| Interview

Verena Sailer: "Abstand zum Trainingsalltag tut gut"

Gut vier Monate ist es her, dass Verena Sailer (MTG Mannheim) ihre Sprintkarriere beim Berliner ISTAF beendet hat. Im Interview mit leichtathletik.de berichtet die 30-Jährige, wie sie an ihrer beruflichen Zukunft feilt, wie sie als Zuschauerin der Hallen-Saison entgegenfiebert und dass Sportklamotten in ihrem Schrank immer noch die Oberhand haben.
Jan-Henner Reitze

Verena Sailer, wie sind Sie im "normalen" Leben angekommen?

Verena Sailer:

Mit dem Trainingsalltag abzuschließen, ist mir überhaupt nicht schwer gefallen. Mit einem Schlag konnte ich mir nicht mehr vorstellen, Leistungssport zu betreiben. Das habe ich als bemerkenswert empfunden. Der Abstand hat mir gut getan. Oft ist die Rede davon, dass Athleten nach dem Ende ihrer Karriere in ein Loch fallen. Bei mir war das gar nicht so.

Also war Ihre Entscheidung zum Karriereende richtig?

Verena Sailer:

Absolut. Als ich beim ISTAF meine Spikes ausgezogen habe, war mir sehr bewusst, dass es das letzte Mal ist. Das war schwierig und schön zu gleich. Ich hatte mir die Entscheidung gut überlegt und das war auch der Schlüssel für den problemlosen Abschied. Ich wollte selbst entscheiden, wann ich aufhöre. Das habe ich getan. Ich bin absolut im Reinen mit meiner Karriere.  Es ist vorbei für mich als aktive Athletin.    

Wie sieht es mit dem Bewegungsdrang aus? Haben Sie sich eher gefreut, endlich mal Ruhe zu haben oder konnten Sie nicht abwarten, sich zu bewegen?

Verena Sailer:

Noch ist der Bewegungsdrang nicht so groß. Aber er kommt wieder. Erst einmal hat mir Abstand zum Trainingsalltag gut getan. Das habe ich gebraucht. Ich habe es auch nicht geschafft, den Plan zum Abtrainieren durchzuziehen. Der beinhaltete ähnliche Übungen wie in meinen aktiven Jahren. Für ein solches spezifisches Training brauche ich allerdings ein Ziel. Ohne Ziel ist es mir sehr schwer gefallen. Ich bin mal laufen gegangen und habe den Sprungzirkel meines Trainers Valerij Bauer mitgemacht, aber nicht in dem Umfang wie es der Plan vorsah. Das ist aber auch kein großes Problem, da ich kein Ausdauer-Sportler war, für die konsequentes Abtrainieren wichtiger ist.

Wie hat Ihr Körper auf das Karriereende reagiert?

Verena Sailer:

Was ich gemerkt habe: Wenn ich mich im Alltag über etwas aufrege oder Stress habe, konnte ich mich früher im Training auspowern und auf andere Gedanken kommen. Das ist jetzt anders. Da merke ich, dass ich Bewegung brauche. Auch die Muskulatur steht nicht mehr so unter Spannung. Ich bin ein bisschen leichter geworden. An diese körperlichen Veränderungen habe ich mich inzwischen gewöhnt.  

Was haben Sie mit ihren Sportklamotten und Schuhen gemacht?

Verena Sailer:

Ich habe immer noch mehr Sportklamotten als andere Klamotten. Allein sieben Kisten sind voll mit Schuhen. Ich werde mir nie mehr im Leben Sportschuhe kaufen müssen. Zum Beispiel hatte ich auch Spikes, die ich nie getragen habe. Die habe ich an meinen Verein gegeben. Da ich mit 36 eine kleine Schuhgröße habe, ist das vor allem etwas für den Nachwuchs. Viel wurde auch ausgemistet.

Wie sieht es beruflich aus?

