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Julian Reus – Mit Vollgas Richtung Heimspiel

Die Hallensaison hat er ausgelassen. Im Sommer will Sprinter Julian Reus wieder aufs Ganze gehen. Schon jetzt kündigt er an, dass sein Training ihn wieder in Bereiche des deutschen 100-Meter-Rekords führen soll. Beste Gelegenheit für die Präsentation seines Könnens bietet sein Heimspiel bei der Freiluft-DM im Erfurter Steigerwaldstadion.
Sandra Arm

Heimat ist nicht nur ein Ort, es ist ein Gefühl. Ein Wohlgefühl. Mit elf Jahren zog es den gebürtigen Hanauer Julian Reus nach Thüringen – an die Sportschule. Erfurt ist seither für den Spitzensprinter weit mehr als nur eine Wahlheimat. "Für mich ist sie Lebensmittelpunkt. Ich fühle mich hier einfach wohl. Von der Größe und der Struktur ist die Stadt für mich einfach optimal. Ich kann alles mit dem Fahrrad erreichen", schwärmt der 28-Jährige, der mit zweijähriger Unterbrechung seit nunmehr 16 Jahren in der Landeshauptstadt lebt und trainiert.

Einziger Wermutstropfen für die Thüringer: Deutschlands schnellster Sprinter startet für den TV Wattenscheid 01. Das blau-weiße Trikot der Westfalen treibt ihn an. Beeindruckend das Jahr 2016, als er mit zwei deutschen Rekorden für mächtig Furore sorgte. Unter dem Hallendach holte er sich bei den Deutschen Hallen-Meisterschaften in Leipzig die Bestzeit über 60 Meter (6,52 sec). Im Sommer setzte der Spitzensprinter noch einen drauf und verbesserte den deutschen Rekord über 100 Meter auf 10,01 Sekunden.

Erfolgsjahr 2016 mit Titeln, Rekorden und Staffel-Bronze

Doch Julian Reus nur auf diese Superzeiten zu reduzieren, das wird ihm und seiner Leistung nicht gerecht. Auf internationaler Bühne fühlten sich die 200 Meter bei den Olympischen Spielen in Rio trotz Vorlauf-Aus richtig gut an. Die Uhr stoppte bei 20,39 Sekunden – zweitschnellste Zeit seiner Karriere. "Das Rennen und die Zeit waren nicht so schlecht, wie viele Leute geschrieben haben", betont das Sprint-Ass.

Berichtet wurde ebenso viel über seine knapp verpasste Qualifikation für das 100-Meter-Finale bei den Europameisterschaften in Amsterdam (Niederlande). "Das ist sehr unglücklich gelaufen. Drei Tausendstel haben mir gefehlt", blickt Reus wehmütig auf den bitteren Moment zurück. Entschädigt und getröstet hat ihn derweil ein anderes Finale. Nach zwei Mal Silber mit der 4x100-Meter-Staffel bei den Europameisterschaften in Helsinki (2012) und Zürich (2014) baumelte nun eine Bronzemedaille um seinen Hals.

Nächstes Ziel: internationales Einzel-Finale

Als Einzelstarter blieb ihm dieser Moment eines Finallaufs bei einem internationalen Großereignis unter freiem Himmel bisher verwehrt. Der Traum lebt weiter. "Für mich ist es immer das Ziel, in ein internationales Finale zu laufen", sagt Julian Reus, der in diesem Sommer erneut angreifen möchte. Die Weltmeisterschaften in London (Großbritannien; 5. bis 13. August) sind das große Ziel. Die Basis für eine Teilnahme sind zunächst erfüllte Normen. "Diese sind sehr herausfordernd", meint Reus. 10,12 Sekunden sind über 100 Meter gefordert, der Richtwert über 200 Meter steht bei 20,40 Sekunden.

