| Interview

Christoph Harting: "An die EM bin ich zu hochnäsig rangegangen"

Vier Tage Urlaub im EM-Jahr und lange Tage als "Winter-Student" und Vollzeit-Leistungssportler: Das Leben von Diskuswurf-Olympiasieger Christoph Harting passt in keine Schablone. Das bittere Aus mit drei ungültigen Versuchen in der Qualifikation der Heim-EM hat der Athlet vom SCC Berlin verdaut und seine Lehren daraus gezogen. Jetzt schuftet er für neue Ziele. Auch ein Sieg im Team gehört für den erklärten Individualisten gleich zu Saisonbeginn dazu.
Cäcilia Fischer

Christoph Harting, Sie sagten, Sie hatten 2018 nur vier Tage Urlaub...

Christoph Harting:

Ja, ich habe vier Tage im Harz Urlaub gemacht, das war sehr angenehm.

Nach dem ISTAF im September hatten Sie doch aber länger frei, oder etwa nicht?

Christoph Harting:

Nee, nach dem ISTAF hat zwar die Saison aufgehört und ich hatte drei Tage frei, dann ging es aber gleich wieder zur Bundespolizei, wo ich bis zum 10. Oktober eine Hospitation absolviert habe. Und drei Tage später ging die Schule wieder los.

Sie meinen sicher die Uni.

Christoph Harting:

Ja natürlich. Ich studiere im fünften Semester Psychologie. Dadurch, dass ich so viel Sport mache, ist das aber eher mit dem ersten Fachsemester gleichzusetzen. Ich schaffe es einfach nicht, an der Uni alle Module und Inhalte umzusetzen. Ich habe eine Trainingswoche von vierzig, fünfzig Stunden. Und ich muss ja auch jedes Mal von Hohenschönhausen zur FU nach Dahlem fahren, jeweils anderthalb Stunden.

Aber warum wollten Sie denn unbedingt noch nebenbei studieren?

Christoph Harting:

Weil ich's kann und weil ich's möchte.

Was ist Ihr Ziel?

Christoph Harting:

Es gibt viele Verbindungsmöglichkeiten von Psychologie und Sport. Nach der Dissertation auch bei der Bundespolizei. Ich könnte in den höheren Dienst wechseln, zum Beispiel in den medizinischen, den wir gerade betreuen. Aber erstmal den Bachelor und dann den Masterabschluss.

Und für wann ist der geplant?

Christoph Harting:

Ich bin tatsächlich nur ein Winterstudent, weil ich im Sommer wenig machen kann. Und im Winter mache ich auch nicht wirklich viel. Ich fahre zur Uni, setz mich rein, mach mein Ding und dann geht es wieder nach Hause, also nach Hohenschönhausen zum Training. Das dauert.

Sie könnten Rad fahren und hätten Ihr Ausdauertraining weg.

Christoph Harting:

Früh um vier, im Dunkeln, im Herbst und in Berlin? Nein, danke. (lacht)

Beschreiben Sie mal, wie ein normaler Tag bei Ihnen aussieht...

Christoph Harting:

Ich stehe jeden Tag um sechs auf. Montags fahre ich dann zur Uni, die von acht bis zwölf geht. Dann fahre ich wieder zum Sportforum, mache was für mich am Computer oder Handy. Dann habe ich von 15 bis 18 Uhr Training, gehe danach eine Stunde in die Sauna, fahre nach Hause und hoffe, dass ich gut schlafe. Mittwoch Uni bis 14 Uhr, dann ins Sportforum, wo ich ab 15:30 Uhr trainiere. Manchmal geht aber gar nichts, dann entschuldige ich mich bei meinem Trainer, mache einen Mittagsschlaf und setze mich an die Unisachen. Ich bin kein Frühaufsteher, muss ich dazu sagen. Am Wochenende geht's aber dennoch immer zeitig raus.

Das klingt nicht so, als hätten Sie wie Ihr Bruder Robert, der sich künstlerisch betätigt, noch Zeit für Hobbys.

Christoph Harting:

Wenn ich die Zeit dafür hätte, wäre das Schlafen. Ich komme aber mit weniger Schlaf besser aus als mit viel. Fünf, sechs Stunden reichen. Es gibt ja viele Studien zum Thema polyphasischer Schlaf. Du kannst auch tagsüber schlafen. Es kommt allein darauf an, wie du in den wichtigen Phasen, den REM-Phasen schläfst und genug davon hast.