Verena Sailer:

Momentan laufen noch Gespräche in Sachen beruflicher Zukunft, spruchreif ist da aber noch nichts. Parallel dazu kümmere ich mich um mein Studium. Nach diesem Semester bin ich scheinfrei. Im Sommersemester schreibe ich meine Masterarbeit, was in meinem Fernstudium auch berufsbegleitend möglich ist. Mein Bachelor in Sportmanagement und jetzt der Master in Wirtschaftspsychologie mit Schwerpunkt Markt- und Werbepsychologie zeigen, in welche Richtung es gehen soll.

Inwiefern werden Sie auf Ihrem Weg aus dem Leistungssport begleitet, zum Beispiel von der Sporthilfe?

Verena Sailer:

Ich bin im Mentorenprogramm. Das läuft auch nach dem Ende der Karriere weiter. Mein Mentor ist ein Unternehmensberater aus Frankfurt, mit dem ich im guten Kontakt stehe. Wir tauschen uns aus. Mit praktischen Fragen kann ich mich an ihn wenden und von seinen Erfahrungen in der Wirtschaft profitieren. Er besorgt mir zwar keinen Job - dafür bin ich selbst verantwortlich. Aber ich bekomme Unterstützung. Zum Beispiel geht er den Lebenslauf durch und gibt Tipps für Bewerbungsgespräche. Ich finde das Programm super, es hilft mir und beruhigt auf dem Weg in die berufliche Zukunft.

Wie ist der Kontakt zu Ihrem früheren Trainer und seiner Trainingsgruppe?

Verena Sailer:

Valerij Bauer und seine Frau sind nach wie vor Familie für mich. Von ihnen habe ich mich nicht verabschiedet, wie von der Leichtathletik-Bühne. Auch zur Trainingsgruppe habe ich noch guten Kontakt. Wir sind befreundet und treffen uns eher privat. Auch mit den anderen Mädels aus dem Kader habe ich Kontakt. Dabei werde ich auch mal nach meinen Erfahrungen im Sport gefragt. Darüber freue ich mich und kann Tipps geben.

Im Moment laufen die Hallen-Wettkämpfe an. Fängt es da vielleicht doch wieder ein bisschen an zu kribbeln?

Verena Sailer:

Ich werde bei einigen Meetings als Zuschauer dabei sein, zum Beispiel bei den Baden-Württembergischen Landesmeisterschaften, dem Meeting in Karlsruhe, beim ISTAF Indoor und den Deutschen Hallenmeisterschaften. Da freue ich mich sehr drauf. Im Moment kribbelt es nicht. Ich muss abwarten, wie es ist, wenn ich auf der Tribüne sitze. Gespannt bin ich auf jeden Fall darauf, wie sich die deutschen Mädels im Sprint weiterentwickeln.

Die internationalen Schlagzeilen rund um die Leichtathletik sind im Moment von den Themen Doping, Korruption und der Sperre Russlands geprägt. Wie sehen Sie diese Vorgänge?

Verena Sailer:

Ich verfolge diese Schlagzeilen mit großer Sorge. Ich hoffe, dass etwas getan wird und der Zuschauer den Sport nicht mit absolutem Misstrauen sieht. Das wird der Sache nicht gerecht, denn ich glaube an einen sauberen und ehrlichen Sport.

Was trauen Sie den deutschen Sprinterinnen bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (Brasilien) zu?

Verena Sailer:

Ich sehe ganz großes Potential. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass bei den jungen Sprinterinnen einiges möglich ist. Das gilt für alle, die bei den Nachwuchsmeisterschaften erfolgreich waren. Dazu gehören zum Beispiel Gina Lückenkemper, Alexandra Burghardt, Rebekka Haase oder Lisa Mayer. Wenn alle gesund durchkommen und trainingstechnisch alles läuft, kann es im Einzel gut werden und in der Staffel sowieso. Ich kann mir vorstellen, dass die drei Einzelplätze bei Olympia voll werden.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024