| Interview der Woche

Niklas Kaul: „Ich konnte mir keinen einzigen Ausrutscher erlauben"

Niklas Kaul (USC Mainz) hat am Wochenende bei der U23-EM seine vierte Goldmedaille bei internationalen Nachwuchsmeisterschaften gewonnen und bleibt damit in den Jugendklassen weltweit ungeschlagen. Mit 8.572 Punkten lieferte er zugleich eine Kampfansage für die WM in Doha. Im Interview berichtet der 21-Jährige von seinem Duell mit dem Esten Johannes Erm (8.445 Pkt), dem Moment seines Speerwurfs auf 77,36 Meter und seinen Zielen für die Weltmeisterschaften.
Silke Bernhart

Niklas Kaul: 8.572 Punkte – war das jetzt mal eine Leistung, die Sie auch selbst sprachlos macht?

Niklas Kaul:
Ja. Auf jeden Fall. Gerade nach Tag eins. Klar war der gut, mit 4.206 Punkten oder so [4.208 Pkt]. Aber danach 4.360? Wie?! Und die Hürden waren ja nichts. Die waren ja nicht so gut. Der Stabhochsprung war okay. Aber der Speer und die 1.500 Meter…

77,36 Meter im Speerwurf. Die zweitbeste Weite, die je ein Zehnkämpfer bei einem 8.000 Punkte-Wettkampf erzielt hat! Wie haben Sie den Wurf erlebt?

Niklas Kaul:
Ich weiß immer noch nicht, was ich zu dem Wurf sagen soll. Ich habe ihn mittlerweile ein, zweimal gesehen. Ich weiß, dass ich eine Sache richtig gemacht habe, die Francis [Speerwurf-Trainer Francis Gross] mir jahrelang – zumindest in den letzten drei Jahren – mit auf den Weg gegeben hat. Und ich bin endlich froh, dass das endlich mal wieder geklappt hat!

Was war denn dieser Tipp?

Niklas Kaul:
Das linke Stemmbein war schon gestreckt, als ich das rechte Bein gesetzt habe. Da konnte ich voll reinarbeiten auf das linke Stemmbein. Und dann kriegt der Speer eben so eine Länge.

Welchen Anteil hat Ihr Kontrahent Johannes Erm an diesen 8.572 Punkten? Er lag zwischenzeitlich 367 Punkte vor Ihnen und hat Sie bis zuletzt gefordert.

Niklas Kaul:
Einen riesigen Anteil. Genauso wie aber auch die anderen deutschen Jungs, Manu und Jan. Im Wettstreit mit Johannes war es einfach so, dass ich mir an den zwei Tagen keinen einzigen Ausrutscher erlauben konnte. Das pusht natürlich schon, wenn man sieht: Der hat jetzt schon wieder Bestleistung geworfen oder ist Bestleistung gesprungen. Und du musst nachlegen. Ich glaube, das war auch ein Punkt, der dazu beigetragen hat, dass ich diese Punktzahl geschafft habe – von der ich vorher nie gedacht hätte, dass ich sie erreiche.

Hatten Sie ihm denn vorher zugetraut, dass er sich im Vergleich zu seinem Zehnkampf bei den US-College-Meisterschaften auch noch mal so steigern kann? Dort hatte er mit 8.352 Punkten gewonnen.

Niklas Kaul:
Ich wusste es natürlich nicht. Aber ich habe es mir vorstellen können. Denn eigentlich ist er ja jemand, der bei den Höhepunkten immer abgeliefert hat. Siehe Bydgoszcz vor drei Jahren [U20-WM], siehe Grosseto vor zwei Jahren [U20-EM].

Wie war denn seine Reaktion nach dem Wettkampf? Zum dritten Mal bei großen Meisterschaften noch von Ihnen überholt – er muss ja schlaflose Nächte haben Ihretwegen…

Niklas Kaul:
Ich seinetwegen auch! (lacht) Wir verstehen uns gut, das ist so ein Ding im Zehnkampf, dass man sich mit allen, die da am Ende durchkommen, gut versteht, und auch die Leistungen des anderen würdigen kann. Das möchte ich nicht missen und das ist auch ein Grund dafür, warum ich den Zehnkampf so liebe.

Haben Sie während des gesamten Zehnkampfs daran geglaubt, dass Sie Johannes Erm auch dieses Mal noch einholen können?

