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Marc Reuther: Das Lächeln ist zurück

800-Meter-Spezialist Marc Reuther erweitert sein Streckenrepertoire. In Zukunft will der Frankfurter auch verstärkt über 1.500 Meter an der Startlinie stehen. Eine Entscheidung, die ihm mental einen großen Schub gegeben hat.
Alexandra Dersch

Es war letztes Jahr im September. Da wusste Marc Reuther nicht, ob er je wieder Laufschuhe anziehen wollte. So viel hatte er in den EM-Sommer 2018 investiert. So wenig war herausgekommen. „Als ich den Input mit dem Output verglichen habe, hatte ich eine Zeit lang wenig Lust aufs Laufen“, sagt der 22-Jährige.

Kurz zuvor war er bei den Europameisterschaften nach einem Rempler im Vorlauf disqualifiziert worden, war bei den Deutschen Meisterschaften nur auf Platz drei ins Ziel gekommen. Zu wenig für einen ehrgeizigen jungen Mann wie Marc Reuther, der in seiner noch kurzen Karriere schon so viel großartiges Potenzial gezeigt, aber für seinen Geschmack auch zu wenig daraus gemacht hat.

"Er hat sich selbst zerfleischt"

Bestzeit, Bestzeit, Bestzeit. Nach dieser Devise war Marc Reuther jahrelang über 800 Meter an den Start gegangen. Er wusste genau, bei welchem Meter er welche Zeit auf der Uhr haben musste, wusste, welche Stellschraube im Rennen noch fehlte, um seine Hausmarke von 1:45,22 Minuten noch weiter zu drücken, wusste genau, was er wo zu tun hatte. „Ich bin nur noch um Bestzeiten, Normen und gute Splits gelaufen“, sagt Marc Reuther.

Doch nicht immer klappte das. Die eigenen Erwartungen, sie waren hoch. So hoch, dass er irgendwann einfach nur noch verlieren konnte. Und das war spätestens bei den Europameisterschaften in Berlin der Fall. „Mehr Druck ging nicht mehr“, sagt auch sein Trainer Georg Schmidt, im DLV auch als Bundestrainer zuständig für die Mittelstrecke der Männer ist. „Er hat sich selbst zerfleischt.“

EM-Erfahrung nagt

Zum Abschluss der Saison war es der Start beim ISTAF in Berlin über 1.500 Meter, der so überraschend erfolgreich mit 3:40,03 Minuten lief. Er setzte eine Idee im Kopf von Marc Reuther frei. „Plötzlich hatte ich wieder Spaß am Laufen“, sagt er. Ohne Krampf. Ohne Druck, den er sich selbst am meisten macht. Sondern mit Freude. An der Erinnerung an diesen Saisonabschluss hielt er sich den besagten Monat nach Saisonende fest. „Die EM hat sehr an mir genagt. Ich war drauf und dran, alles hinzuwerfen. Aber irgendwie wusste ich, ich bin noch nicht fertig mit dem Kapitel Leistungssport.“

Was folgte, war ein reflektierendes Gespräch mit seinem Trainer und Vertrauten Georg Schmidt. Und die Erkenntnis: Wir schrauben die Umfänge im Training rauf. Das langfristige Ziel auf dem Papier: die WM-Norm. „Klar, ich will international natürlich dabei sein.“ Das Ziel im Kopf: Wieder Spaß am Laufen haben.

Auf der Suche nach dem 18-jährigen Ich

Als Marc Reuther im Februar direkt aus dem Trainingslager in Kenia zu den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig anreiste und am 1.500 Meter-Start stand, schauten die Zuschauer in ein anderes Gesicht des Frankfurters. Nicht verbissen. Nicht mit malmendem Unterkiefer. Nicht vor Anspannung verzerrt. Sondern frei. Fast schon entspannt. „Ich konnte da seit einer Ewigkeit mal wieder an der Startlinie lachen“, erinnert sich auch Marc Reuther selber. Platz drei im Finale der Spezialisten war ein kleiner Befreiungsschlag. Und die Bestätigung: Die 1.500 Meter tun ihm gut.

„Ich brauche ein Stück weit wieder die Mentalität meines 18-jährigen Ichs“, sagt Marc Reuther. „Der Junge, der bei der U18-WM am Start steht und einfach Bock aufs Rennen hat. Natürlich gepaart mit der richtigen Dosis Professionalität, aber eben wieder mit mehr Lockerheit mir selbst gegenüber.“ Denn auch in diesem Sommer will Marc Reuther wieder alles in seinen Sport investieren, richtet Ernährung, Alltag und Privatleben nach seinem Sport aus. „Es ist ein schmaler Grat“, sagt auch Georg Schmidt. „Marc ist der Typ 'Alles oder Nichts'. Und wer viel investiert, will natürlich auch etwas dafür haben. Die Balance zwischen maximalem Input, aber ohne dabei zu verkrampfen, die brauchen wir.“

Zukunft auf der längeren Strecke

Mit dieser Lockerheit soll auch der Erfolg über 800 Meter zurückkommen. Denn da sind sich Athlet und Trainer einig, trotz des deutlich erhöhten Trainingsumfangs: Marc Reuther kann immer noch schnell über die zwei Stadionrunden sein. „Über 800 Meter ist er noch stärker geworden“, sagt Georg Schmidt. Und glaubt daher auch fest an die WM-Norm von 1:45,80 Minuten.

Langfristig sieht der Coach Marc Reuthers Zukunft aber auf der längeren Strecke: „International beobachten wir aktuell die Tendenz, dass sich die Unterdistanz-Typen über 800 Meter an der Spitze durchsetzen“, sagt Georg Schmidt. „Und da müssen wir ehrlich sein: Über die Unterdistanzen, sprich 400 Meter, da sind wir zu langsam.“ Von seinem Vermögen, seinem taktischen Repertoire schätzt er Marc Reuthers Chancen daher langfristig bei Großereignissen über 1.500 Meter höher ein.

Mehr Chance als Verpflichtung

Für die 1.500 Meter sind für die WM in Doha (Katar; 27. September bis 6. Oktober) 3:36 Minuten gefordert. „Das läuft man natürlich nicht im Vorbeigehen“, sagt Georg Schmidt. „Schon gar nicht so kurz nach der Trainingsumstellung.“

Das weiß auch Marc Reuther. Doch anders als in den Vorjahren sieht er die Rennen heute nicht mehr als Verpflichtung. „Ich begreife sie als Chance und gehe locker an die Sache ran.“ Er hat gelernt: Eine Top-Leistung lässt sich eben nicht erzwingen.

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