Die nationale Konkurrenz ist ihm enteilt: Erfurts Top-Sprinter Julian Wagner kam im Olympia-Sommer nicht wirklich in Tritt. Im Vorjahr noch deutsche Spitze, jetzt nicht mal mehr in den Top Ten. Den Erfurter reizt es, mit einem neuen Trainer neue Ziele anzugehen. Der ehemalige Weltklasse-Weitspringer Sebastian Bayer soll ihn noch schneller machen, weshalb sich Julian Wagner für den Schritt nach Mannheim und einen Vereinswechsel entschieden hat.
Da konnte selbst Julian Wagner nur staunen: Im Juni bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig gehörte er zu den Jägern über 100 Meter. Andere diktierten, machten Tempo – schrieben sogar Geschichte. Owen Ansah (Hamburger SV), der gar eine magische Schallmauer durchbrach. Als erster deutscher Sprinter blieb er unter zehn Sekunden, holte sich in 9,99 Sekunden mit deutschem Rekord den Titel. Einige Wochen später drehte der nächste Hamburger auf: Lucas Ansah-Peprah mit 10,00 Sekunden in La Chaux-de-Fonds (Schweiz).
„Das war irre. Das sei ihm gegönnt“, zollte Julian Wagner dem neuen Deutschen Rekordhalter Respekt. Er selbst sollte im weiteren Verlauf nicht annähernd an seine Topzeiten aus dem Vorjahr mit 10,11 Sekunden als Bestzeit herankommen. Die Olympischen Spiele rückten für den 26-Jährigen in weite Ferne. Ein Fenster tat sich mit der Staffel auf, mit der er letztlich noch auf den Olympia-Zug aufsprang. „Die Spiele 2021 in Tokio habe ich verletzt verpasst, Paris waren somit meine ersten Spiele“, berichtet er. Diese zwar als Athlet, aber letztlich ohne Einsatz. In diesen Tagen saugte er die stimmungsvolle Atmosphäre im legendären Stade de France auf. „Schade, dass ich dieses Flair und diese Stimmung nicht von Innen als Athlet erleben durfte“, zeigt er sich ein wenig geknickt.
Mannheim statt Erfurt
Doch auch diese Momente bleiben, sind sie einstweilen eine schöne Motivation für den neuen Olympia-Zyklus, der für Julian Wagner nicht wie gewohnt in seiner Heimat Erfurt begann, sondern in Mannheim. An seiner Seite als Trainer nun Sebastian Bayer, von dem er sich neue Impulse erhofft. Schon vor den Olympischen Spielen in Paris suchte Julian Wagner den Weg nach Mannheim, bereitete sich dort mit den anderen deutschen Sprintern wie Owen Ansah und Lucas Ansah-Peprah auf einen möglichen Olympia-Einsatz vor. Nach den Spielen vollzog er schließlich den endgültigen wie mutigen Schritt: neue Stadt, neues Umfeld, neuer Trainer und neuer Verein.
„Ich habe mich für diesen Schritt entschieden, weil ich keine Trainingspartner mehr in Erfurt hatte und ich aus meiner Komfortzone rauswollte. Ich habe gespürt, ich brauche eine Veränderung. Ich will mehr gefordert werden – und kann mich nun in Mannheim mit der aktuell besten Trainingsgruppe messen“, nennt Julian Wagner die Beweggründe. Nun genießt er die Vorzüge einer großen Trainingsgruppe. Mit ihm umfast sie acht Athlet:innen, alle leistungsorientiert, aber in unterschiedlichen Disziplinen aktiv, wie die Weitspringer Oliver Koletzko und Simon Batz, die Hürdensprinterinnen Ricarda Lobe und Hawa Jalloh sowie die deutschen Spitzensprinter Owen Ansah und Lucas Ansah-Peprah.
"Im Herzen weiter Thüringer"
Gleichzeitig ist er unsagbar dankbar für seinen bisherigen Weg. „Im Herzen bin ich weiterhin Thüringer. Es war keine Entscheidung gegen Erfurt und meinen Trainer Tobias Schneider. Ich bin sehr dankbar für die Zeit, ich habe viel von Julian Reus und Gerhard Jäger lernen dürfen. Jetzt war einfach Zeit für etwas Neues.“ An das Neue musste er sich erst gewöhnen, denn Sebastian Bayer lehrt einen etwas anderen Ansatz, was das Technikmodell betrifft.
„Ich muss mich oft konzentrieren und bekomme Korrekturen. Es gibt noch viel zu tun, was ich besser machen kann. Der Trainer erwartet vollstes Vertrauen von seinen Athleten, und er hat einen Plan, der durchgezogen wird. Genau das wollte ich auch. Ich muss mir im Training nun keine eigenen Gedanken mehr machen. Das funktioniert bisher ganz gut“, erklärt Julian Wagner die erste Handschrift des neues Trainers.
Trainiert wird bei ihm täglich. Einmal. Mit 2,5 Stunden etwas intensiver und länger, als es Julian Wagner aus Erfurt gewohnt war. „Das hat gewisse Vorteile wie eine höhere Regenerationszeit. Dementsprechend kann ich meinen Tag strukturieren.“ Und eine gewisse Struktur braucht es. Wie für sein Studium. Im Oktober begann er ein Fernstudium der Sportwissenschaften an der IST-Hochschule.
TV Wattenscheid 01 nimmt ihn auf
In vielerlei Hinsicht hat Julian Wagner seine Weichen neu gestellt. Dazu gehört ebenso ein neuer Verein. Zukünftig trägt der Erfurter das Trikot des TV Wattenscheid 01. Wie einst sein Vorgänger Julian Reus. Die jahrelang guten Kontakte zu Vereinsmanager Michael Huke mündeten nach Gesprächen in eine neue sportliche Zukunft. „Ich freue mich auf die Zeit beim TV Wattenscheid 01, der einstigen Sprint-Hochburg, die es wieder werden möchte. Ich bin stolz, die Möglichkeit zu haben, für diesen Verein starten zu dürfen.“ Erstmals wird er das neue Trikot in der Hallensaison überstreifen. Geplant sind einzelne Wettkämpfe mit den Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund (22./23. Februar) als Fixpunkt.
Noch läuft die Zeit der Vorbereitung. Es geht viel um Grundlage, Ausdauer und Fitness. Das Training, wie er es aus Erfurt kannte, erhielt neue Reize. „In den ersten Wochen sind wir viel gelaufen. Für die Kraftkreise sind wir jetzt in den Kraftraum gewechselt, vorher haben wir sie in der Halle mit kleinen Gewichten gemacht. Auf dem Programm steht dazu viel Fitness, um ein gewisses Level zu erreichen“, benennt Julian Wagner einen Teil des Winterprogramms. Dieser Tage schon tauscht er die aktuell kühlen Temperaturen in wärmende ein, wenn er ins Trainingslager nach Südafrika fliegt. Darauf freut er sich ganz besonders: „Das wird das erste Mal sein, dass ich in der Vorbereitung die Spikes anziehe. Es ist eine Art langsame Übergangsphase, wo es von der Intensität ein bisschen schneller wird.“
Wenn es am 10. Dezember zurück nach Mannheim geht, sind es nur noch wenige Tage bis zum besinnlichen Fest. Weihnachten wird Julian Wagner bei der Familie in Erfurt verbringen. Die Vorfreude auf die Rückkehr ist ihm anzuhören. Seinen Lebensmittelpunkt hat er zwar nach Mannheim verlagert, im Innersten klopft weiterhin das „grüne Herz“ eines Thüringers, der auszog, um wieder an die deutsche Spitze zu sprinten.