die Form für Stanford holen. In Kalifornien (USA) wird er am 5. Mai die 10.000 Meter bestreiten und versuchen, dort das WM-Ticket zu lösen. In Amerika ticken die Uhren anders. Zwei Zeitläufe mit jeweils 25 Läufern sind geplant. Mindest-Meldezeit: 28:40 Minuten! „Ich hoffe, dass ich in den A-Lauf komme, das ist aber noch nicht sicher“, gibt Ringer zu bedenken. Eine EM-Medaille ist in dem mit Weltklasse-Athleten gespickten Feld noch lange keine Empfehlung.
„Ich werde eine Woche früher anreisen, um Akklimatisierung und Zeitumstellung besser verkraften zu können. Ich strebe aber auch die Qualifikation über 5.000 Meter an." Die geforderten 13:22 Minuten werde er voraussichtlich am 25. Mai in Oordegem (Belgien) angreifen.
Für London zwei Asse im Ärmel
Da bei den Weltmeisterschaften in London über 10.000 Meter, die gleich am 4. August ausgetragen werden, keine Vorläufe anfallen, hätte der Athlet möglicherweise eine weitere Option über 5.000 Meter und könnte versuchen, das Finale (13. August) zu erreichen. Das ist ihm vor zwei Jahren in Peking (China) schon einmal gelungen.
Privat läuft derzeit alles bestens. Mit Freundin Nada Ina Pauer bezog er im Herbst eine gemeinsame Wohnung in Meersburg. Die österreichische Juristin und Spitzenläuferin hat eine Post-Doc-Stelle an der Uni Konstanz angetreten und sich gut eingelebt. Luft und Liebe am Bodensee scheinen ihr zu bekommen. In der Hallensaison hat sie über 1.500 und 3.000 Meter neue Bestzeiten aufgestellt und steht in Deutschland auf beiden Strecken auf Platz neun.
Ringer arbeitet weiter halbtags als Controller bei Rolls Royce Power Systems. „Die Arbeit macht mir Freude, wird aber immer anspruchsvoller, und ich muss meine Zeit schon sehr gut einteilen, um alle Aufgaben unter einen Hut zu bringen“, verrät er.
In Lille fürs deutsche Team
Vor London will er neben den Qualifikations-Wettkämpfen über 5.000 und 10.000 Meter auch die 1.500 Meter (Karlsruhe) und 3.000 Meter (Turku) antesten. Weiterhin steht die Team-EM in Lille (Frankreich; 24./25. Juni) auf dem Plan. Bei diesem Event hat er bereits in Braunschweig 2014 und im russischen Cheboksary über 3.000 Meter dominiert. „Ob ich dort 3.000 oder 5.000 Meter laufen werde, werde ich zusammen mit dem Bundestrainer kurzfristig entscheiden."
Alles hängt davon ab, wie es zuvor mit der Qualifikation für London klappt. "Falls ich nachlegen muss, kann ich vermutlich meinen DM-Titel über 5.000 Meter in Erfurt nicht verteidigen.“ Es wäre bereits sein elfter insgesamt. Dann wäre der Weg frei für andere Athleten, darunter den VfB LC-Kollegen und letztjährigen Vizemeister Martin Sperlich, der sich ebenfalls für die WM in London – bevorzugt über 5.000 Meter – qualifizieren möchte.