| Interview

Thomas Röhler: „Wir müssen mehr denn je an einem Strang ziehen“

Bei den World Athletics Awards des Leichtathletik-Weltverbands IAAF war Thomas Röhler (LC Jena) am Freitag in neuer Rolle zu Gast: Nach seiner Wahl in die IAAF-Athletenkommission traf er dort seine neuen Mitstreiter zu einem ersten informellen Austausch. Seine Amtszeit beginnt offiziell am 1. Januar 2018. Wir haben mit dem Speerwurf-Olympiasieger über neue Herausforderungen, alte Leidenschaften und sein Selbstverständnis jenseits des Leistungssports gesprochen.
Silke Bernhart

Thomas Röhler, Sie sind während der WM in London in die Athletenkommission der IAAF gewählt worden. Wie kam es zu Ihrer Kandidatur?

Thomas Röhler:

Ich bin der erste deutsche Leichtathlet, der das überhaupt macht. Der DLV hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Und da ich zwei, drei Athleten kenne, die bereits in der Kommission waren oder sind, habe ich mich bei ihnen umgehört, was auf mich zukommen würde. Schließlich dachte ich mir: Das ist eine gute Sache, da sollte ich mich zur Wahl stellen, dafür bin ich wahrscheinlich der richtige Mann.

War das auch direkt Ihr erstes Bauchgefühl?

Thomas Röhler:

Ja, das Gefühl war von Anfang an positiv. Ich habe als Athletenvertreter schon innerhalb meines Vereins Erfahrungen gesammelt. In der Schulzeit habe ich Ähnliches auf höherer Ebene gemacht. Ich finde die Geschichte spannend, weil sie international ist. Und weil letztendlich vor allem die persönliche Meinung gefragt ist – auch wenn ich es natürlich auch als Chance verstehe, die deutsche Leichtathletik dort mit zu platzieren.

Wie sind die Reaktionen Ihrer deutschen Teamkollegen ausgefallen, als Sie gehört haben, dass Sie sich zur Wahl stellen?

Thomas Röhler:

Da gibt es eine verrückte Regel: Wahlkampf ist gänzlich verboten. Die Athleten, die im Rahmen der Weltmeisterschaften wählen dürfen, sollen komplett unbeeinflusst sein. Es gab ein internationales Wahlpapier, so eine Art Broschüre, in der ich mich und meine Themen, meine Positionen präsentieren konnte. Das war aber wirklich nur ein kleiner Abschnitt, mit dem hat man sich vorgestellt. Natürlich habe ich mit anderen Athleten gesprochen – aber ich durfte es eigentlich nicht mal offiziell sagen.

Welche Themen haben Sie sich denn besonders auf die Fahne geschrieben?

Thomas Röhler:

Ich mache Leichtathletik, seit ich sieben Jahre alt bin. Ich sehe großes Potenzial darin, den großen Abstand zwischen Vereinssport, Breitensport und internationaler Top-Leichtathletik zu verringern. Hier viel mehr Schnittmengen zu schaffen. Der deutsche Vereinssport hat viele Vorteile. Aber international ist dieses Modell nicht etabliert – und wir müssen es auch international schaffen, dass es eine Art gesunder Pyramide gibt, gerade in der heutigen dynamischen Gesellschaft. Die Bedürfnisse der aktiven Gesellschaft müssen in Sportstrukturen abgebildet werden. Da gilt es, das Format Leichtathletik international noch bekannter, die Wettkampf-Formen vielen verschiedenen Kulturen verständlicher zu machen.

Die Athletenvertretung der IAAF umfasst 18 Athleten. Zurzeit auch noch Stabhochsprung-Weltrekordlerin Yelena Isinbayeva, die als Russin hier allerdings zurzeit außen vor ist und in der Diskussion um den russischen Doping-Skandal stark polarisiert hat. Ein Vorgeschmack darauf, dass nicht alle Mitglieder auf einer Wellenlänge liegen werden. Welche Herausforderungen sehen Sie?

Thomas Röhler:

Grundsätzlich sehe ich es erst einmal positiv, dass das Gremium ein großes Spektrum unserer Sportart abbildet. Es gibt sowohl aktive als auch ehemalige Athleten. Athleten aus allen möglichen Verbänden und Kulturkreisen. Sicher werden viele unterschiedliche Meinungen vertreten. Aber ich habe mir sagen lassen, dass die Arbeit im Gremium selbst fast immer ziemlich fruchtbar ist. Man ist ja stolz darauf, dass die Stimme der Athleten hörbar gemacht wird, aber das Gremium selbst bildet nur eine Stimme ab. Mit dieser einen Stimme können wir zwar eine gemeinsame Meinung vertreten. Aber wir können schlecht in dem Maße Einfluss nehmen, in dem es wünschenswert wäre. Dennoch: Es geht vielmehr um das gesprochene Wort, darum, dass die Athleten gemeinsam Meinungen bilden und sie hörbar machen. Und dafür ist die Kommission ein super Organ.

In Deutschland verfolgen wir die Entwicklung, dass sich die Athleten von Institutionen und Verbänden lossagen. Die Athletensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) haben eine eigene Interessenvertretung gegründet. Wie bewerten Sie das?