Niklas Kaul:
Ich habe versucht, cool zu bleiben. Und nachdem er im Diskus eine kleine Schwäche gezeigt hat, wusste ich: Okay, vielleicht geht ja heute doch noch was!

Ihre Schwester Emma und Ihre Eltern waren auch in Gävle mit dabei. Zuhause werden Sie von ihnen trainiert. Wie wichtig war es, sie hier an Ihrer Seite zu wissen?

Niklas Kaul:
Ich denke, im Wettkampf bin ich ein ziemlich eigenständiger Athlet. Aber es harmoniert einfach gut, insgesamt, mit meinen Eltern als Heimtrainern, mit Christopher [Hallmann] als Bundestrainer, der mich hier eigentlich an beiden Tagen gecoacht hat. Und auch mit dem Arzt und Physiotherapeuten. Zudem verstehen wir drei Athleten uns gut miteinander. Das ist einfach wichtig, um diese zwei Tage gut durchzustehen.

Würden Sie sagen, dass das bisher der schwerste und mental anstrengendste Zehnkampf war, den Sie je gemacht haben?

Niklas Kaul:
Jeder Zehnkampf ist anders. Deswegen kann man das gar nicht so genau sagen. Es war kein leichter Zehnkampf, gerade am ersten Tag, weil ich wusste: Johannes ist 300 Punkte weg. Und ich auch nicht sicher sagen kann, dass ich jeden Tag 77 Meter Speer werfe oder die 1.500 Meter in 4:17 Minuten laufe. Aber der schwerste war es eher nicht. Weil ich wusste, dass ich eine sehr, sehr gute Form habe und dass ich am Ende noch mal Druck auf ihn ausüben kann. Klar, wenn er weiter nur Bestleistungen macht wie an Tag eins, dann wird es trotzdem schwierig, aber so ist Zehnkampf. Und ich glaube, ohne irgendwo Federn zu lassen kommt niemand durch – außer man heißt Kevin Mayer. Aber das ist ein anderes Thema (lacht).

Wo haben Sie denn in diesem Wettbewerb Federn gelassen? Womit hadern Sie noch?

Niklas Kaul:
Heute Abend hadere ich mit gar nichts! Aber der 100-Meter-Lauf, auch wenn es Bestzeit war, war an sich scheiße. Nachdem der Niederländer den Fehlstart gemacht hat, kam ich nicht gut in den Rhythmus. Im Weitsprung genauso. Da ist noch ein bisschen Luft nach oben. Im Hochsprung fehlt noch die Routine, weil ich im Winter Fußprobleme hatte und kaum springen konnte. Aber gerade am zweiten Tag… Diskus, Speer und 1.500 Meter waren top, Stab war in Ordnung. Die Hürden waren gut bis zur sechsten. Alles lief rund. Aber ein Tick ist noch Luft nach oben.

Sie haben hier in Gävle den zweitbesten Zehnkampf der Welt gezeigt in diesem Jahr. Kevin Mayer hat noch keinen Mehrkampf bestritten. Nur der Kanadier Damian Warner war bisher besser. Was sagen Sie denn dazu?

Niklas Kaul:
Schwierig. Ich bin einfach mega happy, dass es jetzt geklappt hat! Dass der Speerwurf endlich, zum ersten Mal seit drei Jahren, wieder richtig funktioniert hat! Das genieße ich jetzt erstmal die nächsten paar Tage. Und schlussendlich bin ich froh, jetzt als bester Deutscher nach Doha zu fahren. Auch wenn mir das dort dann gar nichts bringt, da fangen wir alle wieder bei Null an.

Sind Sie noch hungrig auf mehr? Wie geht es weiter?

Niklas Kaul:
Erstmal werde ich eine Woche relaxed machen, und dann geht der Aufbau für die WM wieder los. Es wird nicht leicht, das hier war schon ein Höhepunkt, die Saison ist sehr lang. Aber ich denke, das wird schon passen. Ich hoffe, dass ich dort noch einmal an diese Leistung herankommen kann. 4.360 Punkte am zweiten Tag ist natürlich schwer zu wiederholen. Am ersten Tag ist aber noch ein bisschen Luft nach oben. Ich bin zuversichtlich – und wenn ich wieder in diese Regionen vorstoßen kann, kann am Ende alles passieren!

Mehr:
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