Die Weltspitze ist noch enger zusammengerückt. "Die Zeiten spiegeln das Weltniveau im Sprintbereich wider. Die Masse der Sprinter, die Zeiten zwischen 9,90 und 10,15 Sekunden anbieten, hat sich gefühlsmäßig verdreifacht. Das Niveau ist einfach extrem auf dieser Strecke", beschreibt der Sprinter die aktuelle Situation über 100 Meter. Weniger kritisch sieht er die Norm über diese Distanz, wenngleich sie im Rückblick zur WM in Peking (2015) um vier Hundertstel gedrückt wurde. "Ich bin seit 2012 konstant um 10,10 Sekunden gelaufen. Wenn ich gesund bleibe, der Wettkampf passt, dann traue ich mir die Norm zu."

Von Erfurt über Florida auf die Bahamas

In den vergangenen Wochen arbeitete er hart und intensiv mit hohen Umfängen und Intensitäten für einen erfolgreichen Sommer. Während des Trainingslagers in Clermont (USA; 30. März bis 15. Mai) soll der Saisoneinstieg am 15. April in Gainesville erfolgen. Weitere Starts sind bei der inoffiziellen Staffel-WM in Nassau (Bahamas; 22./23. April) und am 13. Mai in Clermont geplant.

Für Julian Reus sind es die ersten Wettkämpfe in diesem Jahr. Die Hallensaison ließ er, bis auf seinen Heimstart über 300 Meter beim Abendsportfest, aus. Für die "Auszeit" sorgte ein Bundeswehr-Lehrgang. "Das Training war einfach nicht in dem Maße möglich, um schnell laufen zu können. In Rücksprache mit meinem Trainer Gerhard Jäger habe ich mich früh für einen Verzicht entschieden", erklärt Reus, der angesichts der fehlenden Wettkampfpraxis dennoch zuversichtlich gen Sommer blickt. "Ich bin überzeugt, so wie wir das Training gestaltet haben, dass Zeiten im Bereich von 10,0 bis 10,10 Sekunden machbar sind."

"Plakatboy" der DM 2017

Abseits der Bahn eroberte das Aushängeschild der deutschen Leichtathletik derweil die Leinwand. Ende Februar wurde im Berliner Zoopalast der Trailer "Urban Records - Jäger der Hauptstadt" als Einstimmung auf die Heim-EM 2018 in Berlin präsentiert. Reus ist einer von drei Protagonisten, er nimmt es mit einer U-Bahn auf. "Das war schon etwas besonderes, sich auf der Leinwand zu sehen. Man ist es eigentlich nicht gewohnt, dass die Leichtathletik so auf den Putz haut. Die Resonanz von den Zuschauern war sehr positiv. Der Trailer wird der EM einen ordentlichen Push verleihen", zeigt sich der deutsche Sprintstar begeistert.

Als "Plakatboy" wirbt er zusätzlich für sein Heimspiel – die Deutschen Meisterschaften in Erfurt (8./9. Juli). Vor zehn Jahren wurden sie zuletzt im Steigerwaldstadion ausgetragen. Reus, damals 19 Jahre alt, verzichtete aus gutem Grund. Er startete parallel bei den Europameisterschaften der U20 in Hengelo (Niederlande). "Das war in dem Jahr der wichtigste Wettkampf für mich." Heimgekommen ist er als Doppel-Europameister. In wenigen Monaten erlebt er nun die nationale Premiere in seinem Wohnzimmer.

Intensiv beschäftigt hat er sich mit seinem Heimspiel noch nicht. Das Training stand bisher im Vordergrund. Die zweite Etappe bildet das Trainingslager in den USA. Nach seiner Rückkehr wird der nationale Höhepunkt langsam in sein Bewusstsein rücken. Allein der Gedanke daran weckt beim mehrfachen Deutschen Meister eine gewisse Vorfreude. "In dem Stadion, wo man sonst trainiert, freue ich mich viele bekannte Gesichter zu sehen." Noch dazu, wenn er dafür nicht die Taschen packen und sich ins Auto setzen muss. Ein ungewohnter Luxus. "Ich kann zu Hause schlafen, muss nicht reisen." Lediglich auf sein Fahrrad wird er sich schwingen, um ins Leichtathletikstadion zu radeln. Für einen Erfurter wie ihn – ein schönes Gefühl. 

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