Thomas Röhler:

Ich finde, das Entscheidende ist, dass die Meinung und die Erfahrung von Athleten in Strukturen und Organisationen berücksichtigt wird. Wenn es in Deutschland hilft, dafür eine eigenständige Institution zu gründen, dann ist das positiv. Insgesamt sehe ich aber die Gefahr, dass sich der Sport immer mehr zersplittert. Es gibt viel Ungewissheit, auch was die Leistungssportreform betrifft. Die Leute draußen wissen nur: Es wird sich was ändern, und es wird sich wohl zum Guten ändern, der Mensch ist ja optimistisch. Aber ich habe als Athlet natürlich den Blick „inside out“. Und ich denke, an dem Spruch „Zu viele Köche verderben den Brei“ ist viel dran. Grundsätzlich ist mir einfach wichtig, dass man Schnittmengen findet und den Sport gemeinsam vorantreibt. Sport ist in der heutigen Gesellschaft zur Unterhaltung geworden. Und um die Werte des Sports zu vertreten, müssen wir mehr denn je an einem Strang ziehen.

Athletensprecherin im Deutschen Leichtathletik-Verband ist Stabhochspringerin Martina Strutz. Stellen Sie sich hier einen Austausch vor?

Thomas Röhler:

Sobald ich ab dem kommenden Jahr im Einsatz bin, werde ich sicher das Gespräch suchen. Aber grundsätzlich muss ich erst einmal sehen, wie alles anläuft. Ich weiß zwar in etwa, was an Terminen, an Konferenzen und Telefonaten auf mich zukommt. Aber soweit ich weiß, wird die konkrete Arbeit dann eher projektabhängig sein. Und oftmals auch ganz spontan. Da muss ich mich dann wohl zumeist vor allem auf meine eigene Meinung verlassen, die ich mir vorher in Gesprächen und im Austausch bilden konnte. Dabei ist mir aber durchaus die große Verantwortung bewusst und dass ich überall auch ein Stück weit für die deutsche Leichtathletik einstehe.

Als Spitzensportler ist es sicher nicht immer leicht, zusätzlich ehrenamtlichen Aufgaben gerecht zu werden. Wie wollen Sie Ihr neues Amt mit dem Leistungssport vereinbaren?

Thomas Röhler:

Grundvoraussetzung ist, dass man für das brennt, was man macht. Und das tue ich. Der Zeitaufwand war auch der Hauptgrund, warum ich eine Woche überlegt habe, ob ich das wirklich machen soll. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es nicht unbedingt viel Extra-Zeit kosten muss, Gespräche zu führen und Meinungen zu sondieren – und wenn, dann ist es den Zeitaufwand wert. Natürlich ist gutes Zeitmanagement gefragt, das habe ich schon in der Schulzeit und im Studium als Spitzensportler gelernt und gelebt. Außerdem macht mir die Herausforderung Spaß, das ist auch ganz wichtig. Ich habe mit meinem Trainer [Harro Schwuchow] ein Konzept gefunden, das es mir erlaubt, nicht 24 Stunden am Tag sieben Tage die Woche Sport machen zu müssen, um zufrieden und zielstrebig auf meine Ziele hinzuarbeiten. Für mich steht das alles in einem angenehmen Einklang.

IAAF-Athletenkommission, Sportkonferenz des Deutschlandfunks, Talkrunde zum Thema Psychologie im Sport – Sie sind mehr und mehr ein gefragter Gesprächspartner auch für Themen, bei denen ein Blick über den Tellerrand gefragt ist. Wie bewerten Sie das?

Thomas Röhler:

Wenn es um kontroverse Geschichten geht, um innovative Ansätze – großes Thema „Zukunft des gesamten Sports“ – ist meine Stimme mittlerweile häufig gefragt. Das ist eine schöne Wertschätzung dessen, was ich in den vergangenen Jahren, gemeinsam mit meinem Team, geschafft habe. Ich sehe mich persönlich auch nicht als den reinen Leistungssportler und Olympiasieger. Über dieses „bisschen mehr“ definiere ich mich selbst, und so möchte ich auch gerne wahrgenommen werden.

IAAF-Athletenkommission
Die Athletenkommission des Leichtathletik-Weltverbands IAAF umfasst 18 Athleten, die jeweils für einen Zeitraum von vier Jahren gewählt oder nominiert werden. Sechs von ihnen scheiden zum 1. Januar 2018 aus diesem Gremium aus, sechs neue Mitglieder wurden im Rahmen der Weltmeisterschaften im August in London von den teilnehmenden Athleten in die Kommission gewählt. Dazu zählt mit Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler erstmals seit Einführung der Wahl im Jahr 2003 auch ein deutscher Athlet. Die Athletenkommission ist mit ihrem Vorsitzenden und einem weiteren Mitglied laut neuer IAAF-Verfassung ab dem 1. Oktober 2019 Mitglied des IAAF-Councils und dort auch stimmberechtigt. Das IAAF-Council ist das Exekutiv-Organ des Weltverbands mit zurzeit 27 und ab Oktober 2019 26 Mitgliedern, den Vorsitz übernimmt der IAAF-Präsident.

 

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