Sie sind bei der diesjährigen EM schon in der Vorrunde ausgeschieden. Hat Ihnen das Psychologiestudium bei der Verarbeitung der Niederlage helfen können? Sind Sie achtsam in die Entschleunigung geglitten und haben über ein mögliches Burnout nachgedacht?

Christoph Harting:

Bitte nicht! Ich habe die Ironie schon verstanden! (lacht) Aber mal ehrlich: Die Gesellschaft ist nicht mehr belastbar, es gibt so viele Jammerlappen. Es fehlt vielen an Disziplin und Ehrgeiz. Ich bin ja ein sogenanntes “Ostkind” und bin mit dieser letzten großen Lüge groß geworden, harte Arbeit zahle sich aus. Nein, Vitamin B zahlt sich aus! Klar, Disziplin bestimmt mein Leben und macht meinen Erfolg aus. Ohne die wäre ich nicht hier.

Woher nehmen Sie Ihre Motivation?

Christoph Harting:

Aus dem Sport. 80 Meter zu werfen ist mein Ziel, und es ist faktisch auch nicht schwer, die zu erreichen. Mit den entsprechenden Geräten geht das. Mein Ziel ist es außerdem, jeden Tag über mich hinauszuwachsen. Es gibt den schönen Spruch “Beat your yesterday!” Ich mache heute Dinge, die andere nicht wollen, dann mache ich morgen Dinge, die andere einfach nicht können. Ich will einfach besser sein.

Ist es Ihnen jetzt, wo Ihr Bruder Robert keine Konkurrenz mehr ist, umso wichtiger zu zeigen, was in Ihnen steckt?

Christoph Harting:

Dieses Bruderduell wurde medial immer überinszeniert, ich selbst habe das nie so gesehen. Jetzt, wo er weg ist, macht das für mich also keinen Unterschied. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper bleibt. Und was ich draufhabe, konnte ich schon 2016 zeigen.

Aber nicht zur EM 2018.

Christoph Harting:

Da bin ich einfach zu hochnäsig herangegangen, zu arrogant und zu selbstsicher. Ich dachte, das wird mein Ding. Und musste dann auf eine sehr, sehr harte Tour lernen, dass ich in dem Moment vielleicht mehr Selbstkritik vertragen hätte. Den Preis habe ich bezahlt. Es war kein schöner, aber dafür ein sehr teurer. Ja, man sollte aus seinen Fehlern lernen, und das werde ich.

Wie ist Ihr aktueller Trainingsstand?

Christoph Harting:

Ich habe vor sechs Wochen wieder damit angefangen, also mit Laufen, Kreistraining, etc. Mit meinem Trainer gibt es aber noch keine Saisonabsprache. Feststehende Termine für 2019 sind: das ISTAF Indoor, die DM, die Team-EM und die WM in Doha.

Was halten Sie vom neuen Weltranglistenplatzierungsverfahren?

Christoph Harting:

Das finde ich gut, aber es ist ja noch in der Diskussion. Ich bin aufgrund der Vergleichbarkeit mit anderen Sportarten und den Sportlern in der Leichtathletik selbst davon angetan. Und wer 69 Meter wirft, ist automatisch dabei.

Nun treten Sie am 1. Februar bei der sechsten Auflage des ISTAF Indoor erstmals auch gegen Frauen an, im Einzel und in der Mannschaft. Wie finden Sie das?

Christoph Harting:

Eigentlich mag ich keine Mannschaftssportarten, denn wenn es jemand nicht so „gut“ macht wie ich, rege ich mich auf. Zum Glück gibt es aber noch die Einzelwertung. Mein Motto lautet: Sei gut! Aber nicht besser als ich! (lacht)

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Frauen, unter anderem Berlins EM-Dritte Shanice Craft, gewinnen?

Christoph Harting:

Wir Männer sind Frauen zumindest physisch überlegen und haben beim ISTAF Indoor in der Halle schon mehr Erfahrung, denn wir sind ja schon seit fünf Jahren dabei. Jeder sollte mindestens 60 Meter weit werfen, Frauen mit einem Diskus von einem Kilo, Männer mit dem doppelten Gewicht. Mit einem Kilo werfe ich etwa 89 Meter. In der Halle gibt es aber Begrenzungen. Die seitliche ist bekanntlich meine Stärke. (lacht) Wir werden sehen.

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